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Suchtgefahr und kaputte Gelenke: Wann Sport ungesund wird?

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Sport ist gut, solange wir nicht übertreiben.Bild: Getty Images
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Übertraining – Sportmediziner: Muskelkater wird oft falsch verstanden

23.06.2020, 16:2724.06.2020, 10:46
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So positiv Sport auch sein kann, er bringt auch häufig ein Problem mit sich: Das Streben nach mehr. Mehr laufen, mehr stemmen, mehr punkten. Trainingspausen schwinden nach und nach. Immerhin gibt es so viele Ziele zu erreichen.

Eine Zeit lang mag das auch gut gehen. Doch je länger wir intensiv trainieren, ohne unserem Körper etwas Ruhe zu gönnen, desto schwerer fällt es uns, weiterhin Leistung zu erbringen. Wir verschlechtern uns sogar. Unser Körper kommt bei der hohen Trainingsintensität ohne ausreichende Ruhepausen nicht hinterher.

Es folgt eine chronische Überbelastungsreaktion, die von Sportmedizinern als Übertraining bezeichnet wird. Einmal gefangen im Trainingswahn, lässt sich das nicht leicht umgehen. Das liegt jedoch nicht ausschließlich am überschwänglichen Enthusiasmus.

Muskelkater: Das missverstandene Alarmsignal

Denn was das Übertraining besonders gefährlich macht, ist, dass es sich nicht einem einzelnen Symptom zuordnen lässt. Dabei werden wir von unserem Körper relativ früh auf eine zu hohe Belastung aufmerksam gemacht.

"Meist folgt auf eine zu intensive Trainingseinheit Muskelkater. Der wird häufig falsch eingeschätzt", sagt Sportmediziner Rüdiger Reer. Er ist Generalsekretär des Deutschen Sportärztebundes und Leiter des Arbeitsbereichs für Sport und Bewegungsmedizin der Universität Hamburg.

Viele Menschen denken laut Reer, dass Muskelkater eine körperliche Anpassung mit sich bringt. Das stimmt so nicht. Vielmehr ist er ein Überlastungssymptom. Wie genau das zustande kommt, ist noch nicht eindeutig geklärt. Weit verbreitet ist die Annahme, dass eine ungewohnt hohe Belastung zu mikroskopisch kleinen Muskelverletzungen führt. Darauf folgen Einblutungen und letztlich Entzündungen. Übrigens können auch Profisportler Muskelkater bekommen. Von einer Überbelastung ist niemand gefeit.

In der Regel lassen die Schmerzen nach wenigen Tagen nach, sofern wir unseren Muskeln Ruhe gönnen. Da der Muskelkater jedoch häufig falsch interpretiert wird, trainieren viele Menschen weiter. Und ab dem Punkt wird es kritisch.

Wenn wir das Abschalten verlernen

Wenn wir eine Überlastung zu lange ignorieren, beginnen auch Gelenke, Knochen und Bänder früher oder später zu pochen. Unser Körper feiert quasi eine Schmerzparty und mit jeder Trainingseinheit kommen weitere Gäste hinzu. Doch je länger so eine Sause geht, desto anstregender wird sie.

"Der Körper versucht, der Belastung entgegenzuwirken. Dafür setzt er mehr Energie frei, worauf sich der Puls erhöht."
Rüdiger Reer

Normalerweise fahren Sportler schnell hoch, kommen aber auch schnell wieder zur Ruhe. Ein Vorteil, den sie gegenüber Couchpotatoes haben. "Trainieren sie jedoch zu viel, findet diese Anpassung an die jeweilige Situation nicht mehr statt", ergänzt Reer. Das Herunterfahren und damit die Entspannung bleibt aus.

Erst der Körper, dann die Psyche

Besonders schlimm daran: Der Geist will ruhen, der Körper bleibt angespannt. Es folgt eine bleierne Müdigkeit. Wir werden träge, fühlen uns lustlos. Unter der Dauerbelastung leidet auch unser Immunsystem und wir werden anfälliger für Infekte.

Prof. Dr. med. Rüdiger Reer
Prof. Dr. med. Rüdiger Reernull / SCHMIDT-DOMINE

Irgendwann wirkt sich der Dauerstress auf die Psyche aus. Logisch, viel Training ist meist die Folge von einem Streben nach Verbesserung. Wird es aber zu viel, verschlechtern wir uns – und erreichen häufig nicht einmal die Leistung, die wir im Normalfall gewohnt sind. Gepaart mit dem Schlafmangel und ständigen Schmerzen kann das nur böse enden. Laut Reer werden wir reizbarer und nervös. Auch Depressionen können eine Folge sein.

Die Menge macht das Gift

So unangenehm Übertraining auch werden kann, Sport an sich ist gut für uns. Jemand, der bereits einmal die Woche joggen geht, senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 30 Prozent im Vergleich zu Couchpotatoes, wie aus einer Meta-Analyse im "British Journal of Sport" hervorgeht.

Auch das Krebsrisiko soll um durchschnittlich 20 bis 30 Prozent bei sportlich aktiven Menschen fallen, schreibt die Deutsche Krebsgesellschaft. Warum das so ist, gilt allerdings noch als ungeklärt. Eine These ist, dass bei Sport die Durchblutung des gesamten Körpers gefördert wird, was ein Tumorwachstum erschwert. Außerdem hilft Sport laut einer Studie im Journal "Sports Medicine" beim Stressabbau und laut einer weiteren im "Jama Psychiatry", Depressionen vorzubeugen.

Wie so häufig macht die Menge das Gift. In diesem Zusammenhang sorgte die 2015 erschienene Copenhagen City Heart Study für Aufsehen, gerade für Jogger ist sie interessant. Darin heißt es, dass die Kurve, die Trainingsintensität und Lebenserwartung von Läufern vergleicht, ein U formt. Wer nicht läuft, hat ein höheres Risiko, frühzeitig zu sterben. Bei Joggern wird es geringer. Sobald sie jedoch übertreiben, steigt der Wert wieder auf Höhe eines Nichtläufers.

Was wir tun können

Wichtig beim Übertraining sind die individuellen Unterschiede. Neueinsteiger erreichen ihre Belastungsgrenze wesentlich früher als erfahrene Sportler. Jedoch werden letztere die Signale ihres Körpers besser zuordnen können. Denn mit der Länge einer Sportlaufbahn und parallel wachsendem Ehrgeiz steigt auch die Wahrscheinlichkeit, irgendwann über die Stränge zu schlagen. Wer sich einmal aus dieser Spirale befreit hat, wird wahrscheinlich nicht mehr so schnell hineinschlittern. Deshalb sagt Sportmediziner Reer:

"Gerade wenn man mit Sport anfängt oder man sich einer neuen Sportart hingibt, sollte man eine sportmedizinische Untersuchung machen."
Rüdiger Reer

Da könne man dann absprechen, ob die Belastung passt und auf individueller Basis prüfen, wann ein Übertraining auftreten könnte. Ab 35 Jahren ist eine derartige Untersuchung quasi obligat, da der Körper mit zunehmendem Alter womöglich früher Überbelastungssymptome ausprägt und empfindlicher auf diese reagiert.

Auch jüngere Menschen können auf Prävention setzen. Einen Sportmediziner vor einer neuen Sportart zu konsultieren, ist da ebenso sinnvoll, gerade wenn der Körper eine neue Sportart nicht kennt und Muskeln belastet werden, die es sonst nicht gewohnt sind. Zudem hilft es, Vorerkrankungen auszuschließen. Wird es trotzdem mal zu viel, hilft es, auf seinen Körper zu hören. Der beschwert sich früh genug.

Sportmedizinische Untersuchung
Wer auf der Suche nach einem Sportarzt ist, kann über eine Liste der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention einen geeigneten in seiner Umgebung finden. Den Link gibt es hier.
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