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Sorge um Corona-Impfstoff: Sind Ängste vor Nebenwirkungen berechtigt?

Bald könnten die ersten Menschen gegen Corona geimpft werden. (Symbolbild)
Bald könnten die ersten Menschen gegen Corona geimpft werden. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / Manit Chaidee
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Impfen oder nicht? Was hinter dem Corona-Impfstoff steckt – und ob Ängste berechtigt sind

22.11.2020, 15:0123.11.2020, 11:43
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Es ist eine Freudenbotschaft, quasi die Erlösung: Biontechs Corona-Impfstoff steht kurz vor der Zulassung. Jubel im Netz, in der Politik, im Gesundheitswesen. Fast, so scheint es, als könnte uns ein kleiner Pieks aus diesem bösen Traum erwachen lassen, uns zurück in die Normalität führen. Klar: ein Impfstoff könnte das Virus kontrollierbar machen, selbst wenn er keinen hundertprozentigen Schutz bietet. Es müsste sich allerdings nahezu die gesamte Weltbevölkerung impfen lassen.

Aber das wird nach dem CEO des "Serum Institute of India", Adar Poonarwalla, bis 2024 dauern. Grund ist die Produktion des Impfstoffs. Doch selbst wenn ausreichend Dosen zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, ob sich auch ausreichend Menschen das Mittel injizieren. Dafür braucht es Vertrauen, das hat nicht jeder.

Laut ARD-Deutschlandtrend gaben Anfang November 27 Prozent von rund 1000 Befragten an, sich nicht gegen Corona impfen lassen zu wollen. Interessant ist, dass die Impfbereitschaft in den vergangenen Monaten gesunken ist. Wollten sich im August noch 44 Prozent der Befragten impfen lassen, sind es im November nur noch 37. Je näher ein Impfstoff kommt, desto skeptischer werden die Menschen – zumindest scheint es so.

Zwischen Angst und Unwissen

Derzeit gibt es einige vielversprechende Impfstoff-Kandidaten. Jüngstes Beispiel ist der des britischen Pharmakonzerns Astra-Zeneca mit einer durchschnittlichen Wirksamkeit von 70 Prozent. Beim Vakzin des US-Unternehmens Moderna liegt sie hingegen bei knapp 95 Prozent. Am präsentesten dürfte aber der Impfstoff von Biontech und Pfizer sein. Zwar nimmt sich seine Wirksamkeit mit 95 Prozent nicht viel von dem Ableger von Moderna, doch er war der Erste, dessen Einsatz in Kürze möglich sein könnte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnet bereits im Dezember oder zur Jahreswende mit der europaweiten Zulassung eines Corona-Impfstoffs, etwa von Biontech und Pfizer – in den USA beantragten sie eine Notfallzulassung bei der "Food and Drug Administration". Was so manchen daran beunruhigt, ist die Eile, mit der der Impfstoff entwickelt und geprüft wurde.

"Der Stoff gegen Covid-19 wurde jetzt in einem solchen Tempo entwickelt, dass es zwar beeindruckend ist, aber die Folgen aufgrund von Nebenwirkungen nicht abzusehen sind", sagt etwa Sandra (Name von der Redaktion geändert) im Gespräch mit watson. Die 30-Jährige ist nicht gegen das Impfen per se, einen Corona-Impfstoff verabreichen lassen will sie sich aber nicht. Zu groß sei die Sorge vor schweren Nebenwirkungen.

Es ist nicht leicht, Menschen wie Sandra die Ängste zu nehmen. An Informationen mangelt es zwar nicht, ein mulmiges Gefühl hinterlässt der schnelle Entwicklungs- und Prüfprozess des Vakzins trotzdem. Zudem handelt es sich bei dem Ableger von Biontech um einen mRNA-Impfstoff. Es wäre laut Paul-Ehrlich-Institut der erste seiner Art, der eine europaweite Zulassung bekommt. Bisher werden zwar andere Impfstoffe dieses Typs, etwa gegen Krebs oder Tollwut, in klinischen Studien geprüft, aber auch bei ihnen ist nicht klar, ob und wann sie einsatzfähig sind.

Was sind mRNA-Impfstoffe?
Im Grunde enthält er Viruserbgut, also die Informationen für die Bestandteile eines Virus – quasi einen Bauplan. Anhand dieses Plans stellt der Körper das Oberflächenprotein des Virus selbst her und bekämpft es. Da es sich dabei lediglich um einen kleinen Teil des Erregers handelt, geht von diesem keine Gefahr aus.

Vorteil dieser Methode ist, dass Unternehmen Impfdosen einfacher und schneller im großen Stil produzieren können. Klassische Produktionen nehmen deutlich mehr Zeit in Anspruch. Dafür müssen Viren angezüchtet werden, das ist aufwändig und kostenintensiv. Der Nachteil ist jedoch, dass noch keine Impfstoffe dieses Typs im Umlauf sind. Ein flächendeckender Einsatz wäre Neuland.

Wie es um die Sicherheit des Impfstoffs steht

Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass der Biontech-Impfstoff zu schweren Nebenwirkungen führt. Außerdem verlief das Zulassungsverfahren für diesen relativ normal, wenn auch etwas schneller als gewohnt. "In der aktuellen Situation wurde keine Phase der Zulassung übersprungen, vielmehr wurden die Studienprogramme maximal beschleunigt und, soweit vertretbar, parallelisiert", sagt der Infektiologe Christoph Spinner im Gespräch mit watson. Das Sicherheitsprofil müsse natürlich weiterhin beobachtet werden, aber bisher zeichne sich der Impfstoff durch eine gute Verträglichkeit sowie höchstens milde Nebenwirkungen aus.

Die Sorgen um den Impfstoff, etwa von Sandra, haben einen weiteren Grund, der in einem Problem fußt: die Kommunikation. Biontech verkündete einen Durchbruch, kurz darauf stand bereits der Einsatz eines Impfstoffs im Raum. Bis auf Phase-I- und -II-Studien gab es aber kaum Informationen für die Öffentlichkeit.

Diese Phasen durchlaufen Impfstoffe bei klinischen Studien
Präklinik: Zunächst muss sich ein Impfstoff bei präklinischen Studien bewähren, bevor er an Menschen getestet wird. Geprüft wird dabei, ob der Impfstoff einen bestimmten Krankheitserreger daran hindert, menschliche Zellen zu infizieren. Außerdem wird geprüft, welche Dosis die Richtige ist, ob er sicher ist, wie es um Nebenwirkungen steht, wie er sich im Organismus verhält und wie er verabreicht werden könnte.

Phase I: Hier wird der Impfstoff erstmals Menschen verabreicht. Die Arzneien werden dabei an kleinen Gruppen, in der Regel weniger als 100 Probanden, getestet. Es geht darum, herauszufinden, wie der Körper auf das Vakzin reagiert und ob es eine Immunantwort gibt.

Phase II: An diesen Studien nehmen normalerweise mehr als Hundert Probanden teil. Es geht für Forscherinnen und Forscher darum, die richtige Dosis zu finden und zu beobachten, ob der Wirkstoff Nebenwirkungen hat, für Menschen gar schädlich ist.

Phase III: Lief alles reibungslos, folgen Mammutstudien mit Tausenden bis mehreren Zehntausend Probanden. Warum? Der Impfstoff muss hier beweisen, dass er auch in der Realität funktioniert, also bei vielen, vielen Menschen wie sie nun mal in der Bevölkerung vorkommen. Es wird geprüft, ob sich Geimpfte tatsächlich seltener oder überhaupt nicht mit einem Erreger infizieren. Außerdem geht es weiterhin um die Sicherheit des Vakzins.

Phase IV: Sämtliche Daten aus den vorherigen Studien werden nun von einer Prüfbehörde, für Europa etwa die "European Medicines Agency", geprüft. Anschließend kommt der Impfstoff auf den Markt. Studien werden jedoch weithin durchgeführt. So werden in den Phase-IV-Studien weitere Beobachtungen vorgenommen, um zu schauen, wie gut Geimpfte den Impfstoff vertragen.

Das Unternehmen machte lediglich das Versprechen, die Phase-III-Studie sei abgeschlossen, der Impfstoff gewähre einen neunzigprozentigen Impfschutz. Jedoch legte es zunächst keine weiteren Informationen vor. Und trotzdem folgten Freudenschreie aus Politik und Wissenschaft. Bei Außenstehenden sorgte das teilweise für Unbehagen.

Heute wissen wir mehr

Mittlerweile ist mehr zu Biontechs Impfstoff mit dem Namen BNT162b2 bekannt. Das Unternehmen veröffentlichte kürzlich eine Auswertung seiner Phase III-Studie, an der 43.000 Menschen teilgenommen hatten. Ein Teil davon bekam das Mittel, der Rest ein Placebo. 170 Teilnehmer infizierten sich mit Covid-19, acht von ihnen gehörten zur geimpften Gruppe. Daraus ergibt sich eine Wirksamkeit von 95 Prozent. Bei der europäischen Arzneimittelbehörde läuft bereits ein sogenanntes "rolling approval", dabei handelt es sich um einen Zulassungsprozess, bei dem Pfizer und Biontech ihre Daten fortwährend mit der EMA teilen. Das beschleunigt das Verfahren.

Der neue Wissensstand könnte Ängste nehmen und Hoffnung schüren. Hoffnung auf umfassenden Schutz, Hoffnung auf ein normales Leben, Hoffnung auf ein Ende der Pandemie. Das lässt sich jedoch am ehesten über eine Herdenimmunität erzielen. Laut Europäischem Zentrum für Prävention und die Kontrolle von Krankheiten genüge dafür eine Immunisierung von zwei Dritteln der Bevölkerung, um zu verhindern, dass sich Corona weiter verbreitet. Mit einem Impfstoff wäre das zwar möglich, doch dafür müsse geklärt werden, wie lange er schützt.

Ungeklärte Fragen

Schließlich fällt die Wirkdauer der Impfstoffe unterschiedlich aus. Die Impfung gegen Kinderlähmung hält beispielsweise jahrelang, während die gegen Grippe nur einen einjährigen Schutz verspricht. Wie es sich bei Corona-Vakzinen verhält, wissen wir nicht. Dafür braucht es Langzeitstudien, die in diesem Fall bekanntermaßen fehlen. Es ist nicht einmal bekannt, wie lange genau eine Immunität nach einer überstandenen Corona-Infektion hält. Für den Münchener Kinder- und Jugendarzt Steffen Rabe vom Verein Ärzte für individuelle Impfentscheidung ist das alles andere als optimal, wie er zu watson sagt:

"Dieses grundlegende Problem, dass gegen kein Coronavirus bisher eine dauerhafte Immunität erzeugt werden konnte, zeigt, dass es völlig unklar ist, ob wir dieser Herausforderung überhaupt mit einem Impfstoff begegnen können. Ich bin da sehr skeptisch."

Was beim Biontech-Impfstoff ebenfalls noch unbekannt ist: Verhindert er weitere Ansteckungen? "Bei der öffentlichen Diskussion um den möglichen Impfstoff wird gar nicht differenziert zwischen dem individuellen Schutz des Geimpften – und dem Schutz der Gemeinschaft", so Rabe. Bei manchen Krankheiten ist es nämlich möglich, dass eine geimpfte Person zwar selbst nicht mehr erkrankt, die Erreger aber weitertragen kann. Wie es sich beim neuartigen Coronavirus verhält, wissen wir noch nicht.

Bislang deuten erste Erkenntnisse zu den Impfstoffen lediglich darauf hin, dass Menschen nicht an dem Virus erkranken – in Biontechs Fall gilt das für junge Menschen mit starkem Immunsystem genauso wie für ältere. Ob sich Geimpfte aber mit dem Virus infizieren und es unbemerkt weitergeben, ist nicht ausgeschlossen.

Impfen oder nicht impfen?

Noch gibt es eine Menge offener Fragen. Biontech versprach aber, Informationen nachzuliefern. Vielleicht schafft es das Unternehmen, Unsicherheiten, wie sie etwa Sandra hat, zu beseitigen. Ob ein Impfstoff letztlich die Corona-Pandemie beendet, scheint nach aktuellem Stand allerdings unwahrscheinlich. Das gilt ebenfalls für die Herdenimmunität. Hier warnt auch Eleanor Riley, Professorin für Immunologie an der Universität Edinburgh, im Gespräch mit Reuters, das diese bei Covid-19 nicht erreicht werden könnte. Deshalb wäre es ihrer Meinung nach sinnvoll, mit einem Impfstoff die am stärksten Gefährdeten zu schützen.

"Vergessen wir den Schutz der Massen, um die Verletzlichen zu schützen. Lasst uns die Verwundbaren direkt schützen."

Dafür müsste die Bundesregierung bei der Verteilung der Dosen jene Menschen präferieren. Vielleicht könnte es sich für manche dann tatsächlich so anfühlen, als wären sie aus einem bösen Traum erwacht. Und das alles nur mit einem kleinen Pieks.

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