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Nationalelf: Zuschauerschwund, keine Fan-Nähe – Soziologe erklärt Gründe

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Nationalelf 2019: Eine Blaskapelle im Mönchengladbacher Stadion wollte im EM-Qualispiel gegen Weißrussland für Stimmung sorgen. Das kam nicht bei allen gut an...bild: Imago images/sven simon
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Nationalelf kämpft gegen Zuschauerschwund – ein Fanforscher nennt die Gründe

19.11.2019, 17:1720.11.2019, 12:03
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Kaum Stimmung, weniger Zuschauer: Die deutsche Nationalmannschaft bekommt aktuell trotz schon perfekter EM-Qualifikation die Zurückhaltung und die Kritik der Fans sehr deutlich zu spüren.

Zuletzt hatte es beim Zuschauer-Zuspruch bei den Heim-Länderspielen Probleme gegeben. Die letzten Partien gegen Argentinien in Dortmund und Weißrussland in Mönchengladbach waren nicht ausverkauft. Auch gegen Nordirland in Frankfurt/Main ist am Dienstagabend (20.45 Uhr/RTL) nicht mit einem vollen Haus zu rechnen. Kritiker sprechen von einer Distanz zwischen Nationalelf und Fans, die immer größer wird.

Der renommierte Fanforscher Gunter A. Pilz war beim Nationalmannschaftsspiel gegen Weißrussland selbst im Stadion: "Es war nicht unbedingt ein großes Vergnügen eineinhalb Stunden da zu sitzen", sagt er gegenüber watson: "Es war saunass und kalt. Das war nicht so angenehm." Alleine wegen des Novemberwetters blieben viele Leute lieber zuhause als ins Stadion zu gehen. Doch das ist noch längst nicht alles...

Was Gunter A. Pilz über fehlende Fan-Nähe und Zuschauerschwund sagt, lest ihr im Interview.

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Der Soziologe Gunter A. Pilz im Jahr 2013 auf einer DFB-Veranstaltung.bild: imago images/martin hoffmann

watson: Guten Tag, Herr Pilz. Warum distanzieren sich Fans im Moment von der Nationalelf?

Gunter A. Pilz: Nun, ich weiß nicht, ob es die Fans sind, die sich von der Nationalelf distanzieren.

Wie meinen Sie das?

Richtig ist, dass vor allem die Ultras ein gebrochenes Verhältnis zur Nationalmannschaft haben. Das haben sie aber schon immer gehabt, weil sie kluborientiert sind und die Nationalelf als Sinnbild der Kommerzialisierung des Fußballs sehen. Deswegen haben sie eigentlich keine Beziehung zur Nationalelf. Und das ist schon lange so.

Okay. Also muss man erstmal grundsätzlich das Publikum von Länderspielen und Bundesligaspielen getrennt betrachten sowie zwischen Fans und Zuschauern unterscheiden…

Genau. Wir haben bei der Nationalelf ein Publikum – nehmen wir den 'Fan Club Nationalmannschaft' einmal aus – das nicht nur in erster Linie die Treue zum Fußball und zum DFB-Team sucht. Sondern Leute, die dort hingehen, wenn es interessant ist und es um etwas geht. Dann ist ein Spiel gegen einen attraktiven Gegner, zum Beispiel den Weltmeister, natürlich interessanter als ein Spiel gegen Weißrussland. Da weiß man schon von vorneherein, dass es da um nicht viel geht, weil man eigentlich schon fast gewonnen hat. Die Gründe, warum das Interesse aktuell so gering ist, sind aber andere.

Welche sind das?

Einmal das schlechte Abschneiden bei der WM in Russland. Das wirkt immer noch nach. Die Nationalmannschaft muss sich wieder Kredit erspielen. Ein ganz großes Ärgernis sind außerdem die verdammt späten Anspielzeiten. Die schlagen jetzt im Herbst und Winter natürlich noch mehr durch. Das Wetter ist schlecht, und in erster Linie gehen viele ja nicht wegen dem Fußball hin, sondern wegen dem ganzen Drumherum. Bei einem Spiel, das um 20.45 Uhr angepfiffen wird, ist man dann vielleicht erst gegen Mitternacht zuhause. Das überlegen sich vor allem Eltern mit Kindern zweimal, ob sie das möchten. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu, fürchte ich.

Was denn?

Die Leute werden zunehmend überfüttert mit Fußball. Es wird ja alles live übertragen. Von Montag bis Sonntag. Da frage ich mich auch: Warum soll ich noch ins Stadion gehen, wenn es nicht mal um viel geht, wenn ich zuhause bequem im Sessel oder in einer Kneipe mit Freunden schauen kann. Auch die Eintrittspreise spielen eine Rolle. Es ist auch eine Frage des Geldes, das ja nicht bei jedem locker sitzt.

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Bei Heimspielen von Borussia Mönchengladbach kamen in dieser Saison im Schnitt über 51.000 Zuschauer in den Borussia-Park.Bild: imago images / Sven Simon

Finden Sie die aktuelle Kritik der Leute an der Nationalmannschaft manchmal zu hart?

Ob man Kritik sagen kann, weiß ich nicht. Ich würde es eher Reaktion nennen. Wo es um viel Geld geht, entsteht auch immer eine Erwartungshaltung. Menschen haben ein gutes Gespür für Leistung. Die zahlen viel für den Eintritt, die wissen, was Spieler verdienen, und sie haben dann eine gewisse Erwartung. Wenn ich als Zuschauer dann aber zu einem Länderspiel gehe, und mein Bedürfnis für schönen Fußball wird nicht befriedigt, dann gehe ich da eher nicht wieder hin. Aber momentan ist der DFB ja bemüht, wieder mehr Fannähe herzustellen.

Wann ist diese Nähe eigentlich verloren gegangen?

Mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann ging das 2005 los, dass sich die Nationalelf mehr oder weniger abgeschottet hat, was dann zuletzt im Begriff 'Die Mannschaft' gipfelte, der wie eine Kapsel um das Team wirkte. Jetzt geht es wieder darum, sich volksnäher zu zeigen, mit Gesten wie öffentlichen Trainings. Aber nochmal: gegen Weißrussland an einem nasskalten Novembertag bekommt man nun mal keine 50.000 Leute ins Stadion.

Welche Funktion, welche Bedeutung hat denn die Nationalmannschaft überhaupt für die Zuschauer?

Sie ist immer noch das Aushängeschild des deutschen Fußballs. Die Nationalmannschaft ist für die Fans ein wichtiger Identifikationsfaktor. Nicht in einem nationalistischen Sinne, sondern im Sinne einer gesunden Identifikation: Dieses Team repräsentiert unser Land, und zwar möglichst in einer Weise, hinter der man sich nicht verstecken muss. So wie es auch 2014 war, als man Brasilien 7:1 schlug und dann im Finale gegen Argentinien Weltmeister wurde.

Einige Fans kamen trotz nasskaltem Wetter und später Anstoßzeit unter der Woche nach Mönchengladbach ins Stadion.
Einige Fans kamen trotz nasskaltem Wetter und später Anstoßzeit unter der Woche nach Mönchengladbach ins Stadion. Bild: imago images / ActionPictures

Und dann kam die oft kritisierte Übervermarktung…

Ja, aber der DFB hat mittlerweile aus seinen Fehlern gelernt, hält sich wieder mehr zurück. Eine Helene Fischer tritt zum Beispiel nicht mehr in Halbzeitshows auf. Man hat durchaus erkannt, dass die Fans ihre Stimmung selbst machen wollen. Ob jetzt in Mönchengladbach die Blaskapelle bei denen so gut angekommen ist, glaube ich allerdings auch nicht… Zum Teil waren die paar Hundert Fans von Weißrussland lauter als die deutschen Fans. Denn immer wenn die Blasmusik ertönte, war der Block dahinter ruhig, weil die Leute dort nicht dagegen anbrüllen konnten oder wollten.

Zusammenfassend: Was kann der DFB oder die Nationalelf denn nun machen, damit wieder mehr Leute aus den Kneipen und von den Sofas in die Stadien kommen?

Erstens durch Leistung. Zweitens durch Fannähe. Außerdem wäre es sehr hilfreich – aber das kann der DFB nicht beeinflussen – wenn man die Anstoßzeiten auf 18 oder 19 Uhr legt. Und man kann natürlich gezielt bestimmte Spiele in kleineren Stadien beziehungsweise Städten austragen: dann wäre die Auslastung höher, und Leute, die sonst keine Gelegenheit dazu haben, könnten auch mal die Nationalmannschaft sehen.

Wäre es auch eine Maßnahme, Tickets zu verschenken?

Ja, aber dann müsste der DFB sie trotzdem versteuern… Man muss sie ja nicht gleich verschenken, sondern man könnte auch gezielt Schulklassen, für einen symbolischen Eintrittspreis von fünf oder zehn Euro einladen. So bekäme man die Stadien auch wieder voll und man brächte junge Menschen eventuell dazu, Fan der Nationalmannschaft zu werden.

Gunter A. Pilz, geboren 1944 in Baden-Baden, ist ein deutscher Soziologe mit dem Schwerpunkt Sportsoziologie. Er gilt als einer der renommiertesten Fanforscher Deutschlands. Seine Arbeiten setzen sich mit Themen wie Fankultur, Fair Play, Rechtsextremismus im Fußball und Sozialarbeit auseinander. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur.

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