Nachhaltigkeit
Gastbeitrag

Umsiedeln wegen Kohleabbau – warum das in vielerlei Hinsicht falsch ist

Protest gegen Kohleausstiegsgesetz An die hundert Klimaaktivisten demonstrieren mit Umweltschutzverbänden vor dem Kanzleramt in Berlin gegen das von der Koalition beschlossene Kohleausstiegsgesetz. Di ...
Umweltaktivisten protestieren gegen das Kohleausstiegsgesetz.Bild: imago images/Christian Mang
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"Lasst die Häuser stehen!": Warum es falsch ist, Menschen wegen Kohleabbau umzusiedeln

Ab sofort lest ihr alle zwei Wochen Gastbeiträge von Fridays-for-Future-Aktivisten auf watson. Heute: Christina Schliesky über Umsiedlungen wegen des Kohleabbaus.

Nach dem katastrophalen Kohleausstiegsgesetz ist klar, dass man seitens der Bundesregierung keine allzu große Unterstützung mehr erwarten kann. Die Klimabewegung muss jetzt zusammenhalten und solidarisch sein.
28.08.2020, 15:3028.09.2020, 11:46
Christina Schliesky, Gastautorin
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Standet ihr schon mal am Rande eines Tagebaus? Wenn man an einem Tagebau steht, sieht man kilometerweit nichts, außer einem riesigen Loch, das sich bis zum Horizont erstreckt, und dem Rauch aus den Schornsteinen der Kohlekraftwerke in der Ferne. Ich bin an so einem Tagebau aufgewachsen. Seinetwegen bin ich Aktivistin bei Fridays For Future geworden.

Als ich 14 Jahre alt war, standen meine Mutter und ich zum ersten Mal an diesem Krater. Es war ein beklemmendes Gefühl, als sie in die schwarz-graue Tiefe zeigte und sagte: "Da irgendwo kommt deine Großcousine her." Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dort, wo jetzt dieses scheinbar endlose Loch ist, einmal Dörfer standen und Menschen lebten.

Über die Autorin
Christina Schliesky gehört zur Fridays-for-Future-Ortsgruppe Hochneukirch in Nordrhein-Westfalen. Sie nahm bereits an Demonstrationen gegen das kürzlich beschlossene Kohleausstiegsgesetz teil. Ab sofort lest ihr alle zwei Wochen Gastbeiträge von FFF-Aktivisten auf watson.

Albtraum Umsiedlung

Stellt euch vor, ihr habt eine Familie gegründet und seid mit euren Kindern aufs Land gezogen, habt euch ein Haus und ein idyllisches Leben aufgebaut und habt den Traum, an diesem Ort alt zu werden. Doch dann bekommt ihr einen Bescheid eines Energieversorgers.

Unter eurem Grundstück liege wertvolle Kohle – ein Rohstoff, der zur Stromproduktion genutzt wird – und deshalb sollt ihr ausziehen. Also müsst ihr eure Sachen packen, alles, was ihr euch aufgebaut habt, hinter euch lassen, eine neue Bleibe und einen neuen Arbeitsplatz suchen – Umsiedlung nennt man das. Klingt unvorstellbar? Für viele Menschen ist das bittere Realität.

Über 120.000 Menschen aus 300 Ortschaften mussten bisher für den Braunkohleabbau umsiedeln. In Deutschland gibt es drei große Braunkohlereviere – das Lausitzer, das Mitteldeutsche und das Rheinische Revier (Anm. d. Red.: Die Zahlen beziehen sich auf die Angaben der Umweltschutzorganisation BUND, die sie laut eigenen Angaben mittels Genehmigungen für Umsiedlungen erfasste.)

Keine Grundstücke, keine neue Heimat

Die Braunkohle wird dort in Tagebauen abgebaut, das bedeutet, dass große Löcher in die Landschaften gegraben werden, um so die Kohle zu fördern. An diesen sind allerdings einige Dörfer angesiedelt, die direkt über der Kohle liegen. Sie müssen weichen, um Platz für die Kohlebagger und den Tagebau zu schaffen. Das bedeutet für die Bewohner und Bewohnerinnen, dass sie, umsiedeln und ihre Wurzeln hinter sich lassen müssen; tun sie das nicht freiwillig, droht ihnen die Enteignung und die Zwangsräumung.

Das Problem: Häufig finden die Menschen keine Grundstücke, die auch nur annähernd der Größe ihrer alten entsprechen und trotzdem erschwinglich sind. Die Entschädigung, die sie von den Braunkohlebetreibern erhalten, reicht meist nicht aus, um ein vergleichbares Grundstück zu erwerben. Oft müssen sie sich also von ihrem Bauernhof, von geliebten Tieren oder der Familie trennen, denn es ist nicht genug Platz für Alle. Hinzu kommt, dass viele Dorfbewohner und Dorfbewohnerinnen so alt sind, dass sie die Strapazen der Umsiedlung nicht mitmachen können.

Ab sofort erscheinen alle zwei Wochen in einer Kooperation mit Friday For Future Gastbeiträge von Aktivisten der Klimaschutzbewegung auf watson.
Ab sofort erscheinen alle zwei Wochen in einer Kooperation mit Friday For Future Gastbeiträge von Aktivisten der Klimaschutzbewegung auf watson.bild: watson

Deutschland steht in der Verantwortung

Die Umsiedlungen gehen schon längst nicht mehr ohne Widerstand vonstatten. Seit Jahren organisieren sich die Bewohner und Bewohnerinnen in Bürgerinitiativen und kämpfen für den Erhalt ihrer Dörfer – die bekannteste bundesweite Initiative ist "Alle Dörfer bleiben!".

Die Menschen sind längst nicht mehr bereit für den Kohletagebau ihre Häuser aufzugeben, während die Energiewende verschleppt wird. Denn Deutschland hat als Industrienation die nötigen Mittel, um die Kapazitäten der erneuerbaren Energien auszubauen und so die Energiewende voranzutreiben.

Wir wären sogar in der Lage, ohne Gefährdung der Stromversorgung, bis 2030 das Zeitalter der Kohleverstromung hinter uns zu lassen – sofern wir wollen. Deutschland steht in der Verantwortung, bei der Energiewende voranzuschreiten. Trotzdem gibt es immer noch absurd hohe Abstandsregelungen für Windkraftanlagen (Anm. d. Red.: 1000 Meter von Wohnhäusern entfernt), die teilweise höher sind als die für einen Tagebau (Anm. d. Red.: für Garzweiler II. gilt etwa ein gesetzlicher Mindestabstand von 400 Metern zwischen Tagebaurand und Wohnsiedlungen), und die Bundesregierung sieht den Kohleausstieg bis 2038 als großen Durchbruch an.

Und was ist mit dem kürzlich beschlossenen Kohleausstiegsgesetz?

Vergangenen Juli wurde im Bundestag ein Gesetz zum deutschen Kohleausstieg beschlossen – doch den Konflikt um den Kohleabbau kann dieses Gesetz nicht befrieden. Wenn Deutschland, wie im Kohleausstiegsgesetz vorgesehen, bis 2038 Kohle abbauen und verbrennen sollte, kündigen wir nicht nur das Pariser Klimaabkommen auf und ignorieren gesellschaftliche Mehrheiten, es hätte auch fatale Folgen für die Menschen aus den Dörfern an den Tagebauen: Dem Tagebau Garzweiler II. im Rheinischen Revier wird in diesem Gesetz die "energiewirtschaftliche und -politische Notwendigkeit" zugesprochen – eine Begründung für diese Annahme gibt es jedoch nicht.

Für die Bewohner und Bewohnerinnen aus sechs Dörfern am Tagebau Garzweiler bedeutet das also, dass sie umsiedeln und eine neue Bleibe suchen müssen. Diese Notwendigkeit wurde dem Tagebau zugeschrieben, obwohl es eine Studie des DIW-Berlin gibt, die zeigt, dass die Kohle unter den Dörfern bestehen bleiben könnte - und aus Sicht des Klimas sogar müsste. Was die Dörfer jetzt dringend brauchen ist unser aller Support!

Wir müssen jetzt zusammenhalten

Nicht nur aus moralischer Sicht ist das Abbaggern der Dörfer und die Kohleverstromung bis 2038 falsch. Auch, wenn wir die Pariser Klimaziele für Deutschland erreichen wollen, ist das deutlich zu spät.

Nach dem katastrophalen Kohleausstiegsgesetz ist klar, dass man seitens der Bundesregierung keine allzu große Unterstützung mehr erwarten kann. Deshalb ist es jetzt wichtig, dass wir groß, vielfältig und gemeinsam auf die Straße gehen und die Dörfer verteidigen. Am 30. August wird es eine Demonstration in den bedrohten Dörfern am Tagebau Garzweiler geben. Es ist unsere Chance, eine Kehrtwende hinzulegen und die Dörfer zu schützen. Die Klimabewegung muss jetzt zusammenhalten und solidarisch sein. Schließt euch den Protesten an, unterstützt den Kampf. Am Tagebau Garzweiler.

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