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Azubi über Corona-Maßnahmen an Schulen: "Werden von der Politik allein gelassen"

Azubi Daniel Ackermann findet, dass Schulen vermehrt auf Distanzunterricht umstellen sollten.
Azubi Daniel Ackermann findet, dass Schulen vermehrt auf Distanzunterricht umstellen sollten.Bild: privat
Interview

Azubi kritisiert die Umsetzung der Corona-Maßnahmen an Berufsschulen: "Wir werden von der Politik allein gelassen"

09.12.2020, 16:4810.12.2020, 12:50
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Es ist unklar, was während der Corona-Pandemie noch auf die Schulen zukommt. Nachdem sie während der ersten Welle schließen mussten, halten nun einige Kultusminister am Präsenzunterricht fest, sie klammern regelrecht – Sachsen ausgenommen. Zwar nahen die Weihnachtsferien, aber angesichts des Infektionsgeschehens kann noch einiges passieren. Dass viele Schulen mit der Situation überfordert sind, ist nicht wirklich überraschend. Denn Kultusminister streiten untereinander, mit der Bundesregierung, mit den Rektoren.

Für den 19-jährigen Daniel Ackermann aus Nordrhein-Westfalen sind die undurchsichtigen Regeln ebenso wie der Präsenzunterrichtzwang ein großes Problem. Er macht eine Ausbildung zum Bürokaufmann, pendelt also zwischen Schule und Betrieb. Infiziert er sich mit dem Coronavirus, trägt er es von der Schule zur Arbeit – beide müssten im Schlimmstfall schließen. Das sorgt für enormen Druck. Ein Gespräch mit watson über die Angst, zur Schule zu gehen, das Gefühl, von der Politik alleingelassen zu werden und die Frage, ob landesweit einheitliche Regeln die Situation verbessern könnten.

"Es war doch abzusehen, dass mit dem Winter die Infektionszahlen steigen. Nun sind die Politiker so überrascht, dass sie quasi gelähmt sind."

watson: Wie sieht der Unterricht bei dir aus? Welche Regeln gelten an deiner Schule?

Daniel Ackermann: Wir haben Präsenzunterricht, das gilt für den gesamten Kreis Gütersloh. Hybridunterricht in Hotspots ist zwar im Gespräch, durchgesetzt wird er aber nicht. Das ist verrückt. Bei uns steigen die Infektionszahlen und wir müssen trotzdem täglich in der Schule anwesend sein. Dabei gibt es doch soziale Aspekte, etwa Familienmitglieder, die Risikopatienten sind. Darunter leiden die Schülerinnen und Schüler. Sie fühlen sich unwohl.

Ich selbst besuche zweimal die Woche die Berufsschule. Berufsschülerinnen und -schüler haben laut NRWs Bildungsministerin Yvonne Gebauer eine Anwesenheitspflicht, dabei kann eine Ansteckung auch wirtschaftlich fatale Folgen haben: Betriebe müssten im Schlimmstfall schließen, die Produktion einstellen. So, wie es jetzt ist, ist das weder für die Unternehmen noch die Schüler vertretbar. Die Landesregierung hätte das kommen sehen müssen.

Und was hätte die Landesregierung in NRW anders machen können?

Im Sommer war ausreichend Zeit, um sich auf den Winter vorzubereiten. Schulen hätten die Digitalisierung vorantreiben, Belüftungssysteme installieren, Unterrichtspläne anpassen können – die Landesregierung hätte dafür lediglich die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen müssen. Es war doch abzusehen, dass mit dem Winter die Infektionszahlen steigen. Nun sind die Politiker so überrascht, dass sie quasi gelähmt sind. Es mangelt stark an Entscheidungen, an Ideen, an Konzepten. Ausschließlich Präsenzunterricht ist keine Lösung. Das ist Schülern wie auch Lehrern gegenüber ungerecht.

Du selbst pendelst als Azubi zwischen Berufsschule und Betrieb. Unterstützt dich dein Arbeitgeber, etwa mit einer Homeoffice-Option?

Schon, aber das möchte ich nicht. Sinn einer Ausbildung ist, vollumfänglich da zu sein. Es bringt nichts, wenn ich zwei Monate im Homeoffice sitze und nichts lerne. Es gibt bei uns Paten, denen ich Fragen stellen kann. Das Vier-Augen-Gespräch ist da wesentlich effizienter als Telefonate oder Chatnachrichten. Die Gefährdung besteht durch den vollen Präsenzunterricht, nicht in der Ausbildung, in der ich wesentlich weniger Menschen treffe und Maßnahmen bestmöglich umgesetzt werden.

"Wir fürchten nicht nur um die eigene Gesundheit, sondern auch um unsere Noten – und damit um unsere Zukunft."

Was sagen die Ausbildungsbetriebe zu der Situation?

Sie beschweren sich. Das gilt für meinen wie auch die meiner Mitschülerinnen und Mitschüler. Sie stört besonders, dass die Schulen keine strengen Corona-Regeln verhängen. Klar, hier und da gibt es ein paar Maßnahmen – Maskenpflicht im Ernstfall – aber für mehr braucht es nun mal die Unterstützung von der Regierung. Doch sie lässt nicht nur die Schulen selbst außer Acht.

Sondern?

Schülerinnen und Schüler in Quarantäne. Sie kommen viel zu kurz. Kommen sie aus finanzschwachen Haushältern, fehlen ihnen die Mittel, um zu Hause zu lernen – sie verlieren den Anschluss. In NRW stehen wir kurz vor den Prüfungen, da kann es doch nicht sein, dass viele Schüler derart benachteiligt werden. Wir fürchten nicht nur um die eigene Gesundheit, sondern auch um unsere Noten – und damit um unsere Zukunft.

Wärst du für eine temporäre Schulschließung?

In den Hotspots definitiv. In NRW wäre das aber nicht leicht. Allein Wechselunterricht ist hier nur teilweise möglich, was vorrangig an den technischen Möglichkeiten liegt. Die Schüler brauchen Computer, um sich auszutauschen, Arbeitsblätter herunterzuladen, mitzuhalten.

"Es muss sich endlich etwas tun, damit wir uns sicherer und wieder wohlfühlen."

Während der ersten Welle gab es bereits Schulschließlungen. Wie kamst du damit zurecht? Was sagten deine Mitschülerinnen und Mitschüler?

Zu dem Zeitpunkt standen meine Prüfungen fürs Fachabitur an. Ich kam überraschend gut zurecht, es war aber auch nur ein Monat und ich hatte alles, was ich brauchte. Meine Mitschülerinnen und Mitschüler hatten auch keine Probleme. Der Abischnitt in NRW lag im Zweier-Bereich. Wenn man bedenkt, dass der Bildungsbetrieb hier unterbezahlt ist, ist das Wahnsinn. Damals konnte ich den Politikerinnen und Politikern keinen Vorwurf machen. Das Virus war neu, die Lage war neu. Natürlich war es schwierig, da Konzepte zu entwickeln. Heute ist das anders. Wir befinden uns seit knapp einem Jahr in dieser Situation und trotzdem tut sich nichts.

Hast du Angst, dich anzustecken?

Wie auch viele andere Schülerinnen und Schüler in den Oberstufen oder Berufsschulen unterschätze ich das Virus nicht. Was vorherrscht, ist Unsicherheit. Muss ich morgen in Quarantäne? Und was dann? Lege ich meinen Betrieb lahm? Stecke ich Verwandte an? Viele stellen sich genau diese Fragen, das erzeugt Stress. Es muss sich endlich etwas tun, damit wir uns sicherer und wieder wohlfühlen. Die Politik kann die Verantwortung nicht auf uns oder die Lehrerinnen und Lehrer abwälzen.

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