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Stalingrad: Hier starb der Traum von Adolf Hitlers Endsieg

Soldaten beim Kampf um Stalingrad.
Soldaten beim Kampf um Stalingrad.Bild: imago
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In der Hölle von Stalingrad starb Hitlers Traum vom Endsieg

13.01.2019, 19:32
Daniel Huber
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Sie gilt als DER Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs: Die Schlacht von Stalingrad, die am 2. Februar 1943 mit der Vernichtung der deutschen 6. Armee endete. Nach Stalingrad verlor die Wehrmacht endgültig die strategische Initiative an der Ostfront; der Krieg war für das "Dritte Reich" nicht mehr zu gewinnen. Im Albtraum Stalingrad erlitt Hitlers Traum von der Eroberung neuen Lebensraumes im Osten vor 75 Jahren endgültig Schiffbruch.

Straßenkampf in Stalingrad.
Straßenkampf in Stalingrad.bild: imago stock&people

Die Stadt

Anfang August 1942 – noch hat die Front Stalingrad nicht erreicht – halten sich etwa 600.000 Menschen in der Stadt auf. Stalingrad, rund 1000 Kilometer südöstlich von Moskau gelegen, ist ein wichtiges Verkehrs- und Industriezentrum an der unteren Wolga. Die Stadt zieht sich über 40 Kilometer lang am westlichen Ufer der Wolga hin, ist aber nur maximal acht Kilometer breit.

Stalingrad vor dem Krieg.
Stalingrad vor dem Krieg.Bild: imago stock&people

Der mächtigste Strom Europas, der 400 Kilometer weiter südlich ins Kaspische Meer mündet, ist in Stalingrad über anderthalb Kilometer breit und schützt die Stadt so vor einer Einschließung. Entlang dieser wichtigen Wasserstrasse verläuft einer der Haupt-Nachschubwege für amerikanische Hilfsgüter wie Lastwagen, Flugbenzin, Feldtelefone oder Panzer aus den Häfen am Persischen Golf.

Zur wirtschaftlichen und strategischen Bedeutung gesellt sich die symbolische: Stalingrad bedeutet "Stalinstadt"; das vormalige Zarizyn ist seit 1925 nach dem sowjetischen "Woschd" ("Führer") benannt.

Der Plan

Im Winter 1941 bricht die deutsche Offensive wenige Kilometer vor Moskau zusammen, der Blitzkrieg gegen die Sowjetunion ist gescheitert. Obwohl die Wehrmacht bereits über 30 Prozent ihrer Einsatzstärke vom Juni 1941 verloren hat, plant Hitler eine neue Offensive für den Sommer 1942, die endlich die Entscheidung bringen soll. Erneut unterschätzt der "Führer" die verbliebene Stärke der Roten Armee.

Deutsches Sturmgeschütz im September 1942.
Deutsches Sturmgeschütz im September 1942.Bild: Bundesarchiv, Bild 183-J21826 / CC-BY-SA 3.0

Der Plan, "Fall Blau" benannt, will trotz des deutschen Kampfkraftverlusts zwei ambitionierte Ziele gleichzeitig erreichen: die Eroberung des Verkehrsknotens Stalingrad – diese Aufgabe fällt der Heeresgruppe B zu – und die Einnahme der kaukasischen Ölfelder durch die Heeresgruppe A. Letzteres soll die prekäre Treibstoffversorgung der Wehrmacht sichern.

Hitlers "Siegplan" krankt an zwei Schwachpunkten: Die deutschen Kräfte reichen nicht für beide Ziele aus und an der nördlichen Flanke des deutschen Vormarsches entsteht zwangsläufig eine langgezogene, schwierig zu verteidigende Frontlinie. Deren Verteidigung wird den schlecht ausgerüsteten Truppen der verbündeten Staaten Ungarn, Italien und Rumänien übertragen.

Fall Blau: Bis Mitte November 1942 stiess die Wehrmacht bis an die Wolga und zum Kaukasus vor.
Fall Blau: Bis Mitte November 1942 stiess die Wehrmacht bis an die Wolga und zum Kaukasus vor.Bild: gdr/CC BY-SA 3.0

Der Angriff

Die Offensive startet am 28. Juni 1942 und erzielt grosse Anfangserfolge, da die sowjetischen Verteidiger eher mit einem Angriff auf Moskau gerechnet haben. Erneut gerät die Rote Armee in die Defensive, kann sich aber durch die Preisgabe von Gelände der Einkesselung entziehen. Bald stehen deutsche Truppen am Don, Ende Juli fällt Rostow, am 9. Juli erreichen die Panzerspitzen die Ausläufer des Kaukasus.

Die Heeresgruppe A besetzt die – von den Sowjets zuvor nachhaltig zerstörten – Ölfelder von Maikop, doch ihr Vorstoß Richtung Baku kommt aufgrund der zunehmend unlösbaren logistischen Probleme zum Erliegen. Derweil überquert die 6. Armee, der Eliteverband der Heeresgruppe B, am 21. August den Don. Nur zwei Tage später erreichen deutsche Panzerspitzen die Wolga nördlich von Stalingrad. Am gleichen Tag fliegt die Luftflotte 4 einen mörderischen Angriff auf die Stadt – 600 Flugzeuge werfen eine Million Bomben ab, mehr als 40.000 Einwohner kommen ums Leben.

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Der Luftangriff im August verwandelte die Stadt in ein Trümmerfeld. Nach der Schlacht von Stalingrad lebten nur noch rund 8000 Zivilisten in der zerstörten Stadt.Bild: imago stock&people

Die 6. Armee rückt von Norden her auf Stalingrad vor, während die 4. Panzerarmee sich der Stadt von Süden her nähert. Anfang September dringen die ersten deutschen Soldaten in Stalingrad ein. Die Verteidiger – in der Hauptsache die bereits angeschlagene 62. sowjetische Armee – leisten erbittert Widerstand; es kommt zu einem langwierigen und blutigen Häuserkampf, dem sogenannten Rattenkrieg.

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Häuserkampf in Stalingrad.Bild: imago stock&people

Bis Mitte November erobern die Deutschen etwa 90 Prozent der Stadt und einen Korridor zum Wolgaufer, der die 62. Armee in zwei Teile trennt. Hitler spricht bereits von einem grossen Sieg. Doch die sowjetischen Verteidiger führen immer neue Kräfte über die Wolga in ihre verbliebenen Stellungen am Westufer. Und die Wehrmacht – statt diese Widerstandsnester einzunehmen – konzentriert nun ihre Angriffe auf stark befestigte Industriekonglomerate nördlich und südlich der Innenstadt.

Häuserkampf in Stalingrad.
Häuserkampf in Stalingrad.Bild: imago stock&people

Die Zange

Während sich in Stalingrad die 6. Armee, die schon bei Beginn der Kämpfe stark abgenutzt ist, in den verlustreichen Häuserkampf verbeißt, bereitet das sowjetische Oberkommando, die Stawka, eine großangelegte Gegenoffensive vor. Die Sowjets haben erkannt, dass die Überdehnung der feindlichen Truppen der Roten Armee die Möglichkeit eines Zangenangriffs eröffnet. Die Operation Uranus beginnt am 19. November mit dem Angriff auf die von rumänischen Truppen geschützte nördliche Flanke der Heeresgruppe B. Tags darauf greifen sowjetische Truppen auch südlich von Stalingrad an.

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Armeegeneral Georgy Thukov.Bild: imago stock&people

Der Zangenangriff überrascht die Achsenmächte; schon am 23. November vereinigen sich die beiden sowjetischen Angriffskeile im Rücken der 6. Armee. 22 Divisionen der Achsenmächte – etwa 280.000 deutsche und rumänische Soldaten – sind jetzt in einem rund 50 auf 60 Kilometer großen Kessel eingeschlossen. 60 Divisionen der Roten Armee bilden den Ring um die Stadt, den auch das Unternehmen Wintergewitter nicht sprengen kann. Dieser Versuch, mit rund 50.000 Mann und 250 Panzern einen Korridor zur eingeschlossenen 6. Armee freizukämpfen, scheitert am starken sowjetischen Widerstand und wird am 23. Dezember aufgegeben. Zudem erteilt Hitler der 6. Armee keine Erlaubnis zum Ausbruch aus dem Kessel.

Die Operation Uranus führte zur Einkesselung der 6. Armee in Stalingrad (gelb eingefärbte Geländegewinne). Bis Ende Februar musste sich die Wehrmacht aus den im Herbst zuvor eroberten Gebieten zurückz ...
Die Operation Uranus führte zur Einkesselung der 6. Armee in Stalingrad (gelb eingefärbte Geländegewinne). Bis Ende Februar musste sich die Wehrmacht aus den im Herbst zuvor eroberten Gebieten zurückziehenBild: Gdr CC BY-SA 3.0

Der Kessel

65 lange Tage und Nächte dauert das Sterben im Kessel von Stalingrad. Von Beginn an ist die Luftwaffe nicht annähernd in der Lage, Herrmann Görings vollmundiges Versprechen zu erfüllen, jeden Tag den Mindestbedarf von 500 Tonnen in den Kessel zu fliegen. Zahlreiche Maschinen gehen verloren; Unfälle und sowjetische Flak fordern ihren Tribut. Schnell wird der Mangel im Kessel lebensbedrohlich: Die Rationen der Soldaten werden halbiert, später gibt es nur noch 100 Gramm Brot pro Tag, am Ende sind es noch 60 Gramm.

Während die Sowjets allmählich die Schlinge zuziehen, verschlechtert sich der Zustand der Truppen im Kessel immer mehr: Die meisten Soldaten sterben nicht bei Kampfhandlungen, sondern an Unterkühlung und Unterernährung.

Der Kommandant der 6. Armee, Generaloberst Friedrich Paulus, lehnt am 8. Januar ein Kapitulationsangebot der Roten Armee ab, danach beginnt der sowjetische Großangriff mit 47 Divisionen auf den Kessel. Am 25. Januar werden die letzten Verwundeten aus Stalingrad ausgeflogen. Danach erobern die Sowjets die Flugfelder im Kessel; Versorgungsgüter können danach nur noch abgeworfen werden und landen oft bei den feindlichen Truppen. Kurz darauf spalten die Sowjets den Kessel, der jetzt nur noch aus der Trümmerwüste von Stalingrad besteht, in zwei Teile.

Noch am 29. Januar, kurz vor der Kapitulation, gratuliert Paulus Hitler per Funkspruch:

"An den Führer! Zum Jahrestage Ihrer Machtübernahme grüßt die 6. Armee ihren Führer. Noch weht die Hakenkreuzfahne über Stalingrad. Unser Kampf möge den lebenden und kommenden Generationen ein Beispiel dafür sein, auch in der hoffnungslosesten Lage nie zu kapitulieren, dann wird Deutschland siegen. Heil mein Führer! Paulus, Generaloberst."

Hitler befördert Paulus zum Generalfeldmarschall. Der "Führer" hofft, Paulus werde sich nicht als erster deutscher Offizier dieses Ranges gefangen nehmen lassen. Doch schon am 31. Januar kapituliert Paulus in seinem Hauptquartier im Südkessel. Der Nordkessel kapituliert am 2. Februar – die Schlacht von Stalingrad ist vorbei.

German prisoners who lost in the Battle of Stalingrad in February 1943 . WORLD WAR II STALINGRAD 1943 GERMAN POWS ; Reissue; 20 FEBRUARY 1963, Copyright: Topfoto PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY United ...
Am Ende: deutsche Gefangene nach der Schlacht von Stalingrad. Nur wenige überlebten die Kriegsgefangenschaft.Bild: imago stock&people

Die Toten

In der Agonie des Kessels beschallt sowjetische Propaganda unablässig die demoralisierten Reste der 6. Armee aus großen Lautsprechern. Besonders häufig ist das Ticken einer Uhr zu hören, dann folgt der düstere Spruch: "Alle sieben Sekunden stirbt ein deutscher Soldat. Stalingrad – Massengrab." Und das ist Stalingrad in der Tat, ein furchtbares Massengrab. Etwa 150.000 deutsche Soldaten sind im Kessel umgekommen, rund 100.000 ausgehungerte, erschöpfte Männer geraten in sowjetische Kriegsgefangenschaft – nur gerade 6000 von ihnen überleben und kehren bis 1956 nach Deutschland zurück.

Sowjet-Propaganda: "Alle sieben Sekunden stirbt ein deutscher Soldat. Stalingrad – Massengrab."Video: YouTube/gobrilion

Der Blutzoll der Roten Armee und der Zivilisten in der Stadt aber ist noch grösser. Von den Zivilisten überleben nur wenige Tausend; die sowjetischen Truppen verlieren nicht weniger als 700.000 Mann an Toten und Verwundeten. Manche von ihnen sterben, weil sie zurückweichen und deshalb von sowjetischen Spezialeinheiten als Deserteure erschossen werden. Stalins Haltebefehl "Keinen Schritt zurück!" kennt keine Gnade.

Stalingrad. The railway station square was bombed by German aviation. PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY 377943
Eine Skulptur mit spielenden Kindern in der zerstörten Stadt.Bild: imago stock&people

Während des Abwehrkampfs gegen die 6. Armee schickt das sowjetische Kommando mitunter 10.000 oder mehr Soldaten pro Tag auf Booten über die Wolga in die umkämpfte Stadt. Schon die Überfahrt durch schweres Artilleriefeuer ist mörderisch; doch viele Soldaten müssen sogar ohne Waffe an die Front – sie sollen sich dort das Gewehr eines Gefallenen nehmen. So beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung eines Rotarmisten, der in die Stadt abkommandiert wird, weniger als 24 Stunden.

Great Patriotic War. Fighters of the 62nd Army of Guards are pictured in the liberated Stalingrad. Repro . PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY 1200657

Great Patriotic was Fighters of The 62nd Army of Guard ...
Die siegreiche Rote Armee.Bild: imago stock&people

Die Folgen

War Stalingrad tatsächlich die Wende an der Ostfront und damit des gesamten Zweiten Weltkriegs? Nach dem Krieg herrschte eine Weile diese Sicht vor, doch heute ist der Konsens eher, dass der Krieg für Deutschland bereits im Winter 1941 verloren war. Nachdem der Angriff der Wehrmacht auf Moskau steckengeblieben war, ging die Rote Armee erstmals auf breiter Front zum Gegenangriff über – der Blitzkrieg war gescheitert. Dazu kam der Kriegseintritt der USA.

Der Zweite Weltkrieg in Europa, Tag für Tag.Video: YouTube/EmperorTigerstar

Stalingrad mag nicht die eigentliche militärische Wende gewesen sein – zweifelsohne war es aber eine psychologische Wende ersten Ranges. Zum ersten Mal war ein Großverband der Wehrmacht vernichtend geschlagen worden – der Mythos von der Unbesiegbarkeit der deutschen Kriegsmaschinerie war damit erledigt. Zudem ging das Gesetz des Handelns nach Stalingrad endgültig auf die Rote Armee über. In Deutschland, wo Propagandaminister Goebbels kurz nach der Kapitulation der 6. Armee mit seiner infamen Ausrufung des "Totalen Krieges" die Reihen schließen wollte, wuchsen die Zweifel am versprochenen Endsieg.

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