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Nach Überwachung durch Verfassungsschutz: Experte warnt vor Telegram-Chats für junge Menschen

Demonstranten auf der Querdenken-Demo im Rheinpark Golzheim demonstrieren gegen das Tragen von Masken. Düsseldorf, 06.12.2020 *** Demonstrators at the Querdenken Demo in the Rheinpark Golzheim demonst ...
Auch an Demonstrationen von Corona-Leugnern waren Kinder, Jugendliche und junge Menschen beteiligt.Bild: www.imago-images.de / Christoph Hardt
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Antisemitismus-Beauftragter Michael Blume warnt vor Verschwörungs-Chatgruppen für junge Menschen

Der Antisemitismusbeauftragte Michael Blume fürchtet wachsenden Einfluss auf junge Menschen durch Telegram-Gruppen von Corona-Leugnern und warnt in einem Gastbeitrag für watson vor den Konsequenzen.
12.12.2020, 05:0014.12.2020, 12:07
michael blume, Gastautor
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Michael Blume ist Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg und Autor zahlreicher Bücher über Antisemitismus und Verschwörungsmythen. Er untersucht die Gruppen der Corona-Leugner schon länger und fürchtet insbesondere deren Einfluss auf junge Menschen.

Vorsicht vor digitalen Verschwörungsgruppen wie den "Samuel Youngsters"!

Als Beauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus habe ich täglich mit Menschen zu tun, die an eine Weltherrschaft des Bösen glauben. Sie glauben dann etwa, dass fast alle Politikerinnen und Journalistinnen von bösen Mächten bezahlt und kontrolliert würden, Ärzte sie vergiften wollten, Flugzeuge gezielt Gift ("Chemtrails") versprühen würden, ihr Geld bald entwertet würde, Funkmasten Covid-19 verbreiten würden und vieles mehr. Und weil die Juden die erste Religion der Welt begründeten, die in Alphabetschrift geschrieben war und Bildung für alle Kinder anbot, glauben viele von diesen Verschwörungsgläubigen an eine jüdisch bestimmte Weltverschwörung. Dies nennt man dann Antisemitismus.

Dahinter stecken aber nicht nur Psychologie und Geschichte, sondern oft auch ein Geschäft: Verschwörungsunternehmer schüren die Angst vor der angeblichen Weltverschwörung und lassen sich dann von den Verängstigten Geld schenken, verkaufen ihnen vermeintlich schützende Güter wie gelabelte Kleidung, Heilsteine, Edelmetalle, Abonnements und dubiose Finanzanlagen.

Das Fiese dabei ist: Je mehr Zeit und auch Geld die Verschwörungsgläubigen bereits geopfert haben, desto schwerer fällt es ihnen, zuzugeben: "Okay, ich habe mich täuschen lassen. Diese Weltverschwörung gibt es gar nicht."

Deswegen bleiben einige immer länger dabei und werden immer radikaler. Gerade auch, wenn junge Menschen in solche Verschwörungsgruppen hinein geraten, kann der Hass schließlich sogar zu einem Teil der Persönlichkeit werden und bis hin zur Gewalt führen. So zeigt es sich auch gerade im Gerichtsprozess gegen den inzwischen 28-jährigen Angreifer auf die Synagoge von Halle, Stephan B., der sich fast komplett im Internet radikalisierte.

Samuel Eckert und seine "Youngsters"

Ein sehr freundlich wirkender Verschwörungsprediger ist Samuel Eckert. Er spricht gerne von Liebe, von Gott und Jesus Christus und bewirbt eine "digitale Jugendgruppe" auf Telegram mit dem Namen "Samuel Youngsters". Zutritt zu dieser Gruppe sollen nur Minderjährige erhalten, die zuvor auch private Daten von sich preisgegeben haben.

Doch schon am 28. September veröffentlichte die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten eine Stellungnahme, in der sie sich deutlich vom "Unternehmer und Aktivist" Eckert distanzierte, da dieser "die Gefahren einer Ansteckung mit dem Coronavirus" leugne. Dazu hatte er sich mit sogenannten "Querdenkern" zusammengetan, die hier in Stuttgart bereits vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet werden.

Schon zuvor war Eckert die Erlaubnis zum Predigen in der Kirche entzogen worden, da er in einem Gottesdienst in Baden-Württemberg antisemitisch über vermeintlich böse Absichten "der Juden" gesprochen hatte. Zu Recht war die Kirche dagegen eingeschritten.

Wie einige andere deutsche Verschwörungsunternehmer auch hat Samuel Eckert seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt, wo die Gesetze gegen Antisemitismus bisher weniger streng sind.

Verschwörungsglauben ist für junge Menschen besonders anziehend

Dem Internet an sich stehe ich positiv gegenüber und blogge, twittere, podcaste auch selbst. Ich finde, dass gerade auch die Wissenschaften und auch die Kirchen stärker im Netz arbeiten sollten.

Mir macht es aber große Sorgen, dass Minderjährige mit oder ohne Wissen ihrer Eltern in solche digitalen Verschwörungsgruppen hineingezogen werden.

Je mehr sie dort von sich preisgeben, je mehr sie sich engagieren, desto stärker werden auch sie in den Sog der Verschwörungsmythen und oft des Antisemitismus geraten. Dies wird ihr Weltbild und ihre Persönlichkeiten verfinstern.

Mehr noch: Wenn wir die "Samuel Youngsters" widerspruchslos gewähren lassen, werden weitere Verschwörungsunternehmer auch weitere entsprechende Gruppen gründen. Deswegen warne ich nicht nur die Öffentlichkeit, sondern spreche auch mit Kolleginnen und Kollegen in Politik und Justiz über dieses Thema. Wir brauchen dringend Mindeststandards für digitale Jugendarbeit – und Gesetze, um gegen Missbrauch vorzugehen.

Ich fürchte: Wenn wir nicht bald eingreifen, werden wir in wenigen Jahren viele junge Menschen erleben, die sich in digitalen Jugendgruppen radikalisiert, andere Menschen und auch sich selbst schwer geschädigt haben.

Antisemitismus und generell Verschwörungsglauben sind für junge, noch nicht gefestigte Menschen besonders anziehend und gefährlich. Deswegen rufe ich alle Familien zur Wachsamkeit und unsere Gesetzgeber zum Handeln auf.

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Bild: dpa / Marijan Murat

Michael Blume ist Doktor der Religionswissenschaft und selbst dreifacher Vater in einer interreligiösen Ehe. Er ist selbst auch in den sozialen Medien aktiv, insbesondere auf Twitter und Instagram.

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