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Impfbrücke: So will ein Startup vermeiden, dass Impfstoff liegen bleibt

Warteschlange vor einem Impfzentrum in Dortmund.
Warteschlange vor einem Impfzentrum in Dortmund. Bild: www.imago-images.de / Wilfried Wirth
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"In manchen Impfzentren sind spontan freie Termine innerhalb von zwei Minuten weg": So will ein Startup vermeiden, dass Impfstoff liegen bleibt

08.04.2021, 09:2008.04.2021, 13:17
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Erst ist zu wenig Impfstoff da. Dann droht er, liegenzubleiben und unbrauchbar zu werden: Es ist ein Hin und Her mit den Corona-Impfungen in Deutschland. Vor allem die Debatte zum Impfstoff von Astrazeneca hat zuletzt wieder Zweifel innerhalb der Bevölkerung geschürt. So soll das Vakzin entgegen der ursprünglichen Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) nun über 60-Jährigen gegeben werden.

Die Folge sind viele abgesagte Impftermine, die neu besetzt werden müssen. Ansonsten droht der Impfstoff zu verfallen.

Für solche Fälle – aber auch grundsätzlich, wenn ein Impftermin spontan nicht wahrgenommen werden kann – gibt es die Impfbrücke: Das ist eine Software, die per Zufallsprinzip wartende Impfwillige per SMS über kurzfristig freie Termine informiert, natürlich entsprechend der Impfreihenfolge. Eingesetzt wird die Impfbrücke seit Mitte Februar in Duisburg, mittlerweile auch in Neuss und im Main-Taunus-Kreis. Insgesamt 13 Impfzentren nutzen die Software bereits.

Watson hat mit dem Gründer Manuel Hüttel gesprochen über den Einsatz der Impfbrücke, wie sie zur Lösung der Impfproblematik beiträgt und ob sie auch bundesweit eingesetzt werden könnte.

"Die Nachfrage ist sehr groß."

watson: Herr Hüttel, Sie haben gemeinsam mit Pirmin Straub im Januar die Impfbrücke entwickelt. Wie genau funktioniert die Software?

Manuel Hüttel: Die Impfzentren können sich auf unserer Website einloggen und dort ihre Wartelisten in unsere Datenbanken einpflegen. Wenn spontan ein Impftermin abgesagt und der Impfstoff dennoch unter die Leute gebracht werden soll, sucht die Software in der Datenbank zufällig eine kleine Gruppe von Personen der höchsten Prioritätsstufe aus, welche dann per SMS über den freien Termin informiert werden. Die Angeschriebenen haben eine halbe Stunde Zeit, um auf die SMS mit "ja" zu antworten. Wenn keine Rückmeldung kommt, werden die nächsten Impflinge angeschrieben.

Wie wird das Angebot von den Menschen angenommen?

Die Rückmeldungen waren bisher sehr positiv. In manchen Impfzentren sind die spontan freien Impftermine innerhalb von zwei Minuten weg. Die Nachfrage ist sehr groß.

"Für uns ist es letztlich am schönsten, wenn die Impfbrücke nicht genutzt werden muss – weil das bedeutet, dass kein Impfstoff übrig bleibt."

In Duisburg nutzt das Impfzentrum Ihre Software schon seit Mitte Februar. Konnte es dort bisher nachweislich vermieden werden, dass Impftermine verfallen und Impfstoff so liegen bleibt?

Wir merken auf jeden Fall, dass unser System in Duisburg mittlerweile weniger genutzt wird als anfangs. Das spricht dafür, dass mehr Termine wahrgenommen und mehr Vakzin verimpft wird. Für uns ist es letztlich am schönsten, wenn die Impfbrücke nicht genutzt werden muss – weil das bedeutet, dass kein Impfstoff übrig bleibt.

Hatte die Debatte um Astrazeneca Auswirkungen auf die Impfkampagne und die Nutzung Ihres Systems?

Das war definitiv ein Thema in den Impfzentren. Nachdem die Zweifel an dem Impfstoff von Astrazeneca lauter wurden und die Stiko ihre Empfehlung angepasst hat, wurde es schwieriger, den Impfstoff an die Menschen zu verteilen. Gerade da konnte unser System helfen, spontan frei gewordene Impftermine zu vergeben.

Manuel Hüttel ist der Mit-Gründer der Impfbrücke.
Manuel Hüttel ist der Mit-Gründer der Impfbrücke. Bild: privat

Eine Ration Impfdosen sollte immer übrig blieben, beispielsweise für Zweitimpfungen oder sollte eine Lieferung ausfallen beispielsweise. Wie notwendig ist die Impfbrücke in Anbetracht dessen?

Zweitimpfungen laufen nicht über unser System: Dafür bekommen die Impflinge einen regulären Impftermin. Unser Angebot ist vor allem dafür da, um spontane Absagen zu kompensieren. Mit den Rationen für Zweitimpfungen oder Notreserven hat das nichts zu tun.

In Duisburg wurden bisher 4,7 Prozent der Einwohner vollständig geimpft. Das ist unter dem NRW-Durchschnitt von 5,2 und dem bundesweiten Durchschnitt von 5,7 Prozent. Wie erklären Sie sich das?

Da spielen sicherlich viele Faktoren eine Rolle. Einen Einblick in die Gründe dafür habe ich allerdings nicht. Wir stellen letztlich vor allem die Software, um zu gewährleisten, dass möglichst viel Impfstoff verwendet wird.

"Man kann nie alle Leute berücksichtigen, aber so zumindest den Großteil mit einschließen."

Kann eine Software denn Termine fair verteilen? Was ist zum Beispiel mit Menschen, die kein Handy haben oder nicht mehr in Lage sind, es zu bedienen?

Würden wir unser System per App oder Website anbieten, wäre das komplizierter. Insofern ist das Medium SMS das niedrigschwelligste, mit dem man die meisten Menschen erreichen kann. Man kann nie alle Leute berücksichtigen, aber so zumindest den Großteil mit einschließen. Für den Rest muss man sich andere Methoden überlegen, um sie zu erreichen. Ein bisschen Eigeninitiative ist allerdings auch gefragt.

Wie häufig kommt es zu Fehlern im System, beispielsweise, dass Menschen aus einer falschen Impfgruppe benachrichtigt werden?

So, wie unsere Software aufgebaut ist, sind Fehler in der Impfreihenfolge eigentlich ausgeschlossen. Schließlich wird die Datenbank erst mit den Daten der Prioritätsgruppe 1, dann 2 und so weiter gespeist. Höchstens im Übergang von einer zur anderen Gruppe könnte es passieren, dass Menschen mit der jeweils nächsten Prio auch informiert werden. Das liegt allerdings im Ermessen des jeweiligen Impfzentrums. Und im Endeffekt geht es ja auch darum, den Impfstoff möglichst schnell zu verteilen – im Zweifelsfall an die nächste Impfgruppe."

"Das Risiko, dass etwas mit den Daten aus der Impfbrücke geschieht, ist sehr gering."

Bei der Impfbrücke geht es sowohl um ein sensibles Thema als auch sensible Daten, die verarbeitet werden. Wie stellen Sie sicher, dass diese nicht in falsche Hände geraten?

Alle Daten in unserem System sind verschlüsselt, selbst wir haben keinen Zugriff darauf. Sie werden nur entschlüsselt bei der SMS-Kommunikation. Da wir außerdem auf Datensparsamkeit achten, werden nur eine ID-Nummer und die Telefonnummer eingepflegt, was für die Weiternutzung oder einen Missbrauch recht uninteressant ist. Das Risiko, dass etwas mit den Daten aus der Impfbrücke geschieht, ist sehr gering.

Momentan gibt es die Impfbrücke offiziell nur in drei Ortschaften. Wäre das Modell bundesweit einsatzfähig?

Das ist definitiv möglich. Die Impfzentren müssten dafür allerdings auf uns zukommen.

Und was ist mit dem Gesundheitsministerium, haben Sie da schon das Gespräch gesucht?

Ja, anfangs. Allerdings hieß es auch da, die Entscheidung liegt bei den Impfzentren selbst, ob sie die Software nutzen wollen. Und schließlich können die auch am besten einschätzen, wie groß der Bedarf tatsächlich ist – oder ob der Impfstoff auch so gut unter die Menschen kommt.

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