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Epidemiologe: Die Corona-Maßnahmen wirken, doch es gibt ein Problem

Menschen in München hinter einem Schild, das die Maßnahmen gegen das Coronavirus auflistet.
Menschen in München hinter einem Schild, das die Maßnahmen gegen das Coronavirus auflistet.Bild: dpa
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Epidemiologe: Die Maßnahmen wirken, doch es gibt ein Problem

02.04.2020, 13:55
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Okay, die gute oder die schlechte Nachricht zuerst? Na gut, hier ist die gute: Die von der Bundesregierung und den Ländern verhängten Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus scheinen zu wirken. Die schlechte aber: Dadurch entsteht möglicherweise ein anderes Problem.

So bilanziert der Epidemiologe Martin Eichner, die massive Kontaktbeschränkung führe dazu, dass sich deutlich weniger Leute ansteckten. "Das ist erstmal gut", sagte er der "Tagesschau". Zuletzt sei die Zahl der Neuinfektionen exponentiell gewachsen, was innerhalb naher Zukunft dazu geführt hätte, dass das Gesundheitssystem völlig überfordert gewesen wäre.

Das Problem sei laut Eichner nun allerdings: Wenn die Ansteckungen aufgehalten würden, werde auch kaum jemand immun.

"Wir brauchen aber aus epidemiologischer Sicht wohl etwa zwei Drittel Immunität in der Bevölkerung oder etwas mehr, um die Epidemie dauerhaft in den Griff zu bekommen."

Eichner erklärt auch, warum. Forscher gingen momentan davon aus, dass ein Infizierter im Schnitt zwei bis fünf Personen anstecke. Diese Zahl sinke aber, je mehr Menschen immun seien. Wenn ein Infizierter ohne Immunisierung also drei Leute anstecken würde, wären es bei einer Immunisierung von 50 Prozent der Bevölkerung nur noch 1,5 Menschen. Bei einer Zweidrittel-Immunität würde er dann nur noch einen anstecken – und damit würde die Kurve nicht weiter wachsen.

Die aktuellen Maßnahmen wertet Eichner demnach eher als eine Art Verzögerungsstrategie, mit der wir möglichweise nichts gewinnen:

"Wir gewinnen Zeit, aber die momentane Kontaktvermeidung verschiebt das Problem nur."

So könnte Immunisierung erreicht werden

Eine andere Möglichkeit wäre, Maßnahmen wieder zu lockern, um eine Immunisierung voranzutreiben. Wie diese konkret geschehen sollte, kann Eichner ebenfalls erläutern. Die aktuell bestehenden Einschränkungen müssten abwechselnd aufgehoben und wieder eingeführt werden.

"Um schneller eine hohe Immunisierung der Gesellschaft zu erreichen, müsste man die Kontakte wieder zulassen und zwar so lange, bis die Infektionszahlen wieder so stark ansteigen, dass es gesellschaftlich und für das Gesundheitssystem fast untragbar wird."

Wenn dann die Infektionswelle in vollem Gange sei, müsse man erneut intervenieren und die Kontakte unterbrechen, eventuell sogar noch stärker als jetzt.

Das Problem, das dabei auftritt, benennt Eichner selbst: Es wäre für die Bevölkerung extrem belastend, zum Beispiel Kitas und Schulen in unvorhersehbaren Zeitabständen zu öffnen, wieder zu schließen und dann wieder zu öffnen.

Andere Länder haben es versucht mit gezielter Durchseuchung

Dazu kommt, dass auch andere Länder, die es zunächst mit der Immunisierung im Kampf gegen Corona versucht haben, inzwischen davon abkommen. England zum Beispiel, dass am Anfang auf Herdenimmunität, also eine möglichst starke Verbreitung des Virus und eine damit einhergehende Immunisierung setzen wollte, hat inzwischen Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote verhängt. Oder die Niederlande, deren Premierminister Rutte in einer Fernsehansprache noch Mitte März verkündet hatte, dass die Regierung das Konzept der Herdenimmunität verfolgen wolle. Inzwischen gelten in unserem Nachbarland vergleichbare Kontaktverbote wie in Deutschland.

Auch der Virologe Christian Drosten sieht die Strategie der gezielten Immunisierung durch abwechselndes Lockern und wieder Anziehen der Maßnahmen skeptisch. "Das könnte man machen", sagte er in seinem NDR-Podcast "Coronavirus-Update" Mitte März. Darüber könne man die Fallzahl über lange Zeit in einem niedrigen Bereich halten.

"Aber man müsste das zwei Jahre durchhalten. Und das ist natürlich nicht denkbar."

Deshalb ist sein Fazit: "Wir brauchen etwas anderes, wir müssen etwas machen." Einen Impfstoff entwickeln, zum Beispiel, oder immerhin ein Medikament. Was Eichner kritisiert, nämlich, dass die pandemische Welle sich aufgrund der aktuellen Maßnahmen lediglich verschiebe, könnte sich auch als Segen entpuppen: Eine Verzögerung bedeutet schließlich auch mehr Zeit, um pharmazeutische Lösungen zu finden.

(om)

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