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Pause von der Erwartungshaltung: Warum uns dieses Silvester gut tun könnte

Silvester allein feiern: Klingt erst einmal unüblich, muss aber gar nicht so schlecht sein.
Silvester allein feiern: Klingt erst einmal unüblich, muss aber gar nicht so schlecht sein.Bild: Getty Images
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Macht mal Pause von eurer Erwartungshaltung! Warum uns dieses Silvester gut tun könnte

31.12.2020, 10:1531.12.2020, 19:02
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Silvester ist jedes Jahr eine Qual für mich. Ich weiß nie, auf welche Party ich gehen soll. Ich weiß nie, was ich anziehen soll (machen sich Leute noch ernsthaft schick für den Jahreswechsel?). Ich weiß nie, ich welche Richtung ich rennen soll, wenn es um mich herum knallt.

Alle scheinen die Erwartung zu haben, dass die Silvesterfeier DIE Party des Jahres werden muss – und ich hasse einfach alles daran. Die aufgezwungene Feier-Stimmung, die Brummkreisel und Raketen, das stundenlange Anstehen in Clubs, wenn man doch mal tanzen gehen will. Der garantierte Beziehungsstreit, den man entweder auf der Party beobachtet oder im schlimmsten Fall mit dem eigenen Partner selbst initiiert. Wenn Weihnachten das Fest der Liebe ist, ist Silvester das Fest der gescheiterten Erwartungen.

"Es wird das Silvester der Introvertierten oder derer, die sich wünschen, auch mal introvertiert sein zu dürfen (ich!)."

Silvester fällt wegen Corona dieses Jahr aus

Dieses Jahr wird alles anders: Wegen der Corona-Maßnahmen sind Treffen in Gruppen nicht möglich, nachts wird kein Alkohol ausgeschenkt, der Verkauf von Böllern ist verboten.

Der große Unterschied ist, dass die Erwartung an Silvester wegen Corona schon Wochen vor Silvester gescheitert ist. Positiver betrachtet bedeutet das allerdings: Es wird das Silvester der Introvertierten oder derer, die sich wünschen, auch mal introvertiert sein zu dürfen (ich!). Den Beginn des neuen Jahrzehnts werden die Stillen unter uns einläuten, die sich heimlich freuen, auf keine blöde Party gehen zu müssen – und die sich dieses Mal auch nicht dafür rechtfertigen müssen.

Ich plane, Silvester dieses Jahr allein zu feiern. Naja, von Planung kann kaum die Rede sein – es geht ja eigentlich auch kaum anders, wenn man keine eigene Familie oder Mitbewohner hat. Und es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass ich den Jahreswechsel in Einsamkeit verbringe – nur, dass ich mir dieses Jahr keine Ausreden einfallen lassen muss, warum ich das tue. Ich muss mich nicht vor gut gemeinten Einladungen wehren, weil meine Freunde glauben, dass ich allein zu Hause verkümmere. Ich muss niemandem erklären, "Mach dir bitte keine Sorgen", wenn ich mich einfach mal ohne Gesellschaft betrinken will.

"Auch, wenn Silvester nicht so verläuft, wie man sich das ursprünglich vorgestellt hat, kommt man irgendwie im nächsten Jahr an."

Das erste Mal Silvester allein gefeiert habe ich übrigens nicht freiwillig. Ich war 20 und wurde kurz vor dem Jahreswechsel mit Nierensteinen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Klinik war irgendwo im Nirgendwo, richtig besuchen konnte mich niemand, ich war ganz schön einsam. Und trotzdem ist ein gewisser Druck von mir abgefallen, als ich eine Freundin, bei der ich Silvester eigentlich eingeladen war, anrufen und ihr sagen musste: "Du, ich kann nicht kommen – Krankenhaus und so."

Schön war das vielleicht nicht – aber eine Erfahrung: Denn auch, wenn Silvester nicht so verläuft, wie man sich das ursprünglich vorgestellt hat, kommt man irgendwie im nächsten Jahr an.

Allein Silvester feiern als Chance

Mein schönstes Mal, als ich allein gefeiert habe, war vor ein paar Jahren, als ich in einer WG in München lebte. Mein Mitbewohner ist auf eine Party gegangen, ich selbst hatte keine Pläne. Ich hatte ein anstrengendes Jahr hinter mir, mit Studienabschluss, Trennung, einem anstrengenden Job im Theater – ich wollte nur noch meine Ruhe haben. Also nahm ich mir am 31. Zeit für mich, machte mir mein Lieblingsessen, dachte über die vergangenen und vor mir liegenden Monate nach – und setzte mich um Mitternacht mit einer Flasche Prosecco auf den Balkon. Es war bitterkalt, um mich herum zischte und knallte es – und das Allerschönste war, dass ich einfach wieder reingehen konnte, wann ich wollte, um mich in mein warmes Bett zu kuscheln.

"Ausgesucht hat sich das niemand. Arbeiten müssen wir damit jetzt alle, und den einen wird es leichter fallen als den anderen."

Dieses Jahr soll es an vielen Orten weder zischen noch knallen. In einigen Bundesländern, wie zum Beispiel Bayern oder Baden-Württemberg, herrscht ab 21 Uhr eine Ausgangssperre. Ausgesucht hat sich das niemand. Arbeiten müssen wir damit jetzt alle, und den einen wird es leichter fallen als den anderen.

Mir ist bewusst: Was sich für mich wie eine Erleichterung anfühlt, ist für andere eine Bürde. Aber ganz ehrlich – nach diesem Jahr haben wir uns alle eine Pause verdient. Nicht im Sinne von: wieder mal zu Hause verkriechen und netflixen, das haben wir alle schon zur Genüge getan im gerade zu Ende gehenden Jahr. Sondern eine Pause von unserer Erwartungshaltung, die selten so hochgejazzt wird wie zum Jahreswechsel. Zumal nach diesem verflixten Jahr 2020 die Vorfreude auf 2021 sowieso schon so groß sein wird, dass wir die Ruhe vor dem Sturm zumindest im Übergang noch einmal genießen können.

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Masha ist 25 Jahre alt. Sie ist Moderatorin bei Jam FM. Nach ihrer Kindheit und dem Abi studierte sie in Koblenz Lehramt, begann zu modeln und entschied sich nach einem Unfall, etwas Gewagtes zu tun: Sie warf ihre Zukunftspläne über den Haufen, zog nach Berlin und ging zum Radio.

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