Nachhaltigkeit
Interview

"Fridays for Future hat mehr geschafft, als die Grünen je hätten erreichen können": Warum die "Generation Greta" so wichtig ist

Greta Thunberg, FridaysForFuture DEU, Deutschland, Germany, Berlin, 29.03.2019 Greta Thunberg, schwedische Klimaaktivistin, mit Schild Skolstreijk Foer Klimatet auf der Demonstration von Schuelerinnen ...
Die "Generation Greta" ist politischer als ihre Vorgänger, die Millenials – weil Sorgen vor Jugendarbeitslosigkeit und Terror keine so große Rolle mehr spielen. Bild: www.imago-images.de / bStefan Boness/Ipon
Interview

"Fridays for Future hat mehr geschafft, als die Grünen je hätten erreichen können": Warum die "Generation Greta" so wichtig ist

27.03.2021, 05:0028.03.2021, 10:59
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Lange galt "die Jugend" als unpolitisch – und wurde für ihr fehlendes Engagement kritisiert. Seit den Protesten von Fridays for Future kann das niemand mehr behaupten. Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten gehen nicht nur für mehr Umweltschutz auf die Straße, sondern mischen sich auch mehr und mehr in die Politik ein.

Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance in Berlin sagt: Klima und Umwelt waren schon immer Themen, die besonders jüngere Menschen angesprochen haben. Im Interview mit watson erklärt der Sozialforscher, warum es Greta Thunberg für die Entstehung der Klimabewegung gebraucht hat, was Fridays for Future besser macht als die Anti-Atomkraft-Bewegung und die Grünen und warum viele Jugendliche kritisch gegenüber der etablierten Politik sind – und wohl trotzdem die führenden Politiker von morgen sein werden.

"Junge Leute im Alter zwischen 15 und 25 Leute sind Seismografen, sie haben einen siebten Sinn für das, was zählt."

watson: Am vergangenen Freitag hat Fridays for Future erneut zum globalen Klimastreik aufgerufen. Waren Sie überrascht, als vor gut zwei Jahren innerhalb kürzester Zeit eine globale Jugendbewegung im Kampf gegen die Klimakrise entstand?

Klaus Hurrelmann: Es war aus Jugendstudien vorherzusehen, dass eine Steigerung des politischen Interesses eintritt. Nachdem die große Sorge um die berufliche Perspektive weg war und die Angst vor Terroranschlägen und einem Krieg in Europa abgeklungen, war auch erwartbar, dass Umweltthemen – die für die jüngeren Generationen ohnehin wichtig sind – wieder weiter nach oben rücken. Dass es aber eine so konkrete Bewegung werden würde mit einer solchen Hebelwirkung, das hat niemand vorhergesagt. Denn das lag an der Person Greta Thunberg.

Ohne Greta Thunberg hätte es die Klimabewegung also nie gegeben?

Zugespitzt kann man das sagen, ja. Sie hat die Thematik in einer Weise aufgegriffen und kämpferisch in die Öffentlichkeit getragen, mit der keiner gerechnet hat.

RELEASE DATE: November 13, 2020 Documentary, Biography TITLE: I Am Greta STUDIO: DIRECTOR: Nathan Grossman PLOT: The documentary follows Greta Thunberg, a teenage climate activist from Northern Europe ...
Ohne Greta Thunberg hätte es Fridays for Future so wohl nicht gegeben, sagt Hurrelmann.Bild: www.imago-images.de / Dogwoof Pictures

Wie meinen Sie das?

Sich in einer politisch völlig überraschenden Form stoisch vors Parlament zu setzen, hat alle verblüfft und eine riesige Aufmerksamkeit ausgelöst. Das war der Funke, den es gebraucht hat für die ohnehin vorhandene Bereitschaft, sich politisch für Umweltthemen zu engagieren. Ohne die Kombination von Thunbergs passivem Streik, ihrer wissenschaftlichen Argumentation und ihrem konstruktiven Hinweis auf schon bestehende politische Entscheidungen wäre das nicht passiert.

Sie haben gesagt, dass Klima- und Umweltschutz generell Themen sind, die vor allem junge Menschen ansprechen. Woran liegt das?

Junge Leute im Alter zwischen 15 und 25 Leute sind Seismografen, sie haben einen siebten Sinn für das, was zählt. Dabei gehen sie von ihrer eigenen Perspektive aus. Und ihre Intuition sagt ihnen, dass natürliche Lebensgrundlagen zerstört werden. Dass man, wenn man mal im Alter der eigenen Eltern ist, eine eingeschränkte Lebensqualität haben wird, weil der Globus nicht mehr lebenswert ist und die Klimakrise das freie Leben erdrückt.

Was unterscheidet die Fridays-for-Future-Aktivisten von den jungen Erwachsenen, die in den 70ern und 80ern für Klimaschutz und gegen Atomkraft auf die Straße gegangen sind?

Die Anti-Atomkraftbewegung war in Deutschland stärker als in anderen Ländern, FFF musste also nicht von null anfangen, sondern konnte auf eine frühere Bewegung aufsetzen. Der Unterschied ist, dass sich bei der Anti-Atombewegung vor allem mittlere Altersgruppen engagierten, die eher aggressiv und emotional diskutiert haben. Bei Fridays for Future dagegen engagieren sich teilweise schon Grundschüler, das ist historisch neu.

Hertie School
Klaus Hurrelmann ist Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler. Er ist Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin, ist an der Shell-Jugendstudie beteiligt und hat ein Buch über die "Generation Greta" geschrieben.bild: Hertie School

Aber werden die nicht auch von starken Emotionen angetrieben?

Schon, ihre Forderungen sind aber sachlich und sie geben die Meinung von hunderten Wissenschaftlern wieder. Außerdem haben sie nie Gewalt angewandt, keine Gesetze gebrochen, sich nie angekettet und an jede Regel gehalten.

Im Gegensatz zu Bewegungen wie Extinction Rebellion.

Fridays for Future ist viel erfolgreicher als Extinction Rebellion, obwohl die Corona-Pandemie ihre Protestform total blockiert. Sie haben den Umweltschutz in sämtlichen Politikbereichen eingebracht und die älteren Generationen dazu motiviert, mitzuziehen. Und sie haben die Bundesregierung zu einem Klimapaket gezwungen, das es ohne Fridays for Future nicht gegeben hätte. Dass eine Bewegung innerhalb von nur einer Legislaturperiode eine solche Revolution angezettelt hat, ist außerordentlich bemerkenswert.

Ist die "Generation Greta" denn insgesamt politischer als ihre Vorgänger, die Millenials?

Ja. Die Millenials, also die vor 2000 geborenen, sind unter Einfluss der Weltwirtschaftskrise 2008 aufgewachsen. Sie mussten schauen, wo sie bleiben, vielleicht auch ein bisschen opportunistisch sein. Da war keine Luft für großes politisches Engagement.

Mit der Corona-Pandemie nehmen die Unsicherheiten gerade wieder zu. Wird der Klimaschutz da nebensächlicher?

Das kommt darauf an. Die umweltpolitische Orientierung gilt nur etwa für ein Drittel der Generation. Das sind meist gut gebildete Jugendliche aus gutbürgerlichem Elternhaus. Sie fühlen sich durch die Gesundheitskrise fast bestätigt. Das Ausbeuten von Ressourcen, das Eingreifen in natürliche Kreisläufe – die Ursachenkonstellation von Corona ist von der Klimakrise nicht weit entfernt. Die Jugendlichen sagen also: Wir liegen richtig mit unserer Analyse, wir müssen unseren Lebenswandel ändern!

Und die anderen?

Am anderen Ende des Spektrums haben wir Jugendliche mit niedrigem oder keinem Basisabschluss. Überwiegend sind das junge Männer. Von ihnen ist fast ein Drittel von Jugendarbeitslosigkeit bedroht, und durch Corona wächst diese Gruppe wieder. Man hat also andere Sorgen als den Klimaschutz: der Ausbildungsplatz ist wichtig, die soziale Gerechtigkeit. Man fühlt sich von der Politik vernachlässigt und populistische Themen können wieder aufkommen.

"Die 'Generation Greta', die 'Generation Corona' und auch diejenigen dazwischen eint also eine grundsätzliche Skepsis."

Erklärt das, warum laut der Shell-Jugendstudie noch immer 71 Prozent der Jugendlichen als politikverdrossen gelten? Ist die Klimabewegung nur eine laute Minderheit?

Auch das Drittel, das sich in der Klimabewegung politisch engagiert, ist kritisch gegenüber der etablierten Politik. Es herrscht eher eine Parteienverdrossenheit und eine Skepsis, ob die Politik wirklich handlungsfähig ist. Und es wird bemängelt, dass keine echte Partizipation möglich ist.

Es gibt also Gemeinsamkeiten zwischen denjenigen, die sich fürs Klima engagieren, und dem Drittel, dem es nicht gut geht?

Genau – und dieses Drittel ist übrigens auch nicht unpolitisch und will durchaus, dass sich seine Situation verbessert. Nur haben diese Jugendlichen das Gefühl, dass ihre Probleme in der Politik niemanden interessieren. Die "Generation Greta", die "Generation Corona" und auch diejenigen dazwischen eint also eine grundsätzliche Skepsis.

Steckt hinter der Skepsis und den radikalen Forderungen auch etwas jugendlicher Eifer? Werden Menschen, wenn sie älter werden, nicht automatisch weniger radikal? Die Grünen haben sich ja auch von den Revolutionären zur Volkspartei entwickelt.

Ja, das sind nun mal die Spielregeln, wenn man sich als Partei etabliert. Bei FFF gab es auch immer wieder Überlegungen, wie man innerhalb kürzester Zeit die größte politische Wirkung erzielt – als Partei oder als Bewegung. Und als Beobachter von außer lässt sich sagen: Es ist gut, dass Fridays for Future eine Bewegung geblieben ist. Sie ist nicht an das Parteiensystem mit komplexen Abstimmungen gebunden, braucht keine Mehrheiten und muss keine Führungsfragen beantworten. So hat Fridays for Future mehr geschafft, als die Grünen je hätten erreichen können in dieser Legislaturperiode. Die Grünen hätten das Klimagesetz niemals auf die Beine stellen können.

"Die Parteien müssen noch viel mehr um diese jungen Menschen werben."

Sind die Klimaaktivisten von heute dennoch die führenden Politiker von Morgen?

Wenn die Parteien alle Sinne beisammen haben, dann werben sie um die jungen Leute von Fridays for Future. Sie haben gezeigt, dass sie ein Thema in die öffentliche Diskussion bringen, es in bemerkenswerter und spannender Weise präsentieren und sich artikulieren können. Die Dramaturgie von politischer Meinungsbildung beherrschen sie wie im Schlaf. Da sitzen unsere politischen Nachwuchstalente und es wäre ein riesen Gewinn für unser Land, wenn sie – nachdem sie aus der Bewegung noch so viel wie möglich herausgeholt haben – in die Politik gehen.

In einigen Fällen passiert das ja schon.

Genau, vereinzelt kandidieren Aktivisten bereits. Die Parteien müssen aber noch viel mehr um diese jungen Menschen werben. Zeigen, dass sie bereit sind, ihren Umgangsstil zu verändern und sich zu modernisieren. Gerade sind die Parteien eher wie schwerfällige Tanker und es würde ihnen nicht schaden, wieder ein bisschen mehr zu einer politischen Bewegung zu werden.

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