Demonstranten haben bei einer Demo am Samstag am Alexanderplatz in Berlin einen Brunnen erklommen. Bild: dpa
Deutschland
11.05.2020, 06:4611.05.2020, 07:35
Nach den Demonstrationen gegen die staatlichen
Auflagen zur Eindämmung des Coronavirus warnen führende Politiker vor
einer Radikalisierung des Protests. Wer die Pandemie leugne und zum
Verstoß gegen Schutzvorschriften aufrufe, nutze die Verunsicherung
der Menschen schamlos dafür aus, die Gesellschaft zu destabilisieren
und zu spalten, sagte SPD-Chefin Saskia Esken den Zeitungen der Funke
Mediengruppe (Montag). "Wegschauen und Schweigen hilft nicht. Hier
müssen wir gegenhalten und uns als streitbare Demokraten erweisen."
Ähnlich äußerte sich CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak:
"Wir lassen nicht zu, dass Extremisten die Corona-Krise als Plattform für ihre demokratiefeindliche Propaganda missbrauchen."
Augsburger Allgemeine
Die CDU nehme die Sorgen der Bürger ernst.
"Aber klar ist auch, dass wir konsequent gegen diejenigen vorgehen,
die jetzt die Sorgen der Bürger mit Verschwörungstheorien anheizen
und Fake-News in Umlauf bringen."
Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker unter den Demonstranten
Obwohl zuletzt zahlreiche Auflagen aufgehoben wurden und an
diesem Montag vielerorts weitere Lockerungen in Kraft treten, waren
am Wochenende Tausende Menschen in vielen deutschen Städten auf die
Straße gegangen. Sie protestierten - oft unter Missachtung der
Hygieneregeln und des Verbots größerer Versammlungen - gegen die
staatlichen Vorgaben. Die Proteste lösen in der Politik zunehmend
Besorgnis aus, auch weil sich mancherorts Rechtsextreme und
Verschwörungstheoretiker unter die Demonstranten mischen.
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz nannte es legitim,
Maßnahmen infrage zu stellen und Unmut zu äußern. "Aber es laufen all
jene mit, die das System grundsätzlich infrage stellen und Politiker
insgesamt für Marionetten von George Soros und Bill Gates halten",
kritisierte er in der "Welt" (Montag). Esken betonte, Gewalt gegen
Polizisten sei ebenso wenig zu tolerieren wie Angriffe gegen
Journalisten.
Attila Hildmann wird bei einer Demonstration vor dem Reichstagsgebäude von Polizisten abgeführt. Unter den Demonstranten sind viele aus der Szene der Verschwörungstheoretiker und der Reichsbürger.Bild: dpa
An den Protesten hatte sich am Samstag auch der Thüringer
FDP-Chef und kurzzeitige Ministerpräsident Thomas Kemmerich
beteiligt. Auf Bildern war zu sehen, wie er in Gera ohne Mundschutz
dicht neben anderen Teilnehmern lief. FDP-Chef Christian Lindner übte
scharfe Kritik: "Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente
Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren
Kreisen und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz."
FDP-Vorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte
Kemmerichs Parteiaustritt. Der räumte einen Fehler ein.
Für Aufsehen sorgte auch das Papier eines Mitarbeiters des
Bundesinnenministeriums, in dem dieser die Strategie gegen die
Corona-Pandemie - unter dem offiziellen Briefkopf des Ressorts -
massiv in Zweifel zieht und nach Medienberichten von einem "globalen
Fehlalarm" spricht. Das Ministerium wies das Schreiben am Sonntag als
"Privatmeinung" zurück. Laut "Spiegel" wurde der Mann von seinen
Dienstpflichten entbunden.
Von der Wissenschaft kommt inzwischen ein weiteres Warnsignal:
Die Reproduktionszahl stieg nach Angaben des Robert Koch-Instituts
(RKI) vom Sonntag auf 1,13 (Stand 10.5. 0:00 Uhr). Das bedeutet, dass
ein Infizierter etwas mehr als eine andere Person ansteckt. Der Wert
liegt damit weiter über der vom RKI als kritisch eingestuften Marke
von 1,0. Die Zahl ist aber mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.
Spahn: "beherzt durchgreifen"
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief Länder und Kommunen
auf, konsequent durchzugreifen. "Wir brauchen das beherzte,
umfassende Vorgehen vor Ort", sagte er am Sonntagabend im ZDF. Es sei
wichtig, alle Infektionen sofort nachzuvollziehen und Kontaktpersonen
zu isolieren. Nur dann könne verhindert werden, dass die Zahlen auch
bundesweit wieder anstiegen.
Der Bund hatte den Ländern vergangene Woche weitgehend freie Hand
für die Lockerung der Corona-Auflagen gegeben. Allerdings sollen in
der betreffenden Region wieder strikte Beschränkungen greifen, wenn
innerhalb einer Woche mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner registriert werden. Inzwischen sind fünf Orte in
Deutschland bekannt, in denen diese Obergrenze überschritten wird:
die Stadt Rosenheim in Bayern, die Landkreise Greiz und Sonneburg in
Thüringen, Coesfeld in Nordrhein-Westfalen und Steinburg in
Schleswig-Holstein.
(lin/dpa)
Dass sich die AfD Tiktok unter den Nagel gerissen hat, dürfte für die meisten Menschen keine Neuigkeit mehr sein. Seit einigen Jahren bespielen die Rechten Social Media und überschwemmen die Plattformen mit ihren Inhalten. Meist handelt es sich dabei entweder um Ausschnitte aus Bundestagsreden oder – wie im Populismus üblich – Videos mit sehr einfachen Antworten auf komplexe Fragen.