Mein Freund spricht gerne über das Wetter. Am allerliebsten, wenn die Sonne scheint: Dann redet er über Sonnenstrahlen, welche die grauen Hauswände Berlins in ein goldenes Licht tauchen oder darüber, wie blau der Himmel ist. Das macht ihn glücklich.
Oder aber er spricht darüber, wie grau Berlin ist, wenn es kalt ist, und wie doof das ist. Oder er jammert, weil er bei über 30 Grad im Schatten zerfließt, wie jetzt gerade (zu viel Sonne ist dann auch wieder nicht richtig, nicht wahr?).
Ich finde das scheiße, das ganze Wetter-Thema.
Mich nervt es, über das Wetter reden zu müssen. Das Wetter ist für mich eine Macht, die ich nicht beeinflussen kann – also muss ich doch gar nicht darüber reden. Wenn es kalt ist, zieh ich stillschweigend mehr an. Wenn es heiß ist, eher weniger. Und wenn es regnet, werde ich halt nass, weil ich nie einen Regenschirm dabei habe. Weil mir das Wetter so egal ist. Solange wir von keiner Flutwelle oder einem Unwetter akut bedroht sind, müssen wir meinetwegen kein Wort darüber verlieren.
Ich halte das ähnlich wie der Protagonist Ford aus "Per Anhalter durch die Galaxis", der es ebenfalls nicht verstehen kann, warum wir über das Offensichtliche sprechen wollen:
Und trotzdem ist es das Smalltalk-Thema Nummer eins, das Wetter. Nicht nur mein Freund, gefühlt fast jeder plaudert gerne darüber. Oder noch schlimmer: jammert darüber. Das perfekte Wetter scheint es für Otto Normalkartoffel und Lieschen Müller nicht zu geben.
Richtig schön ist es eigentlich nur bei genau 25 Grad, Sonnenschein, leichte Brise, eine kleine Wolke als Dekoration am ansonsten strahlend blauen Himmel. Und auch das lässt uns aber nicht mal zufrieden die Klappe halten, nein, dann muss auch alle Schönheit zerredet werden.
Gefühlt bin ich die Einzige, die nicht gerne über das Wetter redet und versucht, sich seinem Einfluss zu entziehen. Auch der Psychiater Michael Huppertz meint:
Am Telefon befrage ich ihn, warum so viele Menschen eigentlich so gerne über das Wetter sprechen – und warum es mich so sehr nervt.
Im Gespräch mit Huppertz, der sich auf Achtsamkeits-Psychologie spezialisiert hat, erfahre ich, dass das Wetter einfach ein Thema ist, das uns alle beschäftigt – für das wir aber keine Verantwortung tragen. Was ich als nichtig empfinde, nehme viele andere Menschen als Erleichterung wahr:
Das Wetter als Sündenbock der Nation also. Wenn ich schlechte Laune habe, die Mathe-Arbeit verbockt oder einfach verschlafen habe, könnte ich das einfach aufs Wetter schieben – das Wetter wehrt sich ja nicht, wenn ich es für etwas verantwortlich mache.
Das heißt also, wenn ich das nächste Mal meinen Freund anmotze, weil er übers Wetter spricht, könnte ich das für mich nutzen und auch das aufs Wetter schieben. Clever.
Gleichzeitig kann ich es auch mit dem schönen Wetter rechtfertigen, wenn ich grundlos gute Laune habe. Oder mich einfach mit meinen Mitmenschen gemeinsam über das Wetter freuen – das verbindet.
Mit dem bloßen Reden ist es allerdings nicht getan: Genauso kann uns das Wetter zu Taten motivieren. Huppertz sagt dazu:
Das ärgert mich wieder. Genauso wenig, wie ich Lust habe, über das Wetter zu reden, will ich es nicht als Handlungsaufforderung betrachten. Vielleicht mag ich ja trotz Sonnenschein lieber zu Hause Netflix schauen oder bei Regen Eis essen und spazieren gehen.
Was für mich nur nervig ist, kann für andere zum ernsthaften Problem werden: Gerade im Sommer fühlen viele den Druck, aktiv werden zu müssen, wenn sie sich eigentlich müde, erschöpft oder leer fühlen. Vor allem bei Menschen mit Depressionen kann selbst der schönste Sonnenschein oftmals nicht zu guter Laune verhelfen, meint auch Huppert.
Huppertz sagt es mir am Telefon zwar nicht direkt. Aber nach unserem Gespräch habe ich so ein bisschen das Gefühl, als sei ich der leicht asoziale Anti, der sich gegen die Gemeinschaft stellt, weil ich nicht übers Wetter reden mag.
Ich bleibe allerdings bei meiner Meinung: Das Wetter tangiert mich nur peripher. Redet, so viel ihr wollt darüber. Beschwert euch über Hitze, Wind, Regen – ist mir vollkommen latte.
Und wenn mein Freund mich wieder darauf aufmerksam macht, wie schön Prenzlauer Berg im Sonnenschein aussieht, kneife ich stur die Lippen zusammen und beruhige mich selbst: Es ist gleich vorbei. Sooo viel kann man gar nicht übers Wetter reden.