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Antisemitismus: Deutschrapper Ben Salomo beendet "Rap am Mittwoch"

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Exklusiv: Der jüdische Rapper Ben Salomo verkündet das Ende von "Rap am Mittwoch"

19.04.2018, 18:2021.04.2018, 10:51
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Jonathan Kalmanovich ist jetzt schon seit über 20 Jahren im Deutschrap als Ben Salomo unterwegs.

Vor zwei Jahren veröffentlichte er sein erstes Solo-Album "Es gibt nur einen", auf dem er seine jüdische Identität thematisierte. 

Seit 2010 veranstaltet er regelmäßig das Rap-Battle "Rap am Mittwoch", bei dem er Deutschrapper gegeneinander antreten lässt. Dort stellte er sich auch immer wieder gegen antisemitische Vorurteile.

Vor kurzem sagte der 40-Jährige der Berliner Morgenpost:

"Ich will mit der deutschen Rap-Szene nichts mehr zu tun haben."

Im watson-Interview kündigt der Rapper exklusiv an:

"Rap am Mittwoch" hat jetzt die letzte Saison und wird im Mai die letzte Show haben. Ich werde mich erstmal mehr meiner Familie widmen.

Sein Team werde ohne ihn unter anderem Konzept weitermachen.

Lest hier das watson-Interview mit Ben Salomo:

Du sagst, du willst dich aus dem Rap-Geschäft zurückziehen. Wie kommt es jetzt dazu?

Ich habe keine Lust mehr. Ich habe mich jahrelang immer wieder zu Wort gemeldet, um darauf aufmerksam zu machen, dass es ein Antisemitismus-Problem im Deutschrap gibt. Da fühlt man sich ziemlich allein.

Es gibt vielleicht eine Handvoll Rapper und Bands die sich ab und an zu Wort melden. Das waren jetzt im Kontext des Echo-Preises die "Antilopen Gang“ oder – was mich überrascht hat – auch der Rapper "Retrogott". Aber die große Masse sagt da gar nichts zu.

Und nicht nur in den Songtexten, auch backstage wurde ich regelmäßig mit antisemitischen Narrativen konfrontiert. Mich haben Leute gefragt, ob es eigentlich stimmt, dass ich als Jude in Deutschland keine Steuern zahlen muss. Als wir mal den Eintrittspreis von "Rap am Mittwoch" von drei auf fünf Euro erhöht hatten, sagten Gäste und einige Künstler: "Guck mal, der Jude". 

Viele Rapper vertreten eben auch als Privatperson dieselben antisemitischen Vorurteile, die sich in ihren Texten wiederfinden. Und die behaupten dann, sie seien gar nicht antisemitisch. Das finde ich ziemlich dumm, zu sagen: "Alle Juden beherrschen die Welt, aber ich bin kein Antisemit.“ Das ist eine uralte Verschwörungstheorie, die schon die Nazis hatten. Und waren Nazis etwa keine Antisemiten?

Wie siehst du die Entwicklung des Antisemitismus-Problems im Deutschrap die letzten Jahre?

Ich finde, dass es schlimmer geworden ist. Und deutscher Rap ist dabei nur eine Seite, es geht auch um die gesamtdeutsche Gesellschaft.

Es ist ja allein gestern wieder jemand mit einer Kippa auf Berlins Straßen angegriffen worden. Und auch, was dieses Jahr schon passiert ist an Schulen!

Ich habe damals mit Hip-Hop und Breakdance angefangen, weil Hip-Hop die einzige Kultur war, in der ich mit meinem jüdischen Background vollkommen willkommen war. Ich wurde deswegen nicht angefeindet. 
Heute sind die Anfeindungen überall.

Germania – Ben Salomo

Was hast du gedacht, als du die Auschwitz-Zeile von Farid Bang gehört hast?

Ich könnte mir vorstellen, dass vieles auch Kalkül ist.

Sollte dem so sein, wäre das sehr kaltherzig und auf Kosten von Holocaust-Opfern und jungen Juden, die an Schulen nicht mehr sicher sind und geschlagen werden, weil ihre Mitschüler auch durch solche Musik und Verschwörungstheorien so enthemmt sind.

Für mich geht es hierbei aber nicht um diese eine Zeile.
Die ist geschmacklos und wäre von mir aus auch im Battle-Rap-Kontext eine vertretbare Punchline, wenn es einen jüdischen Gegner gäbe.

Danach wäre es vorbei, beide geben sich die Hand und der Zuschauer kann sehen: Das ist einfach nur Rap. Das alles sieht man aber bei Alben nicht.

Wie meinst du das?

Bei einem Rap-Battle sind zwei Rapper voreinander und rappen gegeneinander. Da gibt es jemanden, der auch auf solche Punchlines antworten kann.

Und das ist wirklicher Battle-Rap. Die Punchlines werden auf den Gegner angepasst und seinen Background bezogen. Aber wenn das Battle vorbei ist, geben sich beide Rapper die Hand, die Leistung wird gewürdigt und das Gesagte wird aufgearbeitet.

Außerdem: Ein Rap-Battle ist bei weitem nicht so langlebig wie ein Song, den die Leute sich hunderte Mal anhören. Wenn sich Leute in einem Song immer wieder einen imaginären Gegner zusammenbasteln – und der ist immer wieder jüdisch – dann ist das doch etwas völlig anderes, als bei einem Live-Battle.

Welche Regeln gibt es im Rapbattle?

Geschmacklosigkeiten im Battle gehören dazu.

Aber Worte und Begriffe, die zu Nazi-Repertoire gehören, sollten einfach außen vorgelassen werden. Und immer dann, wenn eine spezielle Ethnie mit einem Wort komplett entwertet und entmenschlicht wird – egal ob "Judenpack", "Moslempack“ oder "Araberdreck", sage ich: Sowas geht einfach nicht.

Ben Salomo – Identität

Wenn du bei der Echo-Preisverleihung gewesen wärst – hättest du mit Kollegah das Gespräch gesucht?

Ich weiß nicht, ob ich ihn an dem Abend angesprochen hätte, wenn, dann wäre das aus dem Bauch heraus gekommen.

Aber ich hätte gar kein Problem damit, Kollegah und solchen Leuten gegenüber zu sitzen und zu erklären, dass das, was die da machen, nicht von der Kunstfreiheit gedeckt ist. Dass es einfach etwas ist, das Menschen aufhetzt. Die Ergebnisse kann man an den ganzen Angriffen an Schulen gegen jüdische Kinder sehen.

Wenn das große Idol der Jugendlichen von "jüdischem Zins" oder "Rothschild" spricht, brauchen sie ja nur bei YouTube diese Begriffe einzugeben und finden dazu unzählige Videos, die in ihren Aussagen nichts dem nachstehen, was die Nazis damals gesagt haben. Und das ziehen die Jugendlichen sich dann rein. Mir ist es egal, ob es Populismus ist, oder ob die Rapper das aus Kalkül machen. Mit den Hip-Hop Werten hat das nichts mehr zu tun.

Und diese Werte sind für mich: 
Nein zu Rassismus, Nein zu Antisemitismus und Nein zu Krieg.

Wie schätzt du das Statement von Campino ein?

Ich fand das Statement von Campino sehr mutig, er war einer der wenigen, die sich geäußert haben. Die Entscheidung der Menschen, die ihre Echos zurückgeben, finde ich konsequent.

Deswegen ziehe auch ich mich jetzt zurück.

Ich habe 20 Jahre lang versucht, das Problem in der Szene von innen zu bekämpfen. Und habe hier und da auch einiges erreicht. Aber ich bin gegenüber der Anzahl an sehr populären Rappern machtlos, die ihren Antisemitismus durch Texte oder in Musikvideos zeigen, privat oder backstage.

Dagegen komme ich als Rapper nicht an, als Privatmensch nicht und auch nicht als Moderator von "Rap am Mittwoch“.

Und wenn die anderen Künstler im Rap da keine Solidarität zeigen, weil sie Angst haben, dass ihnen eine relevante Zielgruppe wegbricht, dann ist das doch reiner Kapitalismus und Opportunismus und hat auch nichts mehr mit Hip-Hop zu tun.

Geht jetzt mit dir nicht auch eine wichtige Stimme verloren, die sich im Rap gegen Antisemitismus stellt?

Ich sage: Die Deutschrap-Szene ist ähnlich antisemitisch wie Rechtsrock, nur ist sich Deutschrap dem Antisemitismus-Problem nicht bewusst.

Würde irgendjemand von einem Juden erwarten, sich in so etwas wie der Rechtsrock-Szene aufzuhalten, nur um eine wichtige Stimme zu sein? Nein. Da muss die Szene selbst versuchen, solidarisch zu sein.
Es reicht nicht aus, wenn Juden für Juden sprechen. Die Nichtjuden müssen auch für die Juden sprechen.
Antisemitismus erlebe ich seit Jahrzehnten in Deutschland – ich sitze deswegen schon lange gefühlt auf gepackten Koffern. Und das gilt nicht nur für mich, sondern für tausende Juden in diesem Land.

Und es wird nicht besser. Erst recht nicht, wenn sich solche Künstler über längere Zeiträume antisemitisch äußern dürfen und dann auch noch Preise bekommen.
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