Nachhaltigkeit
Interview

Warum sich Gutverdiener für Klimaschutz interessieren – aber nicht danach handeln

Woman at airport waiting area
Fliegen ist einer der größten Klimakiller. Darauf verzichten wollen viele trotzdem nicht.Bild: E+ / svetikd
Interview

Warum sich Gutverdiener für Klimaschutz interessieren – aber nicht danach handeln

01.07.2020, 17:4428.09.2020, 12:40
Mehr «Nachhaltigkeit»

Weniger Fleisch essen, weniger Fliegen und Auto fahren, dafür mehr regional und Bio-Produkte kaufen – eigentlich wissen wir sehr genau, was wir tun müssten, um uns klimafreundlich zu verhalten. In vielen Fällen flüchten wir uns dennoch in Ausreden. Mehr noch: Insbesondere diejenige, die eine hohe Bildung sowie ein hohes Gehalt haben und sich um Umweltschutz viele Gedanken machen, verpesten das Klima, sagt Nachhaltigkeitsforscher Felix Ekardt.

Im Interview mit watson erklärt der Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig, woran das liegt – und warum die Folgen der Klimakrise weltweit vor allem die Ärmsten treffen. Er warnt: Wenn wir nicht handeln, steuern wir direkt in eine Klimakatstrophe.

"Die Klima-Emissionen pro Kopf steigen, je mehr Geld wir verdienen."

watson: Wer genug Geld hat, kauft umweltfreundliches Biogemüse, setzt sich dann aber auch für ein verlängertes Wochenende in den Flieger nach Sardinien. Sind Gutverdiener die größeren Umweltsünder?

Felix Ekardt: Die empirischen Daten sind eindeutig: Die Klima-Emissionen pro Kopf steigen, je mehr Geld wir verdienen. Das ist wenig überraschend, denn Fakten, Wissen und Werthaltungen machen nur einen kleinen Teil unserer Motivation aus.

Heißt das, wir machen uns mehr Gedanken um Klima- oder Umweltschutz, setzen diese aber nicht in Taten um?

Nicht zwangsläufig. Häufig korreliert ein hohes Einkommensniveau allerdings mit einem hohen Bildungsniveau, und das führt wiederum oft zu einem größeren Interesse an Klimaschutz. Das bedingt aber nicht unbedingt einen besonders kleinen ökologischen Fußabdruck – im Gegenteil.

Wie passt das zusammen?

Die menschliche Motivation ist weit vielschichtiger als Fakten, Wissen und Werthaltungen. Es geht auch um Eigennutzenkalküle. Bestimmte Lebensstile gelten außerdem als normal – zum Beispiel, mal eben schnell zu fliegen, wenn man sich das leisten kann. Ganz wichtig sind auch unsere Emotionen: Faktoren wie Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung, die Neigung zu Ausreden oder andere zu Sündenböcken zu machen. Damit überlagern wir das, was wir an Werthaltungen und Faktenwissen eigentlich mitbringen.

"Der Klimawandel tötet heute schon Menschen. In dem Moment, wenn Wasser knapp wird und Kriege und Bürgerkriege wahrscheinlicher werden, wird das noch in viel größerem Umfang passieren."

Und steigen dann trotz schlechtem Gewissen regelmäßig für eine Fernreise in den Flieger...

Fernreisen verbinden viele Menschen mit Erlebnissen und Erfahrungen, und diese sind in der westlichen Welt seit dem 19. Jahrhundert so etwas wie das primäre Lebensziel. Da gerät in den Hintergrund, dass wir mit unserem fossilen Brennstoffverbrauch Bestandteil einer langfristig tödlichen Praxis sind. Der Klimawandel tötet heute schon Menschen. In dem Moment, wenn Wasser knapp wird und Kriege und Bürgerkriege wahrscheinlicher werden, wird das noch in viel größerem Umfang passieren. Außerdem kann man nur schwer sagen, warum Erlebnisse so wichtig sein sollen – und warum Reisen in Länder, die ich in ein paar Wochen ohnehin kaum kennenlerne, mir wirklich so viel bringen sollten.

Felix Ekardt ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.
Felix Ekardt ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.bild: privat

Umfragen zufolge fliegen ausgerechnet Grünen-Wähler am häufigsten. Haben sie also die schlechteste Klimabilanz?

Soweit es statistisch erhoben wurde, sind Grünen-Wähler überdurchschnittlich wohlhabend und überdurchschnittlich gebildet. Dementsprechend kann es in der Tat passieren, dass sie einen besonders großen ökologischen Fußabdruck haben.

"Geringer Wohlstand entlastet häufig die Umwelt."

Wie groß ist das Umweltbewusstsein in Familien, die soziale Leistungen wie Hartz IV beziehen? Können sie es sich überhaupt leisten, sich über Nachhaltigkeit Gedanken zu machen?

Das Umweltbewusstsein mag dann mitunter geringer sein, da Wissen und Werthaltungen oft Folge einer bestimmten Sozialisation sind. Umweltbewusstsein hat aber nur einen sehr kleinen Einfluss auf unser tatsächliches Umweltverhalten. Es wäre deshalb unzutreffend, zu meinen, dass Hartz-IV-Familien quasi das Kernproblem seien. Im Gegenteil: Geringer Wohlstand entlastet häufig die Umwelt. Obwohl man sagen muss, dass Hartz-IV-Empfänger weltweit kaufkraftbereinigt immer noch zu den wohlhabendsten 15 Prozent gehören.

Werden Einkommensschwächere von klimapolitischen Maßnahmen wie einer höheren Energiesteuer aber nicht stärker getroffen?

Wenn man in der EU beispielsweise beschließen würde, fossile Brennstoffe in 20 Jahren schrittweise aus dem Markt zu nehmen, dann würde der Preis in der Übergangszeit, so lange es noch fossile Brennstoffe gibt, sprunghaft steigen. Das ist natürlich für Menschen mit geringerem Einkommen ein größeres Problem, weil sie zwar weniger verbrauchen, aber auch weniger finanziellen Spielraum haben. Deswegen sollte man solche Maßnahmen mit einer moderaten Anhebung der sozialen Grundsicherung kombinieren. Das würde bewirken, dass der Druck auf die Mitbürger, sich schnell von den fossilen Brennstoffen weg zu orientieren, weiter steigt, denn die Gesamt-Mengengrenze der fossilen Brennstoffe bliebe ja die gleiche.

"Man macht ein bisschen weniger Klimapolitik, um sozial netter zu sein – aber das ist fatal, weil der Klimawandel an sich ein riesiges soziales Problem ist, das vor allem die Ärmsten weltweit treffen wird."

Müssen klimapolitische Vorstöße also immer auch Sozialpolitik mitdenken?

Man sollte das beides zusammen denken, aber anders, als es bisher geschehen ist. In der Vergangenheit wurden Klima- und Sozialpolitik gegeneinander abgewogen. Insofern muss man mit absoluter Konsequenz raus aus den fossilen Brennstoffen, und nebenbei bemerkt auch die tierischen Produkte reduzieren. Die damit verknüpfte Verteilungsfragen muss man zum Beispiel durch eine Verbesserung der Grundsicherung beheben.

Wie sieht es auf globaler Ebene aus? Nicht jedes Land kann es sich wie Deutschland leisten, in Klimaschutz und Sozialpolitik zu investieren.

Die größten Verteilungsfragen in Folge der Klimapolitik sind tatsächlich nicht innerhalb Deutschlands zu erwarten, sondern im weltweiten Maßstab. Man wird, wenn man eine Mengengrenze für fossile Brennstoffe etablieren will, gleichzeitig Ländern des globalen Südens helfen müssen, beispielsweise eine Renten- oder Arbeitslosenversicherung aufzubauen. Das klingt erst einmal teuer für uns, und das ist es sicher auch. Es ist aber mit Sicherheit sehr viel billiger, als die Welt in eine Klimakatastrophe und Klimakriege hineinzuführen. Und wir haben momentan pro Kopf ein Vielfaches der Emissionen von Menschen etwa in Afrika und sind alles andere als Umweltvorreiter.

Wie kann eine Klimakatastrophe oder gar ein Klimakrieg noch abgewendet werden?

Die politische Forderung für die nächsten zwei Jahrzehnte müsste in möglichst vielen Ländern, beispielsweise auf EU-Ebene plus verbündete Staaten, lauten, fossile Brennstoffe ganz aus dem Markt zu nehmen – und zwar in allen Sektoren: Strom, Wärme, Mobilität, Kunststoffe, Zement, Agrarwirtschaft. Das entspräche den Zielvorgaben des Pariser Klima-Abkommens.

"Momentan ist es eine Henne-Ei-Diskussion, welcher Akteur zuerst handeln muss: Politik, Produzenten oder Konsumenten."

Und was kann ich persönlich tun?

Ich kann meine Alltagsmobilität weg vom Auto entwickeln, ich kann meinen Urlaub weg vom Flugzeug entwickeln, ich kann meinen Nahrungsmittelkonsum weg von tierischen Produkten entwickeln. Ich kann meinen Plastikkonsum reduzieren, darauf verzichten, immer mehr Zement zu verbrauchen, indem ich auf freistehende Einfamilienhäuser setze, meinen Stromanbieter wechseln und vieles andere mehr.

Eigentlich wissen wir also, was zu tun ist. Woran hakt es dann trotzdem?

Momentan ist es eine Henne-Ei-Diskussion, welcher Akteur zuerst handeln muss: Politik, Produzenten oder Konsumenten. Dabei besteht die politische Sphäre nicht nur aus Politikern, sondern auch aus Wählern und Lobbyisten. Zur Sphäre von Konsum und Produktion gehören nicht nur die Konsumenten, sondern auch Unternehmen, die etwas anbieten, Politiker, die etwas erlauben, Wähler, die sie wählen. Wir zeigen auf die jeweils anderen Akteure. Die Politik mit null fossilen Brennstoffen wird aber nicht vom Himmel fallen. Die muss jemand politisch erkämpfen, und es muss jemand anfangen, in diesem Sinne zu leben. Denn solange das nur politische Forderungen und niemand gemeinsam mit anderen so seinen Alltag gestaltet, wird kein Politiker sich trauen, etwas Derartiges in die Wege zu leiten.

Der Einzelne kann also einen Unterschied machen?

Ja, weil er durch sein Engagement in Politik- und Konsumsphäre andere Leute zum Nachahmen animiert. Und außerdem für eine andere Politik zu kämpfen. Sonst wird uns das irgendwann ganz böse einholen. Dass unsere Kinder und Enkel eines Tages glauben werden, dass wir ja gar nicht anders handeln konnten – darauf würde ich mich nicht verlassen.

Wetter in Deutschland: Temperatur-Achterbahn bringt starken Wechsel

Seit Tagen gibt es in Deutschland allem voran ein Thema: das Wetter. Am Wochenende sprachen Meteorolog:innen von einer "Temperaturexplosion" und Rekorden, die nicht nur gebrochen, sondern gleich pulverisiert würden. Und sie sollten Recht behalten: Weiträumig gab es Temperaturen von über 25 Grad, im Rheintal wurden gar 30,1 Grad gemessen. Und das im April.

Zur Story