225.000 Deutsche hat das Auswärtige Amt inzwischen aus dem Ausland zurück nach Hause geflogen – die größte Rückholaktion, seit es die Bundesrepublik gibt. Eine ganze Menge Menschen, die eigentlich gerade am Urlauben waren oder ein Auslandsjahr einlegten, bis die weltweite Covid-19-Epidemie sie stoppte.
Eine davon war Pia. Uns erzählt die 23-Jährige, warum sie sich entschied, Neuseeland zu verlassen (obwohl das Land derzeit als Vorzeigeland gilt) und wie das so ist, wenn die Bundesregierung einen quer über den Globus nach Hause chauffiert.
Eigentlich hatte Pia schon nach der Schule den Traum, ein Auslandsjahr einzulegen, schob den aber für eine Ausbildung zur Fotomedienfachfrau auf. "Jetzt wollte ich endlich mit Work & Travel nach Neuseeland, dann Australien und Bali. Ein kurzer Stopp in Deutschland für die Hochzeit von Freunden und danach nach Kanada. Es schien mir genau der richtige Zeitpunkt", sagt sie. Leider lag sie damit falsch. Denn nach neun Monaten war mit ihren Plänen Schluss.
Als Covid-19 Anfang März so richtig in Europa ausbricht, pflückt sie gerade auf einer Farm in Neuseeland Äpfel. Sie und ein paar andere Deutsche teilen sich ein Appartement auf dem Gelände und bekommen die Nachrichten zuerst von ihren Familien daheim mit. Lockdown, Grenzen zu, große Verunsicherung – für Pia ist das überhaupt nicht greifbar, eigentlich nur absurd.
Doch diese innere Gnadenfrist dauert nur ein paar Tage. "Mitte März hieß es dann auch bei uns schlagartig: Vier Wochen Lockdown. Alles bleibt zu. Nur noch Ärzte und Supermärkte sind erreichbar. Das war wirklich superhart."
Die Erntehelfer arbeiten zwar weiter, allerdings mit zwei Metern Abstand zueinander und neu installierten Desinfektionsmittel-Ständen überall auf der Farm. Sie tragen Masken und Handschuhe, während sie in der Sonne das Obst pflücken. Der Pausenraum wird vor und nach jeder Mittagspause komplett desinfiziert, dreckiges Geschirr muss sofort weggeräumt werden, auch die Toilettenräume werden vor jeder Nutzung möglichst keimfrei geputzt. Abends sitzt Pia zwar weiterhin mit Kollegen zusammen, "aber nur noch auf verstreuten Campingstühlen im Freien. Und zum Vergnügen sollte man natürlich gar nicht mehr weg". Ein unbeschwertes Abenteuer sieht irgendwie anders aus.
Neuseelands Kurs gehört zu einem der konsequentesten der Welt. Mitte März schloss die Regierung die Grenzen, doch auch den Einwohnern sind Ausflüge an den Strand oder Besuche inzwischen gänzlich untersagt, um die Verbreitung des Covid-19-Virus zu verhindern. Außerdem testet das Land seine Bevölkerung groß angelegt und verzeichnet bislang mit seiner Strategie laut der WHO nur 1078 Infizierte und neun Tote. Eigentlich gute Nachrichten für Pia. Und doch ist die Situation für sie beunruhigend.
"Bleib da!", raten ihr die Hälfte ihrer Freunde. Schließlich sei es dort sicherer als in Deutschland. Die andere Hälfte will sie lieber zu Hause wissen. "Ich hab versucht, mich von diesen ganzen Meinungen nicht beeinflussen zu lassen", sagt Pia. In der Fremde krank zu werden, macht ihr zwar keine Angst, doch bei den nächtlichen Grübeleien wird ihr immer klarer: Als Deutsche im Ausland ist sie aufgeschmissen.
Am Ende entscheidet sie sich für: Abreise. Und zwar so schnell wie möglich. Ein Freund erzählt ihr von der Rückholaktion der Bundesregierung und sie bewirbt sich online. "Die wollten nur Name, Geburtsdatum, Reisepassnummer und Aufenthaltsort. Anderthalb Wochen später hatte ich dann ein Flugticket mit Anweisungen."
Sie und 399 andere Deutsche sollen am Samstag vor Ostern von Christchurch im Osten des Landes über Bangkok zurück nach Deutschland fliegen, die Rückholaktion wird in den Papieren als "Katastrophenmaßnahme" bezeichnet.
Fünf Stunden lang fährt Pia zum Flughafen, mitten in der Nacht. "Da hatte ich noch Glück. Viele hatten viel längere Anreisen und die Hotels wären ja auf der Strecke geschlossen gewesen." Es ist nachts um vier Uhr, als sie am Airport Christchurch parkt. Das Gebäude vor ihr ist noch geschlossen. Doch rechts und links davor entdeckt sie bereits zwei riesige Schlangen anstehen. Alles Menschen, die nach Hause wollen.
Als sich die Türen öffnen, ist am Flughafen alles anders als sonst. Kein offenes Restaurant, kein Shop, keine normalen Check-In-Schalter. Dafür drei Tische vom Auswärtigen Amt. "Die saßen da mit Laptop und Handschuhen und checkten unsere Reisepässe", erzählt uns Pia. Peinlich genau wird weiterhin auf die zwei Meter Abstand zwischen den Wartenden geachtet. "Bis wir dann im Flieger saßen. Da saßen wir alle so dicht an dicht, wie man das eben kennt", sagt die Rückkehrerin. "Einige trugen immerhin weiter Masken."
Der Flieger hat Verspätung, da tatsächlich einige Deutsche auf leer gewordene Plätze nachrücken dürfen. Am Ende ist die Maschine bis auf den letzten Sitz ausgelastet. 400 Passagiere. "Alles daran war komisch. Ich war in meinen eigenen Gedanken, es gab nur minimalsten Service. Jeder hatte so eine blaue Box mit Snacks auf seinem Sitz – das war die Verpflegung." In Bangkok landet der Flieger zwischen, aussteigen darf keiner. Quarantäne-Bestimmungen, wurde ihnen erklärt.
Am Ostersonntag um halb ein Uhr nachts landet Pia in Frankfurt. Es ist eine traurige Ankunft – und kein bisschen so, wie sich die Weltreisende ihre Rückkehr früher ausgemalt hatte. Kaum auf deutschem Boden bekommt sie noch einmal einen Hinweiszettel, dass sie sich beim Gesundheitsamt melden soll und außerdem zwei Wochen in Quarantäne zu Hause muss. Ein Empfang mit Ballons und Küssen bleibt aus.
"Ich landete und hatte nichts. Wohnung gekündigt. Job gekündigt. Das war natürlich alles mal anders geplant", sagt sie. Vorübergehend wohnt sie nun im Gartenhaus ihrer Mutter nahe Hannover. Dort sitzt sie die zwei Wochen Pflicht-Quarantäne ab, während ihre Mama ihr die Einkäufe vor die Tür stellt. Pia: "Meine Freunde konnte ich noch nicht sehen. Das macht mich sehr traurig." Sie hat sich einen Haufen Bücher bestellt, plant so die Langeweile zu überbrücken.
Dem Gesundheitsamt schrieb sie eine Mail zu ihrem derzeitigen Verbleib, bislang kam keine Antwort. "Ich hoffe einfach, sie lesen das. Denn telefonisch kam ich nie durch." Sie vermutet, dass die Ämter überlastet sind, aber wie es in Deutschland derzeit zugeht, weiß sie eigentlich nur vom Hörensagen. "Ich denke, es ist ähnlich wie in Neuseeland, was die Vorkehrungen betrifft", sagt sie. Trotzdem wäre sie eigentlich lieber dort. Oder irgendwo anders.