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"Schwarze Adler": Ex-Fußballprofi Jimmy Hartwig über Rassismus in Deutschland

Ex-Fußball Profi Jimmy Hartwig.
Ex-Fußball Profi Jimmy Hartwig.bild: BROADVIEW Pictures
Interview

"Ich habe freundlich gelächelt, aber innerlich geweint": Ex-Profi Jimmy Hartwig über Rassismus im Fußball

18.06.2021, 14:38
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Eigentlich hat Jimmy Hartwig immer ein breites Grinsen im Gesicht. Der heute 66-jährige Ex-Fußballprofi und Nationalspieler (zwei Spiele) galt in den 1980er Jahren als einer der besten Mittelfeldspieler Deutschlands. Doch eine Sache machte ihm seit seiner Kindheit immer wieder große Probleme: Rassismus.

"Ich hatte schon überlegt, ob ich mir die Haare blond färbe oder mir blaue Kontaktlinsen besorge."
Jimmy Hartwigs Kommentar zu seiner ausbleibenden
Nominierung für die deutsche Nationalmannschaft 1982

In der Dokumentation "Schwarze Adler", die zunächst nur bei Amazon Prime lief und an diesem Freitag auch im ZDF ausgestrahlt wird (23.30 Uhr und Mediathek), erzählt Hartwig von seinen Erfahrungen mit Rassismus. Ebenfalls zu Wort kommen dort andere bekannten Ex-DFB-Spieler wie Gerald Asamoah, Steffi Jones und Cacau sowie aktive Profis wie Jordan Torunarigha (Hertha BSC) oder Jean-Manuel Mbom (Werder Bremen).

Im Gespräch mit watson verriet Hartwig bereits im April, warum er dem Thema Rassismus immer mit einer gewissen Art von Humor begegnet, wieso er gerne nochmal jung wäre und was passieren muss, damit der Rassismus aus den Fußballstadien und von den Plätzen verschwindet.

watson: Herr Hartwig, die Dokumentation "Schwarze Adler" beginnt mit dem Warnhinweis, dass es schlimme Beleidigungen geben wird, die bei den Zuschauern heftige Reaktionen hervorrufen könnten. Sie hingegen begegnen dem Thema Rassismus vor der Kamera mit einem gewissen Witz.

Jimmy Hartwig: Ich glaube, wenn ich das in meiner Jugend nicht mit Humor gesehen hätte, hätte ich mir die Kugel gegeben. Ich habe mit dem achten Lebensjahr gemerkt, dass ich die Leute schauspielerisch ganz gut überzeugen kann. Ich habe allen mit einem freundlichen Lächeln "Guten Tag" gesagt, aber innerlich habe ich geweint.

Wie meinen Sie das genau?

Ich habe gelächelt und gesagt "Grüß Gott, Herr Müller" und wusste genau, dass wenn er sich umdreht, denkt: "Was will denn dieser Negerboy jetzt?" Nur so ging das und deswegen gehe ich ganz offen mit dem Thema um. Ich will zeigen: "Mich kriegt ihr nicht klein!"

zur Person Jimmy Hartwig
William Georg "Jimmy" Hartwig wurde 1954 als Sohn eines US-Soldaten und einer Deutschen in Offenbach geboren. Er begann seine Profi-Fußballkarriere nach Abschluss einer Lehre als Maschinenbauschlosser 1972 bei seinem Heimatverein Kickers Offenbach, wechselte 1974 zum TSV 1860 München und 1978 zum HSV, mit dem er bis 1984 drei deutsche Meisterschaften und den Pokal der Landesmeister gewann und ein UEFA-Pokal-Endspiel erreichte. 1979 absolvierte er zwei Länderspiele in der A-Nationalmannschaft, 1983 war er Mitglied der Olympia-Auswahl. Nach Beendigung seiner aktiven Karriere war Jimmy Hartwig Trainer, arbeitete als Moderator und verfasste zwei Biografien. Heute ist er für den DFB in der Integrationsarbeit tätig.

Mussten Sie lange überlegen, ob Sie so offen über Erfahrungen sprechen wollen?

Da hat es gar keine Überlegung gegeben. Ich wusste, dass sich alle Protagonisten mit diesem Film ein Stück öffnen können. Es wird hinterfragt, warum das so ist und warum sie Rassismus erlebt haben, obwohl sie in Deutschland geboren und groß geworden sind. Der Film zeigt einfach, was in den Menschen vorgeht.

Jimmy HARTWIG, Ex Fussballprofi, Einzelbild,angeschnittenes Einzelmotiv,Portraet,Portrait,Portr�t. Bayerischer Sportpreis 2020 in der BMW Welt, Roter Teppich,Red Carpet am 24.10.2020. *** Jimmy HARTWI ...
2019 wurde Hartwig die Bayerische Staatsmedaille für soziale Verdienste verliehen.Bild: www.imago-images.de / FrankHoermann/SVEN SIMON

Und weil Rassismus auch häufig einfach als "Beschimpfung" abgetan wird?

Genau. Das ist aber wirklich schlimm und geht ganz tief ins Mark. Du leidest als junger Mensch und ich habe schon ganz früh Rassismus erlebt. Der ist tief drin und den bekomme ich bis zum Tod nicht mehr hinaus. Aber wenn wir jungen Leuten weiter die Augen öffnen, können wir erreichen, dass wir noch einige Schritte nach vorn gehen. Es kommt nicht auf die Hautfarbe, sondern auf den Menschen an.

Die Doku ist zunächst nur bei Amazon Prime und dann am 18. Juni im ZDF zu sehen. Reicht das?

Dieser Film muss in jeder Schule und jedem Schulraum gezeigt werden. Überall dort, wo junge Leute sich aufhalten, muss diese Dokumentation zu sehen sein. Alle Protagonisten zeigen ihre tiefsten Gefühle, was beim Thema Rassismus auch wirklich nicht einfach ist.

"Ich bin zwar schon 66 Jahre alt, aber sage immer, dass wir junge Leute da sind, um die Welt zu verändern."

Sie selbst schildern eine Situation, bei der ihr Großvater vor dem Spiegel steht, seine Hand zum Hitlergruß hebt und sagt: "Ich bin für immer bei dir" und anschließend wurden Sie von ihm geschlagen. Haben Sie lange überlegt, ob sie diese private Geschichte erzählen?

Das musste ich erzählen, weil das ganz tief in meiner Seele liegt. Dieser Mann war von Grund auf ein bösartiger Mensch. Aber trotzdem war ich der Letzte, der im Krankenhaus bei ihm war, als er gestorben ist. Da hat er mir gesagt: "Mach’s gut, mein Junge" und als ich während dieser Worte seine Hand gehalten habe, habe ich alle Schläge gespürt, die ich bekommen habe.

Haben Sie ihm verziehen?

Man muss immer nach vorn schauen. Ich bin auch keiner der Fußballer, die zurückschauen, was sie 1973 für einen tollen Pass gespielt haben. Das ist vorbei und wir leben im Hier und Jetzt.

Wenn man sich die jüngste Vergangenheit anschaut, ist Rassismus jedoch nicht nur im Privaten, sondern auch auf dem Fußballplatz und im Stadion weiterhin keine Seltenheit. Erst vor zwei Wochen soll Mouctar Diakhaby vom FC Valencia von seinem Gegenspieler rassistisch beleidigt worden sein.

Ich glaube, dass diese Dokumentation jetzt rauskommt, ist genau der richtige Zeitpunkt. Wir müssen den Menschen mit diesem Film zeigen, wie sich solche Situationen anfühlen. Der Fußball ist der größte Integrationsmotor der Welt, aber polarisiert in dieser Hinsicht ungemein und in einer ganz speziellen Form.

Bildnummer: 03538943 Datum: 14.01.1984 Copyright: imago/Kicker/Liedel
Jimmy Hartwig (HSV, li.) gegen Karl Allg�wer (Stuttgart); DFB Pokal Pokalspiel, VfB Stuttgart - Hamburger SV 1:1 n.V., Hamburg, W ...
Mit dem Hamburger SV wurde Hartwig (l.) dreimal Deutscher Meister. null / imago images

Sie haben auch davon berichtet, wie Sie in den 80er Jahren vor der Bayern-Fankurve den größten Idiotenchor der Welt dirigierten. Sie mussten sich von den Fans unglaubliche rassistisch Gesänge anhören. Hat das zu dieser Zeit niemanden interessiert?

Überhaupt nicht. Immerhin hatte sich der Stadionsprecher des FC Bayern erbarmt, und die Fans aufgefordert, "unsere Gäste nicht zu beleidigen". Aber das war zu spät. Sie haben aber nicht gemerkt, dass sie mich mit den Gesängen nur noch besser gemacht haben. Ich habe an diesem Tag ein super Spiel gemacht.

Diese Gesänge gibt es heutzutage aber leider immer noch, wenn man nur an das EM-Qualifikations-Spiel der Engländer in Bulgarien Ende 2019 denkt. Dort gab es Affenlaute, den Hitlergruß und Bananen flogen auf das Spielfeld.

Wenn 20 oder 30 Leute Dinge wie "Negerschwein" rufen oder Affenlaute machen, aber 10.000 oder 15.000 Zuschauer aufstehen und schreien "Haut ab aus dem Stadion. Wir stehen gegen Rassismus", dann sind die innerhalb von Minuten ruhig. Aber solange die anderen sitzen bleiben und nichts sagen, wird es das immer wieder geben.

"Jetzt mit meinem Wissen für den größten Fußballverband der Welt zu arbeiten und gehört zu werden, ist ein Schritt, der mir als Nationalspieler abgesprochen wurde."

Der europäische Fußballverband UEFA und der Weltverband FIFA versuchen, mit Kampagnen und Werbefilmen wie "Say no to racism" oder "#EqualGame" dagegen vorzugehen.

Plakate alleine bringen nichts, es müssen Taten sein – egal, ob FIFA oder UEFA. Es ist schön, da einfach in einer Reihe zu stehen, wie es auch der DFB mit seinem Plakat und der Katar-Kritik gemacht hat, aber das reicht nicht. Die Leute müssen gemeinsam aufstehen und was dagegen sagen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber man muss immer wieder dagegen angehen. Ich möchte auch nochmal jung sein…

Und dann würden Sie viel bewegen?

Ich versuche jetzt mit 66 auch noch viel zu bewegen, aber das schaffe ich nur mit der Unterstützung junger Leute.

Bildnummer: 00912585 Datum: 15.07.1984 Copyright: imago/WEREK
Torjubel Jimmy Hartwig (li.), daneben Bernd Klotz (beide BR Deutschland Olympiaauswahl); William, Vdia, quer, Jubel, jubeln, Gestik, zeig ...
Jimmy Hartwig bejubelt seinen Treffer für die deutsche Nationalmannschaftbild: imago/werek

Dabei haben Sie im Kampf gegen Rassismus im Fußball schon viel bewegt. 1982 kritisierten Sie öffentlich im "Sportstudio" des ZDF, dass Sie aufgrund Ihrer Hautfarbe nicht für die Nationalmannschaft nominiert wurden.

Ex-Nationaltrainer Jupp Derwall hatte mir damals gesagt: "Nein, du gehörst nicht in die Nationalmannschaft". Und das, obwohl es keinen Mittelfeldspieler in Europa gab, der so viele Tore geschossen hatte wie ich und offensiv und defensiv so stark war. Ich hatte schon überlegt, ob ich mir die Haare blond färbe oder mir blaue Kontaktlinsen besorge.

Mit Nationalspielern wie Jérôme Boateng, Sami Khedira, Serge Gnabry, Leroy Sané, Antonio Rüdiger und vielen weiteren hat sich das glücklicherweise schon geändert.

Das ist heute so toll. Ohne die Integrationsspieler wie eben Boateng oder Khedira wären wir 2014 kein Weltmeister geworden. Andere Länder wie Holland, Belgien oder Frankreich haben diesen Wandel eher gemerkt. Dass Erwin Kostedde (erster deutscher, schwarzer Nationalspieler 1974, Anm. d. Red.) und ich auf der Strecke geblieben sind, war schlimm, aber wir haben die Tür geöffnet.

Jetzt sind Sie DFB-Botschafter für Fair Play, Vielfalt und Respekt. Also haben Sie Frieden mit dem Verband geschlossen?

Ich schaue nicht nach hinten. Das ist Vergangenheit und bringt mir kein Länderspiel mehr. Jetzt mit meinem Wissen für den größten Fußballverband der Welt zu arbeiten und gehört zu werden, ist ein Schritt, der mir als Nationalspieler abgesprochen wurde.

Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Ich darf in Vereine gehen, ich darf in Schulen gehen und ich spreche auch über Mobbing. Ich bin an der richtigen Position. Der DFB macht in dieser Hinsicht schon viel, aber der Verband müsste mit mir mehr machen. (lacht) Aber das kommt alles und ich bin stolz, diese Arbeit zu verrichten.

Germany: Fans watch South Korea vs Germany Former German international soccer player Jimmy Hartwig addresses the crowd on the stage. Several thousand fans came to the Commerzbank Arena in Frankfurt, t ...
Jimmy Hartwig als Moderator während der WM 2018 im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Bild: imago stock&people / Pacific Press Agency

Was geben Sie den Kindern und Jugendlichen für Botschaften mit?

Ich bin zwar schon 66 Jahre alt, aber sage immer, dass wir jungen Leute da sind, um die Welt zu verändern. Junge Leute müssen aufstehen und sagen "Wir entscheiden jetzt! Wir wollen mit allen Menschen in einer globalisierten Welt zusammenleben". Und das müssen sie nicht mit Gewalt, sondern mit Worten und Taten verdeutlichen. Das ist die größte Waffe des Menschen. Und das vermisse ich bei den jungen Leuten ein bisschen.

In der Dokumentation "Schwarze Adler" spricht auch Jordan Torunarigha von Hertha BSC. Der 23-Jährige wurde 2020 selbst Opfer rassistischer Äußerungen vor 60.000 Fans auf Schalke. Haben Sie mit ihm mal über die Situation gesprochen?

Nein, leider nicht. Ich würde mich aber gern mit den Spielern treffen.

Zumal Torunarigha aus Frust über die Beleidigungen einen Wasserkasten auf den Boden warf und dafür die Gelb-Rote Karte gesehen hat.

Da habe ich mich tierisch über die Sperrung aufgeregt. Den muss man freisprechen, dafür dem Verein ein Spiel ohne Zuschauer als Strafe geben. So treten sie noch die Person, die auf dem Boden liegt. Da machen wir drei Schritte zurück.

Was macht Sie für die Zukunft dennoch zuversichtlich?

Dass ich eine 11-jährige Tochter habe und in vielen Schulen unterwegs bin und dort viele positive Entwicklungen sehe. Da fängt die Rassismusbekämpfung an und wir müssen den Kindern zeigen, dass man keinen Menschen beschimpfen kann, weil er anders aussieht. Ich sehe, dass viele Elternteile ihren Kindern richtige Werte mitgeben und dann packen wir das alle gemeinsam.

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