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Selbstoptimierung in Corona-Zeiten: Ein Pro und Contra

Photo series of a japanese man working out at home, watching youtube videos and learning the exercises.
Wenn wir schon zu Hause rumhängen, können wir auch Sport treiben.Bild: Getty Images
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Selbstoptimierung in Corona-Zeiten: Ein Pro und Contra

04.04.2020, 08:1404.04.2020, 17:12
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Viele Menschen probieren, aus der Corona-Situation das Beste zu machen. Manche versuchen sich an einer neuen Sprache, andere nutzen die Zeit für zahlreiche Trainingseinheiten in den eigenen vier Wänden. Und das wären nur ein paar Beispiele. Erfolge in Bild- und Videoform werden fleißig in den sozialen Medien gepostet. Da sammelt sich was an.

Ein Klick auf Instagram reicht, um unter den zahlreichen Clips sportbegeisterter Ernährungsgurus begraben zu werden. Darunter finden sich wahrscheinlich auch viele von Menschen, die mit Sport und gesundem Essen vor der Corona-Krise nichts anfangen konnten.

Drängt das Coronavirus die Menschen also in eine Art Selbstoptimierungsspirale? Und ist es überhaupt okay, in Zeiten, in denen viele Menschen um ihr Leben kämpfen, sich selbst im Internet zur Schau zu stellen?

Darüber haben sich die watson-Redakteure Oliver und Tim unterhalten. Na gut, diskutiert. Während Oliver der Meinung ist, dass wir die aktuelle Lage nicht als Challenge begreifen sollten, denkt Tim, dass wir vielleicht genau das gerade brauchen.

Oli: "Ja, geht's noch?"

Ein gewöhnlicher Montagabend, mitten in der Corona-Krise. Ich öffne Instagram. Und was ich da sehe, nervt mich. Ich rede nicht von der Vielzahl meiner virtuellen Freunde, die jetzt selber Brot backen, Musik empfehlen oder neue Kochrezepte ausprobieren.

Alles gut, damit kann ich leben, und außerdem gehen mir selbst langsam die Ideen für Gerichte aus. Dreimal die Woche Nudeln hat sich doch nicht als längerfristiges Menü bewährt. Für ein bisschen Inspiration bin ich also dankbar.

Nein, mich stört, wie viele die Krise jetzt unbedingt als Chance sehen wollen. Auf Teufel komm raus. Ohne Einschränkung. Natürlich kann man aus jeder Notsituation auch etwas lernen, natürlich ist Positives Denken etwas Schönes. Aber deshalb müssen wir doch nicht so tun, als sei das Coronavirus ein Segen, der jetzt alle unsere Probleme löst.

Ich lese ständig, was nach und durch Corona angeblich alles besser wird. Mag ja sein, dass Umwelt und Klima kurzfristig aufatmen können, aber wir wissen doch alle, dass das kein langfristiger Effekt ist. Im Gegenteil – was wir jetzt gerade an Verschmutzung unterlassen, werden wir nach der Krise alles doppelt und dreifach nachholen.

Und dann auch noch dieser permanente Selbstoptimierungswahn!

Nicht mal während einer Krise kann man schlecht drauf sein. Nein, alles muss sofort positiv gesehen und als Herausforderung, als Chance, als gottverdammte Challenge gesehen werden. Ja, geht's noch? Da sterben Menschen. In Deutschland bisher nicht so viele. Unser Gesundheitssystem wurde zwar sehr schlank gespart, es ist aber noch nicht so drastisch wie in anderen Staaten.

Aber schon in südeuropäischen Ländern wie Spanien und Italien sieht es ganz anders aus. Und auch hier im reichen Deutschland leiden viele Menschen unter den direkten und indirekten Folgen von Corona, haben Angst um ihren Job, um ihre Wohnung, ihre Gesundheit, ihre Familie, ihre Zukunft. Können wir das vielleicht erstmal anerkennen, bevor wir alles direkt schönreden und im besten Lindner-Deutsch von "dornigen Chancen" reden?

Versteht mich nicht falsch, ihr könnt so viele Sprachen lernen, so viele neue Fitnessprogramme durchziehen und so viele neue Online-Workshops absolvieren, wie ihr wollt. Stört mich nicht, im Gegenteil, feier ich sogar. Aber bitte lasst auch Raum für negative Gefühle. Ich habe sie, und ich weiß, dass ihr sie auch habt. Wir alle vermissen es, uns unbeschwert draußen zu bewegen, unsere Freunde im Park zu treffen, ins Kino oder einfach nur mit unseren Kollegen in die Mittagspause zu gehen.

Ich vermisse es sogar, meinen Hausverwalter im Flur zu treffen und mir sein Gejammer über böse Nachbarn anzuhören, die den Müll nicht richtig sortieren. Dauernd zu Hause zu sein klingt vielleicht erstmal ganz gemütlich, in der Praxis ist es vor allem langweilig und eintönig. Und Homeoffice schön und gut, aber als wir noch alle in einem Raum saßen, war die Kommunikation um einiges leichter – und unterhaltsamer.

Und diese Gefühle haben ihr Recht, und dürfen nicht einfach mit einer großen "Wir sehen in jeder Krise nur Positives"-Euphorie zugeschüttet werden. Halten wir es doch mal aus, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens zwar notwendig sind, sich aber trotzdem scheiße anfühlen. Wir müssen nicht immer gut drauf sein oder in allem zwanghaft sofort irgendwas Positives entdecken. Hinterher gerne.

Wenn diese Corona-Krise überstanden ist, werden wir ja sehen, was es uns gebracht hat und ob wir etwas daraus gelernt haben. Und auch jetzt müssen wir natürlich nicht ständig Trübsal blasen. Aber gestehen wir uns doch bitte zu, dass die Situation belastend ist. Für uns, für andere, für alle. Und hören wir mal wenigstens für einen Moment damit auf, alles als eine Möglichkeit der Selbstoptimierung im Sinne der Anforderungen des Marktes zu begreifen.

Tim: "Ist doch schön, wenn die Situation für produktive Dinge genutzt wird"

Seitdem viele Menschen zwangsläufig in ihren Wohnungen festsitzen, bekämpfen sie ihre Langeweile, indem sie sich mit Dingen beschäftigen, für die sie sonst keine Zeit hätten. Oder glaubten, keine Zeit zu haben. Mich eingeschlossen.

Denn wie viele andere treibe auch ich viel Sport in den eigenen vier Wänden. Ist doch schön, wenn die Situation für produktive Dinge genutzt wird. Besser als Däumchen drehend zu warten, bis alles vorüber ist. Also wird gepumpt, gestrickt und gelernt, was das Zeug hält.

Nun wird von vielen jeder Liegestütz via Video festgehalten und ins Internet gestellt. Und das ist okay. Wenn die Bestätigung in der Realität ausbleibt, wird virtuell nachgeholfen. Jemandem daraus einen Vorwurf zu machen, ist in Anbetracht der Umstände nicht fair. Andere könnten dadurch doch auch motiviert werden, etwas zu tun.

Immerhin befinden wir uns in einer neuen Lage. Einer fremden Lage. Einer Lage, mit der wir erst lernen müssen umzugehen. Postet jemand also ein Video, in dem er verschwitzt einen Trainingsplan abarbeitet, oder eine Statusmeldung, in der er groß ankündigt, dass er endlich Mandarin lernt, ist das eine Bewältigungsstrategie – und keine reine Selbstdarstellung.

Trotzdem meint manch einer, genau das darin zu sehen.

Schnell werden also Kommentare verfasst, die sich nicht nur auf die Videos beziehen, sondern auch auf den Charakter ihrer Urheber. "Verantwortungslos", heißt es darin meistens. Begründet wird das Ganze damit, dass da draußen ja Leute sterben. Sport zu treiben und gesund zu essen sei entsprechend ignorant. Wieso das so sein soll, erschließt sich mir nicht.

Ist es nicht vielmehr ignorant, den Menschen anhand zweiminütiger Clips vorzuwerfen, ihnen wäre die gesamte Situation egal?

Ich möchte mir nicht anmaßen, den Leuten vorzuwerfen, sie würden die schweren Auswirkungen der Corona-Pandemie ausblenden, bloß weil sie nun mehr Sport treiben oder sich anderweitig beschäftigen. Sind es doch gerade diese Auswirkungen, die sie genau dazu zwingen.

Auch ich kann mich nicht davon freisprechen, mich irgendwie abzulenken. Kaum war ich im Homeoffice, schoss mein Trainingspensum rapide in die Höhe.

Nun war ich schon immer sportbegeistert. Doch statt mich zu beklagen, dass die Fitnessstudios dicht sind, sehe ich die Situation als Chance, neue Wege zu ergründen – und dabei zu improvisieren. Also heißt es nun regelmäßig Frühsport treiben, mit Übungen, die ich durch eben die Videos kennenlernte, die ja so gern kritisiert werden. Bestenfalls vor der Arbeit. Denn die zwingt mich wieder dazu, mich mit dem Coronavirus zu beschäftigen.

Aus der Ferne betrachtet scheint das ablehnende Verhalten vielmehr eine Trotzreaktion zu sein. Und erklärt wird diese mit vorgegaukelter moralischer Überlegenheit. Denselben Mechanismus beobachte ich nur allzu häufig im Supermarkt. Haut jemand seinen Einkaufswagen mit Lebensmitteln für die Woche voll, wird er schnell zum Hamsterkäufer.

Ob es sich um Paletten mit Konserven handelt oder um eine Mischung aus Gemüse, Obst und anderen Kram, ist egal – solange man herablassend schauen kann. Bevor sich jetzt jemand ertappt fühlt und ärgert, kürze ich das Ganze mit einer über Jahre hinweg abgegriffenen Lebensweisheit ab: Leben und leben lassen.

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