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Junge Männer brechen häufiger die Corona-Regeln? Experte erklärt, was da dran ist

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Pandemie und Festival? Ja, das gab es. Im vergangenen Jahr lief das Wilde-Möhre-Festival in Brandenburg.Bild: imago / Rainer Weisflog
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Junge Männer brechen häufiger die Corona-Regeln? Experte erklärt, ob da etwas dran ist

20.02.2021, 10:5020.02.2021, 16:56
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Als vergangenen Herbst die Infektionszahlen stiegen, suchten Politiker einen Schuldigen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder glaubte, ihn in jungen Menschen gefunden zu haben. Damit stand er nicht allein da. Auch einige ältere Menschen schlossen sich an, verteufelten gefühlt alles, was unter 30 war. Mittlerweile haben Studien gezeigt, dass der Großteil jüngerer Menschen durchaus verantwortungsbewusst mit den Corona-Maßnahmen umgeht. Ausnahmen gibt es dennoch, und die sind häufig männlich.

Watson fragte den Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann, warum es gerade heranwachsende Männer sind, die zum Regelbruch neigen. Ein Gespräch über Generationskonflikte, veraltete Rollenbilder und den Kampf, diese hinter sich zu lassen.

"Verfolgen junge Männer ein traditionelles Rollenbild, blockieren sie sich selbst."

watson: Es kursierte lange das Bild einer Jugend, der die Corona-Maßnahmen egal sind. Die lieber feiert, nicht aber die AHA-Regeln einhalten will. Nun ist es unabhängig von der Corona-Pandemie nicht neu, jungen Menschen unangemessenes Verhalten vorzuwerfen. Woher kommt das?

Klaus Hurrelmann:
Geht man als älterer Mensch durch die Stadt und sieht, dass sich junge Menschen in Gruppen treffen und etwas zusammen unternehmen, liegt der Vorwurf nahe. Zu behaupten, die Jugend würde sich nicht angemessen verhalten, ist dann quasi ein Reflex. Hier ist aber der Knackpunkt: In dem Moment verhalten sich die Jugendlichen altersangemessen und machen dabei Dinge, die viele ältere Menschen nicht mehr machen, weil sie nicht wollen oder nicht mehr können. Das kann feiern sein oder nur mit einer Gruppe durch die Stadt jetten. Dass sich die Verhaltensweisen mit zunehmendem Alter verändern, ist normal.

Trifft das Bild der jugendlichen Regelbrecher auch auf die Corona-Maßnahmen zu?

Nicht überwiegend. Da wir glücklicherweise Regeln haben, die auf einen breiten Konsens stoßen, fällt es sofort auf, wenn sich junge Menschen nicht an diese halten. Gut 70 Prozent der über 14-Jährigen halten sich an die Regeln. Sie schränken sich ein, obwohl die Gefahr durch das Coronavirus für sie deutlich geringer ausfällt als bei älteren Menschen. Dazu hatten wir auch eine Studie gemacht. Natürlich ist das positiv. Dennoch zeigt unsere Auswertung auch, dass sich ein knappes Drittel unter den jungen Leuten mit den Maßnahmen deutlich schwerer tut.

"Überlegenheitsgebärden Frauen und anderen Männern gegenüber sind nicht mehr zeitgemäß. Daran festzuhalten, kann auch zu Problemen führen."

Studien zeigen, dass viele junge Männer unter den Corona-Beschränkungen mehr leiden als Frauen. Wieso das?

Viele junge Männer brauchen gerade in der Pubertät mehr Raum, wollen die Freiheit, sich zu beweisen. Das ist höchstwahrscheinlich genetisch, aber auch durch Umwelteinflüsse bedingt – etwa durch Freunde oder auch Filme sowie Popkultur. Solch eine starke Einschränkung, wie sie aktuell besteht, geht gegen ihr Naturell. Für viele gehört zum Aufbau von Männlichkeit zudem, gegen Regeln zu verstoßen. Kurzum: Sie befinden sich in einer Art Identitätsfrage, wollen für sich herausfinden, was denn nun ein Mann ist, was das genau bedeutet.

Junge Männer sollen sich auch über Körperlichkeit beweisen wollen, wie sie bereits in einem Interview mit der "Welt" sagten. Was genau bedeutet das?

Sie wollen zeigen, wie stark und mutig sie sind. Das machen sie mit Risikoverhaltensweisen, indem sie etwa auf einen gefrorenen See steigen und weiterlaufen, obwohl es knackt und knistert, oder aber die Corona-Regeln brechen. Dahinter steckt ein Bild von Männlichkeit, über das sich streiten lässt. Der dominante, starke Regelbrecher passt kaum in die heutige Zeit.

Auch Überlegenheitsgebärden Frauen und anderen Männern gegenüber sind wohl nicht mehr zeitgemäß. Daran festzuhalten, kann auch zu Problemen führen. Junge Männer mit diesem Ideal schneiden in der Schule zum Beispiel deutlich schlechter als Frauen ab. Genauso fällt es ihnen schwerer, soziale Beziehungen aufzubauen. Probleme gibt es auch beim Konsum von Medien, außerdem sind sie häufiger suchtgefährdet.

"Sie wollen schnell Geld verdienen, bringen die nötige Selbstdisziplin nicht auf und brechen die Schule ab."

Wäre es da nicht sinnvoll, Männern dabei zu helfen, mit Geschlechterklischees zu brechen? So könnten sie vielleicht lernen, den Wunsch, sich zu beweisen, abzulegen.

Das ist richtig, aber nicht einfach. Es müssten viele Fragen geklärt werden. Wie kann ich denn heute Mann sein? Wie gehe ich mit meinen Anlagen, meinem Testosteronüberschuss um? Welche Beschäftigungsfelder sind sinnvoll für mich und wie kann ich vermeiden, in einer Sackgasse zu landen? Sich darüber kritische Gedanken zu machen, ist eine Herausforderung für Eltern, Bildungseinrichtungen aber auch für Heranwachsende selbst.

Das Interessante an der Corona-Krise ist, dass sie auch als Scheinwerfer für Gesellschaftsprobleme dient, der zeigt, dass Männer noch dringend daran arbeiten müssen, ein modernes Bild von Männlichkeit zu entwickeln. Das alte Fundament ist marode. Vielen Männern gelingt es, sich davon zu lösen, aber bei weitem nicht allen. Und gerade letztere fallen auf, etwa wenn sie die Corona-Regeln brechen.

Auch Bildung könnte ein Faktor sein. Mädchen verbessern ihre Leistungen kontinuierlich, Jungs brechen überproportional oft die Schule ab. Woran könnte das liegen?

Ich vermute, dass es am Ende an dieser männlichen Geschlechtsrolle liegt. Einige junge Männer wollen die Broterwerber sein, diejenigen, die ihre Familie versorgen. Schnell hinterfragen sie die Schule, weil sie davon ausgehen, dass sie irgendwann ohnehin berufstätig werden – in dem Fall besser früh als spät. Sie wollen schnell Geld verdienen, bringen die nötige Selbstdisziplin nicht auf und brechen die Schule ab. Das liegt ganz stark an dieser mangelnden Öffnung der Rolle Mann.

Geht es diesen jungen Menschen aber darum, schnell Geld zu verdienen, ist ein Schulabbruch doch eher kontraproduktiv.

Durchaus. Das ist eine Haltung, die die tatsächlichen Spielregeln in der Gesellschaft verkennt. Verfolgen junge Männer ein traditionelles Rollenbild, blockieren sie sich selbst. Ein Schulabbrecher kann sich vielleicht in einer gleichaltrigen Gruppe als Held inszenieren, später nicht mehr. Klar, sie stehen einige Zeit im Mittelpunkt, landen letztlich jedoch in einer Sackgasse. Traditionell gelebte Männlichkeit bringt einen heute nicht mehr weiter.

Insofern sind die jungen Männer, die sich heute nicht an die Corona-Regeln halten, Realitätsverweigerer. Früher oder später treffen sie dadurch auf Probleme – gesellschaftlich wie auch gesundheitlich.

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