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Weihnachten: Welche Rolle das Fest für geflüchtete Jugendliche spielt

Weihnachtsschmuck in einem Flüchtlingslager in Syrien.
Weihnachtsschmuck in einem Flüchtlingslager in Syrien. Bild: Getty Images
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Welche Rolle Weihnachten für geflüchtete Jugendliche spielt

23.12.2019, 18:16
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Weihnachten ist das Familienfest schlechthin. Wochenlang bereiten wir uns darauf vor, im Kreis der Lieben zu feiern. Wir schreiben Briefe, denken uns Überraschungen aus, buchen Flüge und Zugtickets, um rechtzeitig zu Heiligabend zu Hause zu sein. Von Werbeplakaten in U-Bahnhöfen und Fußgängerzonen lächeln uns beseelte Familien an. Meist sind sie weiß.

Dabei fällt gerne mal unter den Gabentisch, dass hierzulande viele Menschen leben, denen es nicht möglich ist, Weihnachten so zu feiern, wie es die Mehrheitsgesellschaft vorlebt. Vielleicht, weil sie keine Familie haben – oder die Familie weit entfernt lebt und der Weg dorthin versperrt ist, weil Krieg und Gewalt eine Rückkehr unmöglich machen.

Watson hat in der Vorweihnachtszeit eine Einrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete besucht und wollte wissen, welche Rolle Weihnachten in einer Umgebung spielt, in der die Familie das gesamte Jahr über fehlt.

Weihnachten in einer Unterkunft für Flüchtlinge

Wir treffen Sandra (Name von der Redaktion geändert), 32, in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung in einer süddeutschen Großstadt. Sie ist Betreuerin hier, sieben Jahre macht sie das schon.

Der Weg in die Einrichtung führt über einen Innenhof, die Tür ist offen. Eine schmale Treppe führt in den ersten Stock. Sandra zeigt uns die Räume, deren Einrichtung ein wenig an die von Jugendherbergen erinnert. Im Gemeinschaftsraum steht ein Kicker-Tisch, an die Wand hat jemand das Vereinswappen des FC Bayern gemalt.

Ihr Antrieb für ihre Arbeit hier, erzählt sie uns, sei, dass sie etwas Sinnvolles machen wolle und sich für Menschen einsetzen, die in welcher Form auch immer benachteiligt seien.

"Nur arbeiten, damit andere reicher werden, das würde mich nicht motivieren."
Sandra über ihre Motivation, Menschen zu helfen

Ein gutes Dutzend Jugendliche, Jungen und Mädchen, aus verschiedenen Herkunftsländern und unterschiedlichen Kulturkreisen leben in der Einrichtung. Sie teilen sich Zimmer, Bäder und Küchen. Alle haben Fluchtbiographien und, das stellt Sandra im Gespräch mehrmals klar, schreckliche Erfahrungen gemacht, "unvorstellbar für die allermeisten von uns, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind".

So unterschiedlich wie ihre Biographien sind, sind auch die Gründe, aus denen sich diese jungen Menschen auf den gefährlichen Weg nach Europa gemacht haben.

"Afghanische Jungs zum Beispiel laufen häufig Gefahr, schon mit 12 oder 13 Jahren von den Taliban eingesammelt zu werden. Dann sollen sie für sie kämpfen. Für diese Jugendlichen geht es einfach nur ums Überleben."

Alles andere sei da zunächst zweitrangig. Bei anderen Jugendlichen stehe die Aussicht auf ein besseres Leben in Frieden und Wohlstand im Vordergrund, auf eine bessere Perspektive, als ihre Heimatländer es ihnen bieten können.

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bild: getty images / watson montage
Watsons Reihe: "Menschen, die zu Weihnachten helfen"
Weihnachten bedeutet für viele Menschen nicht nur das Fest der Liebe: Für einige ist es die Zeit, in der sie besonders unter Einsamkeit, Armut oder Kälte leiden. Dagegen setzen sich viele Helfer ein. Diese Helfer sind natürlich nicht nur in der Weihnachtszeit aktiv. Wir wollen die besinnliche Jahreszeit allerdings nutzen, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen: Jeden Tag bis Weihnachten stellt watson deswegen einen Menschen oder eine Organisation vor, die sich zur Weihnachtszeit für andere einsetzen. Zum Inspirieren, Nachdenken und vielleicht auch Nachahmen.

In der Betreuungseinrichtung sollen sie mit Hilfe ihrer Betreuer und Betreuerinnen in ein möglichst normales Leben finden, also etwa die deutsche Sprache lernen, einen Schulabschluss machen oder einen Ausbildungsplatz finden. Sie sollen alltagsfähig werden und dazu gehört, dass sie einen Weg finden, ihre Ängste und Traumatisierungen zu bewältigen.

Welchen Platz kann Weihnachten da haben?

"Das Fest spielt bei uns in der Einrichtung nicht die große Rolle, die es in Deutschland hat", sagt Sandra. Die Weihnachtsatmosphäre spürten ihre Jugendlichen alleine schon wegen ihrer anderen Sozialisierung nicht so sehr, wie das vielleicht bei jungen Menschen der Fall sei, die hierzulande aufgewachsen sind.

"Gefeiert wird Heiligabend aber auch bei uns, auch mit unseren muslimischen Jugendlichen. Wir schmücken zusammen einen Weihnachtsbaum, Essen zusammen und es gibt eine kleine Bescherung."

Manche würden auch mit ihrer Familie feiern, "wenn sie zum Beispiel eine Tante oder einen Onkel haben, die hier leben". Andere gingen Essen mit Freunden. "Es ist schon ein Bewusstsein dafür da, dass Heiligabend ein festlicher Tag ist."

Ob sich ihre Jugendlichen ausgegrenzt fühlen, wenn sich um sie herum eine ganze Gesellschaft auf ein Familienfest vorbereitet?

Dafür fehlten die Berührungspunkte mit der sogenannten Mehrheitsgesellschaft – in der Schule etwa seien die geflüchteten Jugendlichen meist von anderen Geflüchteten umgeben.

"Eine Vermischung mit Menschen, die hier aufgewachsen sind, findet erst etwas später statt, zum Beispiel in der Ausbildung." Nur wer in sehr frühem Alter nach Deutschland komme, werde auch in Regelschulen unterrichtet. Diese jungen Menschen bekämen viel eher mit, wie Weihnachten in anderen Familien gefeiert werde.

Was allerdings auch älteren Jugendlichen auffalle, sei die Konsumorientierung von Weihnachten. "Wir haben in der Einrichtung nur ein kleines Budget für Geschenke. Aber natürlich wollen auch unsere Jugendlichen etwa mit Markenklamotten gut ankommen – das können wir nur sehr begrenzt ermöglichen."

"Aber", gibt Sandra zu bedenken, "das ist ein Problem, das eigentlich das ganze Jahr über besteht." Nicht zuletzt hier falle ihr immer wieder auf: "Diese jungen Menschen haben es in allem einfach viel schwerer, sie müssen für alles viel härter kämpfen." Und wenn es nur hippe Schuhe sind.

Als wir Sandra zum Abschluss nach einem Weihnachtswunsch fragen, wird sie sehr nachdenklich. Schließlich sagt sie:

"Ich würde mir schon wünschen, dass unsere Jugendlichen ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft werden."

Die Hoffnung, dass der Wunsch einmal in Erfüllung geht, fehlt ihr aber.

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