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Armut in Deutschland: Experte erklärt, warum die Reichen immer reicher werden

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Bild: Getty Images / watson Montage
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Armut in Deutschland: Experte erklärt, warum die Reichen immer reicher werden

08.10.2019, 12:03
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Die soziale Ungleichheit in Deutschland spitzt sich zu: Das zeigt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die am Montag vorgestellt wurde.

Wie ungleich Deutschland ist, zeigt sich vor allem in der Verteilung des Einkommens, das wird mithilfe des Gini-Koeffizienten gemessen. Der kann zwischen 0 und 1 liegen, wobei ein Wert von 0 in Bezug auf Einkommen bedeuten würde, dass alle Menschen gleich viel verdienen. Eine 1 hieße maximale Ungleichheit, bei der eine Person alles verdient.

Der neu berechnete Gini-Koeffizient von Ende 2016 liegt laut der Forscher nun bei knappt 0,3 – und damit etwa zwei Prozent höher als im Jahr 2005. Das zeigt laut der Studie, dass eine immer kleinere Gruppe von Menschen immer mehr verdient.

Weiterhin führt die Studie auf, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland, gemessen am Einkommen, zwischen 2005 und 2010 stetig gesunken sei – seit 2010 allerdings wieder gestiegen.

Ein Armutsforscher erklärt, was es mit der wachsenden Ungleichheit auf sich hat

Was sind nun die Gründe für die wachsende Ungleichheit? Dazu hat watson den Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge befragt.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität z ...
Christoph Butterwegge zählt zu den führenden Forschern zur sozialen Ungleichheit Deutschlands. Bis 2016 war er Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln, 2017 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten. Ende November erscheint sein neues Buch "Die zerrissene Republik. Wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland".Bild: Wolfgang Schmidt

Dass die Ungleichheit ausgerechnet seit 2010 gestiegen ist, hängt laut Butterwegge unter anderem mit der Finanzkrise von 2009 zusammen, wie er im Telefongespräch zu watson sagt:

"Bei der Finanzkrise 2009 ist das Bruttoinlandsprodukt stark eingebrochen. Dadurch setzten die Arbeitgeber vermehrt auf Kurzarbeit, was schließlich auch Einfluss auf die Gehälter hatte."

Seit 2010 allerdings erlebe Deutschland wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung: Die Konjunktur hat wieder angezogen, die Zahl der Arbeitslosen ist stark zurückgegangen. "Dass die soziale Ungleichheit in Deutschland trotzdem gestiegen ist, erscheint paradox und sollte der Öffentlichkeit, vor allem jedoch den politisch Verantwortlichen daher sehr zu denken geben."

Darum ist die Ungleichheit trotz starker Wirtschaft gestiegen

Die Gründe für die wachsende Ungleichheit sieht Butterwegge allerdings vor allem in steuerpolitischen Entscheidungen, die seit der Finanzkrise wirksam geworden sind:

"Damals wurden vornehmlich Spitzenverdienerer, Vermögende und Firmenerben entlastet. Von der Senkung des Spitzensteuersatzes haben vorrangig Hocheinkommensbezieher profitiert."

Durch die Senkung der Kapitalertragsteuer auf 25 Prozent haben Menschen laut Butterwegge ihr Einkommen vermehrt, die von Zinsen oder Dividenden leben. "Und von der Erbschaftssteuerreform haben ab 2009 vor allem Unternehmen profitiert, die nun steuerfrei vererbt werden konnten."

Diese Maßnahmen empfehlen Forscher, um der Armut in Deutschland entgegenzuwirken

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die Leiter der am Montag veröffentlichten WSI-Studie – und sprechen in Anbetracht der wachsenden Ungleichheit hierzulande von einem "Armutszeugnis für Deutschland". Damit sich das ändert, empfehlen die Forscher folgende Gegenmaßnahmen:

  • "Verringerung des Niedriglohnsektors": Dazu zählt die Anhebung des Mindestlohns, aber auch die Stärkung von Tarifverträgen.
  • "Stärkere Besteuerung von Spitzeneinkommen": Darunter fällt, neben einer stärkeren Besteuerung von Erbschaften, eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
  • "Anhebung der ALG II Regelsätze": Laut der Forscher sollte niemand, der Hartz IV bezieht – so wird das ALG II umgangssprachlich genannt – unter der Armutsgrenze leben. Aktuell bekommt ein alleinlebender Hartz-IV-Empfänger 424 Euro pro Monat plus Miet- und Heizkosten vom Jobcenter. Zu wenig, wie die Wissenschaftler meinen.
  • "Bedarfsorientierte Beratung für Bedürftige": Geld allein macht nicht glücklich – und schafft auch nicht unbedingt Fairness. Deswegen sollten bestimmten sozialen Gruppen mehr Beratungsangebote zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel psychosoziale Beratung, aber auch Umschulungen oder Weiterbildungen. Letztere wären vor allem wichtig für Langzeitarbeitslose.
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