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Volt zur Europawahl: Die Kleinstpartei will Europa vor Populisten retten

EU-Flagge im Wind *** EU flag in the wind
Bild: www.imago-images.de
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Erasmus für alle und straffreie Abtreibungen – so will Volt Europa umbauen

28.04.2019, 08:11
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Sie nennen sich Volt. Und wollen einem Europa in der Krise neue Impuls verleihen. Sie haben sich gegründet, um den autoritären Populisten in Europa und der Welt etwas Positives entgegenzusetzen – so das Mantra der Partei. Im März 2017 war das. Eine Mehrheit der Briten hatte für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt, Donald Trump wurde als Präsident vereidigt, die AfD in Deutschland hatte sich längst etabliert. Der Italiener Andrea Venzon, der Deutsche Damian Boeselager und die Französin Colombe Cahen riefen Volt ins Leben. Ende Mai tritt die Partei nun in acht Ländern zur Europawahl an. Volt ist die erste Partei in der Geschichte der EU mit einem Programm für alle Länder. Kann das funktionieren? Und was genau wollen Volt eigentlich? Ein Interview mit Volt-Präsidentin Valerie Sternberg.

watson: Ihr sagt, ihr seid weder links noch rechts, auch wollt ihr keine Partei sein, sondern Bewegung. Das sagen auch Populisten, um Anhänger zu gewinnen. Jetzt wollt ihr ja aber gegen die Populisten antreten…
Valerie Sternberg:
Dass sich Leute von der Politik entfremdet fühlen, dass sich vor allem Leute auf dem Land nicht vertreten fühlen, das stimmt. Darauf springen die Populisten an. Wichtig ist, dass man darauf eingeht. Wir wollen zuhören und auch für Leute da sein, die sich eben nicht mitgenommen fühlen von Politik und Europa.

Heißt?
Die Schwelle, über Parteien in die Politik zu kommen, ist sehr hoch. Das wollten wir aufbrechen. Deshalb verstehen wir uns auch nicht als Partei, sondern als Bewegung. Wir sind heute digital unterwegs, wir reisen viel, sind zum Teil gar nicht mehr in der Stadt, in der wir geboren oder aufgewachsen sind, wir ziehen alle zwei Jahre um. Eine alleinerziehende Mutter hat keine Zeit, sich abends noch zwei Stunden in den Ortsverband zu setzen.

Auch für dich kamen die etablierten Parteien nicht in Frage?
Ich habe bei den alten Parteien den Kompass vermisst: Was ist das große Ganze? Wo wollen wir hin als Gesellschaft? Dann kam der Brexit. Es war für mich ein ziemlicher Schock, dass 23 Millionen Menschen für sich entschieden haben, dass Europa keinen Sinn macht. Ich wollte irgendwas tun. Dann wurde Volt gegründet. Die Menschen, die da zusammenkamen, dachten ganz ähnlich und wollten die Dinge selber in die Hand nehmen.

Uns war klar: Wenn wir was verändern wollen, dann muss das paneuropäisch geschehen.

Nur durch den gesamteuropäischen Austausch können wir Lösungen für gesamteuropäische Herausforderungen formulieren.

Valerie Sternberg ist...
28, Präsidentin der paneuropäischen Partei Volt. Und das seit dem Gründungsparteitag im März 2018. Sie studierte Volkswirtschaft und European Studies in Münster, Siena und Bath.
Bild
Bild: privat

Ihr tretet zur Europawahl mit einem einzigen Programm an. Ein Wahlprogramm für noch 28 unterschiedliche Mitgliedstaaten? Klingt eher nach dem Prinzip Gießkanne, statt nach konkreter Politik…
Eben nicht! Für den Europawahlkampf haben wir spezifische Vorstellungen formuliert, was gemacht werden muss. Zum Beispiel eine weitere Demokratisierung der EU. Die ist im Grunde Voraussetzung, um auch in die Richtung arbeiten zu können, wie wir es als europäische Bürgerinnen und Bürger möchten. Ohne ein starkes Europa gibt es auch kein starkes Deutschland und keine starke Zukunft. Um Europa aber zu stärken, brauchen wir vor allem ein demokratisches Europa. Wir sagen nicht einfach, Europa ist schlecht. Wir wollen Europa zum Positiven verändern.

Das heißt konkret, dass ihr eine europäische Regierung wollt…
Richtig. Am liebsten mit einer europäischen Ministerpräsidentin. Und das Parlament muss zum Beispiel die Möglichkeit bekommen, Gesetze vorzuschlagen.

Also ein Modell, wie wir es auf nationaler Ebene kennen. Mit einem Initiativrecht für das Parlament. Mit einem aus dem Parlament heraus gewählten Premierminister und dann auch mit einem EU-Finanzminister, der Steuern erheben kann?
Ja, ein föderales Europa. Wenn wir auf die Gelder, die sowieso schon zwischen den Staaten hin und her geschoben werden, Einfluss nehmen wollen, brauchen wir ein eigenes Budget. Wir brauchen eine einheitliches europäisches Finanz- und Steuersystem. Ein Mindeststeuersatz, der auf europäischer Eben abgeführt wird. Und wir brauchen eine einheitliche Körperschaftssteuer. Das Geld könnte in einen gemeinsamen Topf fließen.

Die EU ist vielleicht in ihrer schwersten Krise. Die Briten gehen, die Finanzkrise brodelt weiter und in Fragen der Migration zeigt sich, dass Solidarität an der nationalen Haustür endet. Viele Menschen scheinen eher Europa-müde und jetzt fordert ihr mehr Europa? Woher kommt dieser Optimismus?
Genau das ist ja das Problem. Wir haben Stillstand und gleichzeitig nationale Interessenskämpfe in Europa. Deswegen kommen wir auch nicht zu einer gemeinsamen Lösung. In der Migrationskrise haben wir gesehen, wir arbeiten nicht mit-, sondern gegeneinander. So können wir nicht als EU stärker werden. Wir brauchen gemeinsame Ziele. Das ist jetzt nötiger denn je, ansonsten werden die nationalen Interessen auseinanderdriften.

Machen wir es konkret: Ihr sagt in eurem Programm, dass ihr Migrationsströme gemeinsam regeln wollt. Wie wollt ihr das hinbekommen, wenn Staaten einfach nein sagen?
Es muss einen klaren Sanktionsmechanismus geben. Es ist eindeutig ein unsolidarisches Verhalten, was in einer Union, einer Gemeinschaft nicht akzeptabel ist. Es ist immer ein gemeinsames Projekt und wenn jemand etwas nicht tut, dann muss er auch entsprechend sanktioniert werden.

Und wie?
Das ist genau das nächste Problem, dass der EU da auch die Hände gebunden sind. Es muss Möglichkeiten geben, finanzielle Zuwendungen zu kürzen.

Heißt, ihr wollt Viktor Orban dann einfach den Geldhahn zudrehen?
Wir müssen über die richtigen Stellschrauben Druck auf die Regierung ausüben. Wir wollen reformieren und nicht alles kaputtschlagen. Wir wissen aber auch: Das Projekt, das wir vorschlagen, ist keines, dass wir morgen umsetzen können. Sondern eines für die nächsten 50 Jahre. Wo man sich Schritt für Schritt vorarbeiten muss.

Euch gibt es vor allem in Westeuropa. Und dort vor allem in Städten. Volt besteht überwiegend aus jungen, international vernetzten, gut ausgebildeten Menschen, die mehrere Sprachen sprechen. Klingt doch ein bisschen elitär…
Die drei Volt-Gründer kommen aus Frankreich, Deutschland und Italien. In welchem Land wir aber sofort explodiert sind, ist Rumänien. Und dann ging es auch schnell weiter nach Bulgarien. In diesen Ländern sind wir große Hoffnungsträger, weil wir eben nicht intern in deren Systemen groß geworden sind, sondern uns gemeinsam in Europa aufgebaut haben. Dort stehen wir für Korruptionsbekämpfung. In der Tat ist es beispielsweise ziemlich schwer, in Polen Fuß zu fassen. Aber wir sind ja gerade auch erst zwei Jahre alt. Was unsere Altersstruktur betrifft: Wir haben auch Kandidaten, die sind 50 plus. Unser Anspruch ist es natürlich, auch da auf Diversität zu achten.

Warum sollen euch weniger privilegierte und bildungesferne Menschen in Europa wählen, denen es nicht vergönnt war, im Ausland zu studieren?
Weil alle überdurchschnittlich von Europa profitieren. Auch die, die nicht studieren. Wir bereisen gerade die ländlichen Regionen mit unseren Kandidaten und suchen den Kontakt mit den Menschen, die sich vergessen fühlen. Organisatorisch war es für uns natürlich erst einmal sehr viel einfacher, in Städten Fuß zu fassen und uns dort aufzustellen. Was wollen wir für Menschen ohne Hochschulabschluss tun? Ganz klar, Erasmus muss es auch für Auszubildende und Schüler geben. Und unser Wirtschaftsprogramm ist für alle Menschen attraktiv.

Ihr geht den umgekehrten Weg klassischer Parteien. Die gründen sich zunächst auf lokaler, nationaler Ebene und schließen sich dann im EU-Parlament zusammen. Ihr startet von der europäischen Bühne, aber wollt dann auch in die Kommunen. Klingt, als hättet ihr den dritten vor dem ersten Schritt gemacht.
Überhaupt nicht. Wir sind schon im ländlichen Bereich vertreten. Wir treten gleichzeitig zu der Europawahl auch auf kommunaler Ebene in Rheinland-Pfalz an. In Mainz und Wachenheim zum Beispiel. Es gibt überall schon zarte Pflänzchen.

Du setzt dich persönlich für Chancengleichheit ein. Seid ihr für eine Frauen-Quote im EU-Parlament?
Wir haben im Europaparlament einen Frauenanteil von 37 Prozent. In den Ministerien sieht es noch einmal anders aus. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es passiert sehr häufig, dass man die einzige Frau ist. Und wenn man dann noch jung ist, dann wird man sowieso nicht unbedingt für voll genommen.

Es muss ein Mentalitätswandel stattfinden. Aber nicht konfrontativ, sondern bei Männern und Frauen gleichermaßen.

Tatsächlich diskutieren wir immer noch über interne Quoten und wie das auch im Parlament aussehen soll. Wir sehen das als ein Problem, dass man vielleicht auch radikal angehen sollte. Andererseits wissen wir als kleine Partei auch, was es bedeutet, bestimmte Kapazitäten einfach nicht zu haben. Deswegen sind wir da immer noch am Ringen. Hoffen aber, in den nächsten Monaten einen klaren Fahrplan zu haben. Wir sind aber für eine Vorstandsquote bei börsenorientierten Unternehmen.

Beim Thema Abtreibungen habt ihr allerdings einen klaren Fahrplan. Da fordert ihr, sie müssen gesetzlich straf- und kostenfrei sein. Mit diesen Forderungen dürftet ihr in Ländern wie Polen oder Ungarn kaum ankommen.
In der Tat ist es sehr schwierig, mit diesen Positionen in bestimmten Ländern Politik zu machen. Es ist auch den nationalen Volt-Parteien überlassen, selber Schwerpunkte zu setzen. Auch, weil wir natürlich auch noch sehr unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen haben. Aber auf europäischer Ebene wissen wir, dass es richtig und fair ist.

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