Sommerinterviews haben in der Regel eines nicht: Aufregerpotential. In diesem speziellen Fall aber ist das anders. Die Kritik war schon da, als das Interview noch gar nicht ausgestrahlt worden war. Und das hatte mit dem Gast zu tun. Denn der MDR lud den völkischen Nationalisten der AfD, Björn Höcke, zum Sommerinterview.
Für Kritik sorgte, neben der Frage, ob ein öffentlich-rechtlicher Sender den Extrempositionen Höckes überhaupt eine Plattform bieten sollte, noch ein anderes Detail.
Der MDR hatte im Vorfeld des Interviews auf seiner Homepage dazu aufgerufen, dem AfD-Rechtsaußen Fragen zu stellen. Und weil es natürlich nicht alle Fragen in die Sendung schafften, hat sich der MDR gedacht, sie dem Politiker als "Hausaufgabe" mitzugeben. Doch: Verklickt sich der User am Ende der Eingabemaske auf der Homepage, dann könnten Name, Mail-Adresse und Wohnort bei Höcke und seiner Partei landen.
Zumindest steht es so am Ende der Eingabemaske. Dort heißt es: "Ich bin damit einverstanden, dass meine Frage, sofern sie nicht während des Interviews beantwortet wird, zusammen mit meinen oben angegebenen Kontaktdaten dem Interviewgast zur Beantwortung mitgegeben wird."
Und die "oben angegebenen Kontaktdaten" bestehen laut Maske aus Name, Wohnort (jeweils verpflichtend) und Mailadresse.
Der Grünen-Politiker Jürgen Kasek etwa schrieb:
Der MDR unterdessen verteidigte sein Vorgehen. Schließlich würde man nur Fragen weitergeben, "wenn die Fragenden das möchten", twitterte der Sender. Anschriften würden nicht abgefragt.
Handelt es sich bei dem "Wohnort", der laut Maske angegeben werden muss, nun schon um eine "Anschrift" (sprich: konkrete Adresse) oder nicht? Zumindest sorgte diese "Wohnort"-Frage des MDR dafür, dass User sie offenbar missverstehen.
Allem Anschein nach ließ sich eine recht große Zahl von Menschen trotz der missverständlichen Maske nicht davon abhalten, Höcke Fragen zu stellen. Beim am Freitagvormittag ausgestrahlten Interview übergab Journalist Lars Sänger dem AfDler einen prall gefüllten Katalog mit Zuschauerfragen.
Höcke nahm die Fragen an sich und versprach, diese zu sichten und sich in der nächsten Zeit dazu mehrmals öffentlich zu Wort zu melden.
Vor allem aber auf Twitter wurde kritisiert, dass durch die MDR-Aktion kritische Fragen samt Kontaktdaten des Absenders überhaupt bei Höcke landen könnten – bei jemandem, der zu solchen Aussagen fähig ist:
Gesagt hat das Björn Höcke bei der sogenannten Tagung des "Instituts für Staatspolitik" in Sachsen-Anhalt im November 2015. Auf dem Rittergut Schnellroda des Publizisten und Verlegers Götz Kubitschek treffen sich regelmäßig Gleichgesinnte, um ihre neurechten Ideologien auszutauschen. Und dazu zählen offenbar auch die Fortpflanzungsfantasien des Björn Höcke.
Gesagt hat das der thüringische AfD-Chef auf einer AfD-Demo in Magdeburg im Oktober 2015. Die Idee einer tausendjährigen Zukunft ist nicht neu. Adolf Hitler versuchte den Mythos eines tausendjährigen Reichs für seine NS-Propaganda zu nutzen. Das "Dritte Reich" der Nazis sollte einen Ewigkeitscharakter von 1000 Jahren haben. Eine Form der Erlösungsideologie, die an biblische Vorstellungen anknüpfte. Denn ursprünglich verstanden Christen unter dem "Dritten Reich" oder dem "tausendjährigen Friedensreich" das Reich des Heiligen Geistes.
Skizziert hat Björn Höcke seine Vision einer wiederzuentdeckenden Männlichkeit während einer Kundgebung im thüringischen Erfurt im November 2015. Wie weit diese männliche "Wehrhaftigkeit" gehen soll und darf, sagte Höcke nicht.
Mit "Denkmal der Schande" meinte Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin, das an die industrielle Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten erinnert. Höcke will sich offenbar nicht mehr erinnern. Mehr noch, er fühlt sich nicht wohl dabei. "Anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen," beschwert sich Höcke in seiner Rede, "wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht. So kann es und darf es nicht weitergehen!"In Höckes Welt ist es da nur konsequent, wenn er in seiner Rede eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert.
Ebenfalls Teil der Dresdner Rede ist Höckes Idee eines "vollständigen Sieges" – natürlich durch die AfD.
Gesagt hat er das am 18. Juli 2019 beim sogenannten "Kyffhäuser Treffen" im thüringischen Eichsfeld. Ein Treffen, das unter dem Motto "Der Osten steht auf" stand. Ende Oktober sind Landtagswahlen in Thüringen. Von Maulkörben, die laut Höcke in Deutschland offenbar verteilt werden, scheint er selbst allerdings nicht betroffen. Im Gegenteil: Die Maulkorbdemokratie lässt sogar wirre DDR-Vergleiche zu. "Ja, liebe Freunde," dozierte Höcke vor einem begeisterten Publikum, "es fühlt sich heute wieder so an, wie damals in der DDR." Zur Erinnerung: Björn Höcke ist Geschichtslehrer – und kommt aus Westdeutschland. Die Rede beendet Höcke im Übrigen mit den Worten: "Es lebe Thüringen, es lebe unser deutsches Vaterland. Es lebe das wahre Europa. Der Osten steht auf, holen wir uns unser Land zurück."
Am 14.07.2019 warnte Höcke in einer Wahlkampfrede vor der Stadthalle in Cottbus vor der "Abschaffung des deutschen Volkes". Es ist die große Erzählung in neurechten Kreisen. Den "großen Austausch" nennen sie das. Die Deutschen würden Stück für Stück durch Muslime unterwandert, so die Legende. Die Unterwanderung Deutschlands "verordnet" von multikulturellen Linken ist so eine Art zweite Dolchstoßlegende light, die sich besorgte Bürger und Rechtsextreme da am Lagerfeuer erzählen.
(ts)