Es ist ein besonderer Geburtstag: Am 3. Oktober 2020 wird das wiedervereinte Deutschland 30 Jahre alt. Für viele Menschen bedeutete der damalige Beschluss, Ost und West zu vereinen, einen lebensverändernden Einschnitt. Andere können sich an diesen Tag nicht einmal mehr erinnern – und merkten erst Jahre später, welche Bedeutung er für sie hat.
Watson hat mit neun Menschen über die Wiedervereinigung gesprochen: Politiker, Politikerinnen und Promis erinnern sich daran, was sie am 3. Oktober 1990 gemacht haben, welche Gefühle sie hatten und wie sie die Zeit danach erlebten.
"Die Debatten in der letzten DDR-Volkskammer waren lebendig, oftmals sehr lang und durchaus auch davon geprägt, dass nur wenige Politprofis im Parlament saßen. Denkwürdig wird wohl vor allem jene Sitzung bleiben, in der die Volkskammer nach Mitternacht missverständlich zunächst nur ihren Beitritt – nicht den der DDR – zur Bundesrepublik zum 3. Oktober 1990 beschloss. Dieser Fehler im Beschlusstext wurde nach meinem Hinweis kurzerhand vom Parlamentsvizepräsidenten Reinhard Höppner handschriftlich getilgt."
"Meine Heimat und mein Wahlkreis waren bis zur Wiedervereinigung sogenanntes Zonenrandgebiet – sie grenzen an Thüringen. Ich war als Kind mit meinen Eltern einmal im Jahr in der DDR, um Bekannte zu besuchen. Damals habe ich Micky-Maus-Hefte für deren Kinder mitgeschmuggelt und erinnere mich noch genau an das beklemmende Gefühl an der Grenze. Mit der Wiedervereinigung verbinde ich ein großes Gefühl der Erleichterung – diese Enge, dieses Am-Rand-sein, die Beklemmung: vorbei. Wir waren auf einmal mittendrin in Deutschland und Europa."
"An den Tag der Deutschen Einheit kann ich mich – ehrlich gesagt – gar nicht so genau erinnern. Zurückblickend ist mir der Mauerfall bewusst, der Umbruch in meiner Heimat in Thüringen und die Währungsreform. Der Tag der Deutschen Einheit hat für mich heute – 30 Jahre danach – einen viel wichtigeren Wert als am Tag der Einheit selbst."
"Ich erinnere mich noch sehr gut an den Tag, als die Mauer fiel. Ich war als Europaabgeordnete in Straßburg, es war Plenumswoche im Parlament, und plötzlich wurden alle Sitzungen unterbrochen. Wir alle hingen an den Fernsehgeräten und konnten es zuerst gar nicht glauben. Dann war Hochstimmung und das überwältigende Gefühl: Veränderung ist möglich, jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. Der Tag der Deutschen Einheit erinnert uns daran, dass Bürger- und Freiheitsrechte, Demokratie und faire soziale Teilhabe Wertfundamente unseres Zusammenlebens sind. Und er mahnt uns, dass dieser demokratische Konsens nicht einfach naturgegeben ist, sondern dass wir weiter dafür streiten müssen, genauso wie für den Zusammenhalt unseres Landes. Die Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit begehen wir als ein großes Fest der Demokratie und der Freiheitsrechte."
"Der 3. Oktober 1990 ist wichtig, keine Frage. Trat an diesem Tag doch der Einigungsvertrag in Kraft. Aber ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, was ich damals gemacht habe. Wahrscheinlich geht es mir da wie den meisten Menschen. Jeder weiß, was er am 9. November gemacht hat. Der 3. Oktober hat etwas gebraucht, um sich in die Herzen der Menschen zu schleichen. Heute erlebt Potsdam ein buntes Fest der Deutschen Einheit. Ich feiere privat mit Freunden aus Ost, West und dem Ausland das große Glück, vereint und frei leben zu können."
"Am 3. Oktober 1990 war ich mit Musikerfreunden in Berlin unterwegs, wir wollten die Stimmung dieses einzigartigen Augenblicks auf den Straßen der neuen Hauptstadt hautnah miterleben und uns davon inspirieren lassen, selbst heute noch bekomme ich eine Gänsehaut und es durchfluten mich überwältigende Gefühle, wenn ich daran zurückdenke: Das ganze Land war ergriffen von Euphorie und Zuversicht, ein unvergesslicher Tag, eine ganz einmalige Zeit!
Diesen Impetus von damals müssen wir jetzt reaktivieren. (...) Es ist essenziell, gegen die Spaltung in unserer Gesellschaft, die Spaltung zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd, anzukämpfen und den wissensbasierten Diskurs, der durch vereinfachende Narrative ersetzt wurde, wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen. Dafür müssen wir als Künstler und Freidenker ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft bleiben und wir alle müssen endlich unsere Komfortzone verlassen. Wir müssen uns tatkräftig rückbesinnen auf unsere 'erste Revolution' und auf die Energie Dinge zu bewegen. Genau dies hatte auch zum Fall des Eisernen Vorhangs geführt. Gerade wenn wir heute den 30. Jahrestag der deutschen Einheit gemeinsam feiern, muss uns diese Erinnerung an den Aufstand gegen die Diktatur Kraft schenken, unseren Kindern eine bessere Welt zu hinterlassen."
"Die Wiedervereinigung schenkte mir ein Leben. Zwar verlor ich wie andere Ostdeutsche den Job. Doch ich habe mich aufgerappelt. Ich lernte einen Mangelberuf, später studierte ich. Bis heute überwältigt mich die Freiheit. Der 30. Jahrestag hat für mich einen so hohen Stellenwert, dass ich ein Buch mit dem Titel 'Demokratie aushalten' schreibe. Als ich erste Gedanken aufschrieb, so mit 13 Jahren, witterte die Stasi eine Gefahr. Sie überwachten meine Briefe, in meinem Fall die Abteilung M der Bezirksverwaltung. Tja, die damals 13-Jährige ist jetzt 49 Jahre alt und ihre Gedanken sind frei!"
"Ich war zu jung, um selber Teil der Friedlichen Revolution zu sein. Aber ich habe erlebt, wie alle Autoritäten über Nacht verschwunden sind. Die Direktorin der Schule war weg, ebenso die Pionierleiterin, die alten Schulbücher, neue Bücher nicht da. Das war befreiend: Autoritäten lösen sich in Luft auf, alles scheint möglich. Gleichzeitig verstörte mich: die eigene Familie verunsichert, bedroht durch Arbeitslosigkeit und Armut. Das hat mir gezeigt, wie fragil alles sein kann, dass es aber trotzdem weitergeht. Eine Erfahrung, die mir hilft, in der Corona-Pandemie zuversichtlich zu bleiben."
"Das war ein Prozess von 1989 bis 1990. Ich habe damals gearbeitet. Die eindrucksvollsten Bilder sind die, wo die Mauer geöffnet wurde und so viele Tausende Menschen auf der Mauer standen. Das war für mich ein unglaubliches Bild. Und auch die Pressekonferenz von der SED, wo gesagt wurde, dass man jetzt ausreisen kann und die Grenzen zur BRD geöffnet werden, habe ich noch stark in Erinnerung. Ich weiß bis heute nicht, ob es ein Versehen war.
Ich hatte damals eine Freundin, die gerade in Indien war. Ich dachte, sie ist am falschen Ende der Welt. Bei uns wird gerade Geschichte geschrieben. Das war wirklich ein Erlebnis, das mir heute noch ganz klar in Erinnerung geblieben ist. Damals gab es keine Handys. Ich habe Briefe geschrieben und ihr versucht, den ganzen Prozess zu erklären und darauf hingewiesen, dass sie sich da unbedingt schlaumachen muss, was bei uns hier gerade Weltbewegendes passiert. Diese ganze Zeit ist unglaublich präsent und diese Bilder fast nicht zu fassen. Ich brauche diese Aufnahmen gar nicht im Fernsehen sehen, ich habe sie vor Augen, als wäre es gestern gewesen.
Ich war in meinem Restaurant 'Tafelhaus' in Hamburg. Wir haben uns einen Fernseher in der Küche aufgestellt, um wirklich live dabei zu sein und die ganzen Vorgänge mitanzusehen. Wir hatten das Restaurant voller Gäste. Das war schon Wahnsinn."