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Schönheit: Warum ich das Wort aus meinem Wortschatz streiche

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Bild: philip buchen/watson
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Warum ich das mit der "Body Positivity" nicht mehr hören kann

13.04.2018, 09:5314.08.2018, 10:58
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Zuerst das Offensichtliche: Frauen, die nicht aussehen wie Gigi Hadid in der Calvin-Klein-Werbung, sind genauso viel wert wie Frauen, die Kleidergröße 44 tragen. Und: Frauen sollten sich nicht für auch nur eine einzige Delle, Speckrolle oder Dehnungsstreifen schämen. Punkt.

Was mich fürchterlich ärgert ist jedoch, dass solche Offensichtlichkeiten oft unter dem Stichwort Body Positivity laufen.

Versteht mich nicht falsch. Dass wir uns alle wohler in unserem Körper fühlen, alle respektvoll mit Menschen umgehen, die keine Supermodel-Figuren haben – dagegen ist rein gar nichts einzuwenden.

Was mich aber ärgert, ist, dass damit nur wieder eine weitere Kategorie aufgemacht wird – und diese Kategorie wieder über Schönheit definiert wird.

Ein Beispiel:

Neulich fragte mich meine Freundin Nora, ob ich noch ein Eis möchte. Nein, wollte ich nicht. Wegen der kleinen Wampe, die ich mir in den letzten Monaten angefuttert habe. "Ach komm, Du bist sooo schön", sagte Nora und zog mich in die Eisdiele.

Ein kleines Erlebnis, so alltäglich, dass ich es normalerweise schon vergessen hätte. Aber irgendetwas blieb hängen, auch noch Tage später. Ich weiß, dass Nora es nett gemeint hat. Sie wollte mich aufmuntern, mir versichern, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Und trotzdem ärgert mich das Kompliment. Mich ärgert das Wörtchen "schön".

Denn es zwingt mir eine Kategorie auf, mit der ich mich gar nicht auseinandersetzen will. Schönheit.

Warum muss ich denn ständig schön sein?

Schön sein müssen nervt. Sich schön finden müssen nervt noch mehr. Schönheit war schon immer die Pflicht des weiblichen Vollprogramms. Und auch wenn wir jetzt über "kurvige Frauen, die mutig einen Bikini anziehen und trotzdem schön sind" sprechen, geht es immer wieder nur um: Schönheit.

Auf Instagram: Cellulite-Dellen, ausladende Hintern. Viele Hashtags darunter, die versichern, dass das, was wir da sehen "schön" ist. Weil jeder Körper schön ist.

Schönheit macht mich fertig. Und zwar nicht nur mich.

"91 Prozent aller Frauen hassen ihren Körper." Mit diesem Claim geht der Film "Embrace – Du bist schön" los, der 2017 Premiere hatte. Ein Film, der die Geschichte einer Australierin dokumentiert, die sehr unzufrieden mit ihrem Körper war, weil er nicht dem klassisch schlanken Schönheitsideal entspricht.

Hier der Trailer zum Film:

Und wer sich anschaut, wie Frauenkörper öffentlich gegängelt werden, wie unsere Körper diszipliniert und bloßgestellt werden – durch Werbung, GNTM, Pfiffe auf der Straße, durch Photoshop und die damit erschaffenen Ideale, der bekommt eine Ahnung davon, welches Leid hinter dieser Schönheit steckt. Und warum der Film zurecht so erfolgreich war.

Filme wie "Embrace" wollen die Art verändern, mit der wir unseren Körper sehen. Sie wollen unsere Augen öffnen für eine Art der Schönheit, die auch in Röllchen steckt. In Dellen, dicken Schenkeln. Der Film will, dass wir auf unsere Bäuche gucken und, egal was wir sehen, denken: "Ich bin schön."

Und klar, jede Frau, der dieser Film geholfen hat, mit weniger strafendem oder schamvollen Blick auf den eigenen Körper zu blicken, der sei von Herzen gratuliert.

Das Problem ist nur: Dadurch geht das Problem nicht weg.

"Du siehst aber schön aus!" Ein Satz, der kleine Mädchen bestätigen soll, während kleine Jungs auf den Nobelpreis schielen.

Noch ein Beispiel: In einer Auswertung von Google-Suchen in den USA hat sich herausgestellt, dass folgende Frage Eltern in Bezug auf ihre Söhne am meisten beschäftigt: "Ist mein Sohn ein Genie?" Eltern von Mädchen googelten am häufigsten: "Ist meine Tochter hässlich?" ("New York Times")

Happy Brother and Sister Hugging each other
Bild: iStockphoto

Dass Schönheit für uns Frauen eine wichtige, eine entscheidende Kategorie sein sollte, lernen wir ganz früh. Und wir handeln danach. Wir hungern, enthaaren, cremen, peelen und bleichen. Und wir hungern, enthaaren, cremen, peelen und bleichen auch dann noch weiter, wenn Frauen mit einem höheren BMI jetzt auch "schön" sind.

Denn "schön sein" ist immer noch wichtig. Jetzt gilt das halt auch für dickere Frauen. Denn nur weil Schönheit jetzt auf Instagram weniger exklusiv definiert wird, geht das Ideal nicht weg. Frauen müssen immer noch schön sein. Müssen sogar vor allem schön sein.

Und auch wenn wir uns mal nicht schön fühlen, werden wir wieder daran erinnert, auf was es eigentlich angeblich ankommt. Dieses verdammte Schönsein. 

Frauen können nicht einfach nur Körper haben. Wir müssen schöne Körper haben. Das schöne Geschlecht? Blargh!

Frauenkörper sind nicht weniger umkämpft, nur weil wir jetzt mehr positive Hashtags haben, die wir drankleben können.

"Echte Frauen haben…" ist noch so ein "schöner Satz". Echte Frauen haben Kurven, echte Frauen haben Lachfalten. Der Satz will empowern, und er tut das Gegenteil. Er definiert, wer sich Frau nennen darf. Der Gegenstand, es ist immer der Körper.

Frauen werden über ihre Körper, ihr Aussehen definiert. Je mehr Frauen mit dem Label "schön" durch die Welt laufen dürfen, desto mehr Frauen werden auch wieder zu Objekten einer Definition, die wir uns nicht ausgesucht haben und die wir regelmäßig mühsam umdefinieren.

Mein Vorschlag: Frauen sollten die Schönheit loswerden, um endlich wieder Körper zu haben.

Wir brauchen unsere Körper.

Und zwar nicht als brüchige Objekte oder immer-wieder-neu-definierte Schauplätze, sondern als stabile Leiber, mit denen wir durchs Leben gehen und gegen all die Ungleichheit kämpfen, die das Leben als Frau oft genug noch mühselig macht. Gender Pay Gap, Gewalt. Nur mal zwei Stichpunkte.

Wir brauchen Körper, mit denen wir uns breit machen; stören, lieben, laut werden und kämpfen können. Wir brauchen mehr Platz. Wir müssen mehr Platz einnehmen. Ganz egal, wie wir dabei aussehen.

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