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Cultured Meat: Warum Fleisch aus dem Labor (noch) keine nachhaltige Lösung ist

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Bisher ist Fleisch aus dem Labor in Europa nicht zugelassen.Bild: iStockphoto / Bogdan Kurylo
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"Eher ein interessantes Luxusprodukt": Warum Fleisch aus dem Labor (noch) keine nachhaltige Lösung ist

30.04.2021, 17:2210.05.2021, 10:46
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Wer einen Tisch im exklusiven Club-Restaurant 1880 in Singapur ergattert, kann dort seit wenigen Monaten Hähnchen im Sesammantel mit Frühlingszwiebeln und Dumplings bestellen. Nichts Besonderes, könnte man meinen. Doch in diesem Fall befindet sich die Besonderheit unter der knusprigen Panade. Denn dort steckt nicht die gekochte Brust eines Huhns. Sondern im Labor herangezüchtete und zu Fleisch kultivierte Stammzellen.

Als erstes Land der Welt hat Singapur unlängst Laborfleisch zugelassen – und damit den Startschuss gegeben für eine neue Form der Ernährung. In der Petrischale herangezüchtetes Fleisch, das schmeckt, sich anfühlt und riecht wie Fleisch, für das aber kein Tier sterben musste und das deutlich klimafreundlicher produziert werden kann. Damit werben zumindest die Hersteller. Nur: Ist das technisch wirklich so einfach möglich? Und ist das sogenannte Clean Meat tatsächlich so sauber, wie sein Name es suggeriert?

Im Club-Restaurant 1880 in Singapur kann das erste kultivierte Hähnchenfleisch bestellt werden.
Im Club-Restaurant 1880 in Singapur kann das erste kultivierte Hähnchenfleisch bestellt werden.bild: instagram/1880singapore

Fakt ist: Die Menschheit wächst, die Menschheit isst, und sie isst immer mehr Fleisch. Täglich werden 130 Millionen Hühner und vier Millionen Schweine geschlachtet, Tendenz stark steigend. Und das hat auch Folgen für die Umwelt und das Klima: Neben dem immer größeren Flächenverbrauch verursacht die Viehhaltung 15 Prozent der weltweiten Treibhausgase.

Klar, wo massenhaft Rinder gezüchtet werden, wird massenhaft Methan ausgestoßen – und massenhaft Wälder abgeholzt, um Futter für die Kühe anzubauen. Einzelne Studien bescheinigen dem Fleisch aus dem Labor deshalb eine deutlich bessere Klimabilanz. Für die Erzeugung eines Kilos kultivierten Fleischs braucht es demnach nur 2500 Liter Wasser statt wie bisher 16.000 Liter. Der CO2-Fußabdruck könnte von 14 Kilogramm auf drei Kilo sinken und statt 160 Quadratmetern Land werden nur 1,6 verbraucht. Klingt fantastisch.

Und unrealistisch, findet der Agrar- und Ernährungsethiker Franz-Theo Gottwald: "Beim kultivierten Fleisch sind wir noch ganz am Anfang", sagte der Senior Advisor der Schweisfurth Stiftung gegenüber watson. "Es lässt sich deshalb schwer vorhersagen, wie dessen Umweltbilanz aussieht, wieviel Energie beispielsweise für die Erzeugung gebraucht wird."

Tierisches Fett macht den Geschmacksunterschied

Denn: Laborfleisch wird aus einer Muskelzelle gezüchtet, die einem lebenden Tier entnommen wird. Um die Zellen zu vermehren, müssen sie in einem Reaktor in einem Nährserum herangezüchtet werden – und das braucht Energie, viel Energie. "Die Energie und Investitionen, die man für eine Massenproduktion braucht, stehen in keinem Verhältnis zu den pflanzlichen Alternativen", sagt Gottwald. Am Ende könnte das Fleisch aus dem Labor deutlich umweltfreundlicher sein als das vom echten Tier. Aber auch deutlich umweltschädlicher als pflanzliche Alternativen.

Und die gibt es bereits en masse – aus Soja, aus Erbsen, aus Getreide. Warum braucht es das Fleisch aus dem Labor dann überhaupt? "Umfragen zeigen, dass der Hauptgrund, warum Fleischesser pflanzliches Fleisch kaufen, Neugier ist", sagt David Brandes von Peace of Meat. "Und der Hauptgrund, warum sie es nicht wieder kaufen, dass ihnen das Geschmackserlebnis fehlt."

Das Schweizer Startup züchtet ebenfalls Zellen im Labor heran, entwickelt daraus aber kein künstliches Fleisch, sondern Fett. Dieses kann dann entweder dem Laborfleisch hinzugefügt oder zusammen mit pflanzlichen Fleischalternativen weiterverarbeitet werden. "Fett ist der Haupttreiber von fleischigem Geschmack", sagt Brandes. "Die Herausforderung ist aber, nicht nur das Aussehen, sondern auch den Geschmack von Fleisch zu imitieren, das gelingt bei pflanzlichen Fleischalternativen oft noch nicht."

MOSCOW, RUSSIA SEPTEMBER 27, 2019: Producing cultured meat in a lab at the Ochakov Food Ingredients Plant OKPI. Vyacheslav Prokofyev/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS0BC99F
An Cultured Meat wird unter Laborbedingungen gearbeitet.Bild: www.imago-images.de / Vyacheslav Prokofyev

Den Unterschied könnte das tierische Fett machen und dessen besondere Zellstruktur, glauben die Gründer von Peace of Meat. "Pflanzliche Fette wie Kokosöl haben eine andere Zellstruktur, die beim Braten in der Pfanne zerstört wird, das Fett tritt also aus – dieses Problem hat man bei tierischem Fett nicht", sagt Brandes.

Wie das funktionieren soll? Aus einem befruchteten Hühnerei wird eine Zelle isoliert. Aus dieser kann dann nach Angaben von Peace of Meat beliebig viel Material hergestellt werden. "Unsere Hühner- Zelllinien sind kontinuierlich, man kann sie also so oft verdoppeln wie man möchte", sagt Brandes. Bei kultiviertem Fleisch dagegen muss immer wieder ein Teil vom "echten" Tier entnommen werden.

Kälberserum "ethisch völlig unakzeptabel"

Aus ernährungsethischer Sicht spricht gegen das kultivierte Fett aus der Hühnereizelle erst einmal nichts, sagt Gottwald. "Schließlich werden noch immer 40 Millionen Geschwisterküken getötet."

Ganz anders sieht das bei dem Fleisch aus, das im Labor kultiviert wird. Denn zwar können die Muskelzellen dafür einem lebenden Tier entnommen werden, das für das Fleisch nicht sterben muss. Doch um die Zellen anzureichern, braucht es ein Nährmedium – und die bislang wirksamste Lösung für das Wachstum der Stammzellen ist Kälberserum, das aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen wird. Dafür muss eine trächtige Kuh geschlachtet und ihr noch lebender Fötus herausgeschnitten werden, aus dessen noch schlagendem Herzen Blut abgezapft wird. Sauberes Fleisch, für das kein Tier leiden musste? Bislang leider nur Marketing.

Zwei tragende K�he auf einer Wiese am Abend. Zwei hochtragende K�he mit durchh�ngendem Bauch genie�en das friesche Gras einer Fr�hlingswiese. Auf jeden Fall ein interessantes Motiv f�r Werbe- und Imag ...
Für Kälberserum müssen weiterhin trächtige Kühe getötet. werden.Bild: www.imago-images.de / Countrypixel

"Aus ethischer Sicht ist der entscheidende Punkt, woher die Nährlösung für das Laborfleisch kommt. Wenn fetales Kälberserum verwendet wird, ist das völlig unakzeptabel und ein schmutziges Geschäft", sagt Gottwald. In Deutschland sei es zudem gesetzlich auch nur im Notfall erlaubt, schwangere Kühe zu schlachten. Einige Hersteller versuchen deshalb zwar bereits, Kälberserum durch Nährlösungen aus Algen oder Pilzen zu ersetzen. Der große Durchbruch blieb bislang aber aus.

Trotzdem, glauben Investoren und Hersteller, wird sich das Fleisch aus der Petrischale langfristig durchsetzen. Werden wir uns in Zukunft also im Labor herangezüchtete Bratwürstchen, Steaks und Burgerpatties auf den Grill legen? Eine Prognose der Unternehmensberatung A.T. Kearney sagt: Bis 2040 werden wir 35 Prozent kultiviertes Fleisch essen, 25 Prozent pflanzenbasiertes und nur noch 40 Prozent konventionelles Fleisch. Der Lebensmittelverband Deutschland zeigt sich da deutlich zurückhaltender. "Um marktfähig zu sein, muss Fleisch aus dem Labor bezahlbar sein. Das heißt, die Produktion muss in großen Mengen, quasi industriell, möglich sein", sagt Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff gegenüber watson.

Laborfleisch als Luxusprodukt

Klar, die 300.000 Euro, die der erste im Labor produzierte Burgerpatty 2013 noch kostete, könnte sich aktuellen Prognosen zufolge irgendwann auf einem Preisniveau von etwa 12 Dollar einpendeln. Doch das ist immer noch zu hoch, glaubt Ernährungsethiker Gottwald. Damit das Laborfleisch im Supermarkt tatsächlich eine Alternative zum Fleisch aus der Massentierhaltung ist, dürfte sein Preis höchstens 20 Prozent über dem des "echten Fleisches" liegen – und das sei derzeit nicht absehbar. Gottwald glaubt deshalb: "Fleisch aus dem Labor wird eher ein interessantes Luxusprodukt sein."

Derzeit ist dieses potenzielle Luxusprodukt aber noch gar nicht auf dem europäischen Markt zugelassen. Wie alle neuartigen Lebensmittel muss es erst einmal der Novel Food Regulation standhalten. Von der Bewerbung bis zur Akzeptanz dauert diese Überprüfung mindestens 18 Monate, und bisher hat noch keine Firma ihre Bewerbung eingereicht, weil zuvor die komplette Prozesskette fertig sein und vielen Tests standhalten muss, sagt David Brandes. "Noch dieses Jahr erwarten wir aber die ersten Anträge, so dass wir Ende 2023 die ersten Produkte auf dem Markt sehen könnten."

Auch der Lebensmittelverband Deutschland hält zwei bis fünf Jahre für einen realistischen Zeitpunkt. "Die Zielgruppe für pflanzliche Fleischersatzprodukte oder auch Fleisch aus dem Labor sehe ich in der wachsenden Zahl der Flexitarier", sagt Christoph Minhoff. Denn für Veganer ist natürlich weder das Fleisch aus dem Labor noch das aus dem Hühnerei produzierte Fett etwas. Aber darum geht es den Gründern von Peace of Meat aber auch gar nicht, ihre Zielgruppe sind Fleischesser. "Der Hauptkunde würde vielleicht sogar abgeschreckt, wenn die Produkte als vegan gelabelt würden."

Veganismus wird noch höheren
Stellenwert bekommen

Ernährungsethiker Gottwald glaubt allerdings, dass Veganismus in den kommenden Jahrzehnten einen noch viel höheren Stellenwert einnehmen wird als bislang. "In zwanzig Jahren werden wir einen deutlich gestiegenen Anteil pflanzlicher Proteine auf dem Markt haben", sagt er. Nutztiere gehörten aus ernährungsökologischer Sicht aber auch in Zukunft zum Ökosystem, um dessen Biodiversität zu erhalten. "Aber definitiv nicht in den Massen von heute – und die Konsequenz ist, dass wir uns größtenteils vegan ernähren müssen", sagt Gottwald. Es würde allerdings schon helfen, sagt er, wenn wir von den 38 bis 40 Prozent tierischer Produkte, die in Deutschland zur Tagesration gehören, auf die 18 Prozent der mediterranen Diät kommen würden. "Dazu braucht es aber kein Laborfleisch."

In Singapur gibt es das Fleisch aus dem Labor allerdings längst. Das Interesse daran scheint bislang ungebrochen: Inzwischen wurde ein Lieferservice eingerichtet.

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