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Analyse

"Versprechen gebrochen": Warum in deiner Schokolade vermutlich Kinderarbeit steckt

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Eigentlich sollte Kinderarbeit im Kakaoanbau um 70 Prozent reduziert werden. Doch viel getan hat sich nicht.Bild: iStockphoto / Eva-Katalin
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"Versprechen gebrochen": Warum in deiner Schokolade vermutlich Kinderarbeit steckt

24.10.2020, 14:1511.11.2020, 17:29
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Schokolade schmeckt hervorragend, setzt Glückshormone frei und bestimmte Stoffe im Kakao senken auch noch den Blutdruck. Ein reines Wohlfühl-Genussmittel also, zumindest für uns. Weniger Wohlfühlatmosphäre herrscht dagegen bei den Menschen, die den Kakao für unsere Schokolade anbauen und ernten – viele von ihnen sind Kinder.

Denn obwohl das Problem seit Jahrzehnten bekannt ist und es zahlreiche Initiativen gegen Kinderarbeit im Kakaoanbau gibt, hat sich einer neuen Studie zufolge bisher wenig bis gar nichts getan.

"Verbraucher in Deutschland müssen davon ausgehen, dass in ihrer Schokoladentafel mit hoher Wahrscheinlichkeit ausbeuterische Kinderarbeit steckt", schreibt das entwicklungspolitische Inkota-Netzwerk mit Blick auf eine Studie des National Opinion Research Center (NORC) der Universität Chicago. Diese untersuchte den Kakaoanbau in der Elfenbeinküste und Ghana in den Jahren 2018 und 2019 – von dort stammt 70 Prozent des in Deutschland verbreiteten Kakaos aus Westafrika. In Auftrag gegeben wurde die Studie vom US-Arbeitsministerium.

Das Ergebnis: Rund 1,56 Millionen Kinder zwischen fünf und 17 Jahren werden allein in diesen beiden Ländern zur Kinderarbeit gezwungen. Und die sind dabei fast alle mindestens einer gefährlichen Tätigkeit ausgesetzt: Nachtarbeit etwa, der Nutzung von Chemikalien oder dem Tragen schwerer Lasten.

Versprechen gebrochen

Eigentlich hatte sich die Schokoladenindustrie verpflichtet, Kinderarbeit um 70 Prozent zu reduzieren. Allerdings zeigt die Studie nun: Alles in allem muss in den untersuchten Ländern fast jedes zweite Kind aus einer Familie aus Kakaobauern mitarbeiten. In der Elfenbeinküste liegt der Anteil der arbeitenden Kinder bei 41 Prozent und in Ghana bei 58 Prozent – beide Werte haben sich seit 2013 nicht verbessert. Damit hat die Kinderarbeit trotz der bisherigen Bemühungen nicht abgenommen. Der Anteil der Kinder, der gefährlichen Chemikalien ausgesetzt ist, hat der Studie zufolge in den vergangenen Jahren sogar stark zugenommen.

"Die Schokoladenindustrie hat ihr Versprechen gebrochen", kritisiert Johannes Schorling, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte beim Inkota-Netzwerk in einer Pressemitteilung. Programme zur Bekämpfung von Kinderarbeit erreichten bisher nur einen kleinen Teil der Bauern, auch, weil Unternehmen die hohen Kosten für solche Programme scheuten:

"Menschenrechte gibt es aber nicht zum Nulltarif. Unternehmen müssen bereit sein, die nötigen Kosten für die Vermeidung von Kinderarbeit zu tragen – dazu gehört auch die Zahlung eines existenzsichernden Kakaopreises."

Das sagen die Hersteller

Der US-Konzern Mondelez International, zu dem unter anderem die deutsch-schweizerische Marke Milka gehört, teilte mit Blick auf die Studie mit, man sei "besorgt über die langsamen Fortschritte in der Branche, Kinderarbeit in der westafrikanischen Kakaoverarbeitungskette zu beenden". Der Konzern verweist auf sein Nachhaltigkeitsprogramm Cocoa Life und eine eigene Strategie gegen Kinderarbeit. In diesem Bereich gibt es offenbar aber noch einiges zu tun: Man beschleunige die Einführung der Überwachungs- und Sanierungssysteme für Kinderarbeit in allen Cocoa-Life-Gemeinden in Westafrika bis 2025, heißt es von Mondelez International.

Ferrero – dazu gehören unter anderem die Produkte von Kinder, Hanuta, Giotto und Duplo – machte gegenüber watson keine konkreten Angaben zu Kinderarbeit und betonte lediglich, dass man bis Ende 2020 zu 100 Prozent "nachhaltig zertifizierten Kakao" beziehen wolle. Der italienische Süßwarenhersteller verwies auf eine Stellungnahme des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. zu der Studie. Darin heißt es, der Anteil an nachhaltig zertifiziertem Kakao in den in Deutschland verkauften Süßwaren liege bei 72 Prozent – 2011 habe er noch bei nur drei Prozent gelegen. Der BDSI-Vorsitzende Bastian Fassin nennt das eine "großartige Leistung der deutschen Süßwarenindustrie". Ob nachhaltig zertifiziert auch frei von Kinderarbeit bedeutet und was mit den restlichen 28 Prozent ist, bleibt offen.

Dabei gibt es einen ganz einfachen und offensichtlichen Grund dafür, dass Kinder arbeiten müssen: Armut. Das sei die Hauptursache für Kinderarbeit, sagt Andrea Fütterer, die Vorstandsvorsitzende des Forums Fairer Handel. Existenzsichernde Preise dagegen würden die Produktions- und Lebenshaltungskosten der Kakaobauern decken – hier setze der faire Handel an.

Fairer Handel zahlt höhere Preise

Gepa, der größte europäische Importeur fair gehandelter Lebensmittel und Handwerksprodukte aus den südlichen Ländern der Welt sagte auf Anfrage von watson, der faire Handel versuche mit verschiedenen Instrumenten, Kinderarbeit unnötig zu machen: "Dazu gehören die Zahlung von fairen Preisen beziehungsweise Löhnen für die arbeitenden Eltern und langfristige, gesicherte Handelsbeziehungen." Gepa zahlte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr durchschnittlich 3500 US-Dollar pro Tonne Bio-Kakao, während der durchschnittliche Weltmarktpreis bei 2300 US-Dollar lag.

Zudem fänden einmal pro Jahr angekündigte, stichprobenartige Inspektionen statt, die Kinderarbeit aufdecken und verhindern sollen. "Gibt es einen begründeten Verdacht von Missbräuchen, zum Beispiel ausbeuterischer Kinderarbeit, können die Inspektoren auch unangemeldet kommen." Diese Kontrolle funktioniere gut. Aber: "Kein Zertifizierungssystem kann ausbeuterische Kinderarbeit zu 100 Prozent ausschließen."

Auch Fütterer zufolge stoßen selbst Fair-Handels-Akteure an ihre Grenzen – weil im globalen Wirtschaftssystem viele Unternehmen durch die Missachtung von Menschenrechten Wettbewerbsvorteile genießen: "Selbst in Brancheninitiativen wie dem Forum Nachhaltiger Kakao kommen die Mitgliedsunternehmen bisher nicht vollumfänglich ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nach."

Schon lange fordern Initiativen deshalb von der Bundesregierung, endlich ein Lieferkettengesetz festzuschreiben, das Unternehmen verpflichtet, seine Produkte in allen Phasen der Lieferkette auf etwaige Verstöße gegen Umweltauflagen oder Sozialstandards zu überprüfen. Dafür müssten einheitliche Regeln für alle Unternehmen festgeschrieben werden. Schorling von Inkota sagt: "Die gebrochenen Versprechen der Schokoladenindustrie zeigen einmal mehr: Ohne klare gesetzliche Spielregeln kommen wir bei der Bekämpfung von Kinderarbeit nicht weiter."

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