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Links gegen Links – Warum die Szene nicht gemeinsam demonstrieren kann

BERLIN, GERMANY - MAY 01: Leftist demonstrators march during the "Revolutionary 1st of May" May Day protest in Kreuzberg district on May 1, 2017 in Berlin, Germany. Labour unions and leftist ...
Bild: Getty Images Europe
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Links gegen Links – warum die Szene getrennt demonstriert

01.05.2018, 14:0102.05.2018, 10:37
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Wer kurz vor dem 1. Mai durch den Berliner Bezirk Neukölln wandert, dem begegnen Hammer und Sichel. Die Graffitis mit dem kommunistischen Symbol prangen mittlerweile anscheinend überall: an Häuserwänden, in Kneipen, auf Straßenschildern. Dahinter steckt eine kleine, aber berüchtigte lokale Gruppe, die sich selbst "Der Jugendwiderstand" nennt.

Gegründet hat sie sich 2015. Auf ihrer Website zitiert sie Karl Marx und Mao Tse-Tung. Sie ruft zur sozialistischen Revolution auf, soll aber auch für Schmierereien verantwortlich sein, die antizionistische Gewalt predigen.

Auf seiner Facebook-Seite zeigte der Jugendwiderstand Bilder von Palästinensern, die eine israelische Flagge verbrennen und es gibt Berichte über gewaltsame Übergriffe auf andere linke Gruppen.

In der vergangenen Woche hat Facebook dann alle Online-Auftritte der Gruppe wegen Extremismus- und Antisemitismus-Vorwürfen gelöscht:

Wenn die linke Szene zum Tag der Arbeit in Deutschland auf die Straße geht, dann demonstrieren zahlreiche linke Gruppen, von der einfachen Gewerkschaft bis hin zur Linksradikalen. Unter letzteren befinden sich auch zahlreiche israelkritische und oft antisemitische Gruppen. Der Jugendwiderstand aus Neukölln ist nur ein Beispiel.

Seit Jahren schwelt in der linksradikalen Szene ein Konflikt vor allem zwischen zwei Grundströmungen: den proisraelischen sogenannten Anti-Deutschen und den propalästinensischen Anti-Imperialisten, die in zentralen Punkten kaum unterschiedlicherer Meinung sein könnten.

Wer denkt da eigentlich was, und wie groß ist das Antisemitismus-Problem in der linken Szene? Ein Überblick:

Die Anti-Imperialisten

Grundsätzlich sehen die sogenannten Anti-Imps den Imperialismus als die höchste Form des verfeindeten Kapitalismus an. Sie glauben: Staaten und Unternehmen wollen darin Profit machen, indem sie "Märkte für Rohstoffe, Arbeitskräfte, und den Absatz von Produkten notfalls gewaltsam erschließen",  so beschreibt es der Politologe und Extremismus-Forscher Rudolf van Hüllen.

Am Ende führt das in den Augen der Anti-Imps zu Kriegen zwischen Staaten und zur Kolonialisierung der Schwächeren.
Seit den 60er Jahren und spätestens seit dem israelischen 6-Tage-Krieg von 1967 gehört dieser Weltsicht nach auch der Staat Israel zu den "Kolonialisierern".

Den sehen Anti-Imperialisten als Besetzer Palästinas an. Die Palästinenser selbst werden demnach zu Vertriebenen, deren Kampf gegen die Unterdrückung die Anti-Imps solidarisch beistehen wollen.

Eine solche Grundhaltung zum Nahost-Konflikt kollidiere aber mit einem linken Grundgedanken, schreibt Politologe van Hüllen: dem Antifaschismus. Und das sorgt für Streit, vor allem mit einer anderen Gruppe.

Die Antideutschen

Die Bewegung der sogenannte Antideutschen hat sich seit der Wiedervereinigung fest im linken Spektrum etabliert, wie die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt.

Entstanden ist diese politische Strömung aus der Ablehnung eines vereinten Deutschlands, in dem die Antideutschen ein Wiedererstarken faschistischer Ideologien erwarteten.

Sie versteht sich deshalb häufig als anti-national und richtet sich vor dem Hintergrund des zweiten Weltkriegs und des Holocausts vor allem gegen jede Form des deutschen Nationalismus. Darauf aufbauend entsteht in vielen Gruppen eine teils dogmatische Ablehnung Deutschlands.

Gleichzeitig solidarisieren sich die Anti-Deutschen mit Israel als jüdischem Staat. Sie haben dem Antisemitismus und jeglicher Israelfeindschaft den Kampf angesagt. Auch der in vielen Teilen der Linken weit verbreitete Antiamerikanismus wird von den Antideutschen kritisiert. Sie wenden sich außerdem sehr entschieden gegen Islamismus.

Der ewige Streit zwischen den beiden linken Lagern

Bereits im Sommer 2004 berichtet der Berliner Verfassungsschutz von Demonstrationen „Linksextremisten gegen Linksextremisten“, bei denen es unter zahlreichen Teilnehmern zu gewalttätigen Zwischenfällen kam. Grund war dem Bericht nach, dass Anti-Deutsche eine israelische Flagge an der Spitze eines Protestzugs gegen Nazis wehen lassen wollten.

Seitdem gibt es immer wieder Probleme zwischen den Gruppen. Regelmäßig deutlich werden sie eben auch am ersten Mai, wenn die Veranstalter von Demonstrationen sich weigern, beim jeweils anderen Zug mitzulaufen, oder bestimmte Gruppen ausschließen. 

Der Jugendwiderstand etwa läuft nicht mit der Hauptdemonstration in Berlin mit, sondern ruft zu einer eigenen Veranstaltung auf: "Heraus zum roten 1. Mai”. Dazu werden einige hunderte Menschen erwartet. Zum Vergleich: Auf der "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration" von anderen linken Gruppen in Berlin werden es tausende Besucher sein.

Gleichzeitig gibt es aber auch in den großen Zügen oft Streit. Das war etwa vor zwei Jahren in Berlin der Fall, als Mitglieder des BDS bei der Demo mitliefen, die dazu aufrufen, den Staat Israel wirtschaftlich und kulturell zu boykottieren.

Gewinnen anti-israelische Gruppen an Einfluss?

Es fühlt sich bei so vielen Gruppen, die sich offen gegen Israel aussprechen, so an, als würde der Antisemitismus in der linken Szene an Boden gewinnen.

So präsentierte sich der Jugendwiderstand auf Facebook:

Bild
facebook/Screenshot/huffington post

"Man darf die Wirkung von Gruppen wie dem Jugendwiderstand nicht unter, aber auch auch nicht überschätzen", sagt Carl Chung vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus. Chung beschäftigt sich für das Forum mit antisemitischen Tendenzen in linken Gruppen.

Er sagt:

"Der Jugendwiderstand ist eine kleine Gruppe, aber mit ihrer Gewaltbereitschaft haben sie definitiv eine Debatte über Antisemitismus in der Linken erneut losgetreten."
watson

Bei einer Aufstellung der Huffington Post und der Berliner Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) kam jüngst heraus: Seit der Gründung des Jugendwiderstand 2015 hat es 14 antisemitische Vorfälle im Zusammenhang mit der Gruppe gegeben, darunter Graffiti und Angriffe. Dazu kommen RIAS zufolge mehrere Demos mit antisemitischem Charakter.

Chung ist überzeugt:

"Es geht eher darum, welche Gruppen sich generell in diesem antisemitischen Spektrum positionieren"
watson

Der Politikwissenschaftler hält bisherige anti-israelische Gruppen für relativ isoliert in der Szene. Er zeigt sich aber besorgt darüber, dass antisemitische Meinungen immer mehr Zugang in die öffentliche Debatte rund um die radikale Linke bekämen.

Dieser Antisemitismus arbeitet sich dabei vor allem an Israel ab. Und versteckt sich nicht selten hinter der Chiffre "Israelkritik":

"Viel zu oft begeben sich Ostdeutsche in eine Opferrolle, in die sie nicht gehören"
Als Ostbeauftragter der Bundesregierung nimmt Staatsminister Carsten Schneider (SPD) auch eine Vermittlerrolle ein.

watson: Verzweifeln Sie manchmal an Ostdeutschland, Herr Schneider?

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