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Vegan-Kolumne: Warum ich keine Kuhmilch trinke, obwohl ich sie liebe

Portrait of a beautiful pregnant woman with a cup of coffee and figs in hands at home.
Milchkaffee zu trinken ist für unsere Autorin jedes Mal ein Glücksmoment.Bild: Moment RF / Anna Efetova
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Zwangsbesamung und Euterentzündung: Warum ich keine Kuhmilch trinke, obwohl ich sie liebe

"As vegan as possible" – die watson-Kolumne zu vegetarischem und veganem Leben
27.01.2021, 17:1727.01.2021, 19:39
theresa schwab
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Kaffee ist für mich Entspannung, Motivator, Gute-Laune-Faktor und jedes Mal mit Vorfreude verbunden. Kaffee spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben, weil er einen psychologischen Effekt auf mich hat. Mit einer warmen Tasse in der Hand lassen sich Problemthemen besser besprechen, schwierige Texte besser schreiben und Lockdown-Tage mit Kleinkind besser ertragen. Manchmal geht es darum, einen kurzen Moment die Welt um sich herum auszuknipsen und sich lediglich auf den Löffel Milchschaum zu konzentrieren.

Und hier komme ich direkt zu einem wichtigen Punkt: Für mich bedeutet Kaffee gleich Milchkaffee, am liebsten als Latte Macchiato mit viel Milch und cremigem Schaum. Seit ich begonnen habe, mich as vegan as possible zu ernähren, war die Milch im Kaffee die Zutat, auf die zu verzichten mir am schwersten fiel. Wer jahrelang Kaffee mit Kuhmilch mischt und plötzlich Hafermilch verwendet, ist ziemlich irritiert. Denn der typische Kaffeegeschmack verändert sich. Sämtliche Milchalternativen sind definitiv dominanter als Kuhmilch.

Über die Autorin
As vegan as possible – das beschreibt Theresa Schwab am besten. In ihrer Kolumne berichtet die freie Journalistin über positive Erkenntnisse, über Anstrengungen und darüber, warum es okay ist, manchmal im Alltag an einem nicht-tierischen Lebensstil zu scheitern.
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grafik: emmy lupin studio

Als ich anfing, mich umzustellen, arbeitete ich regelmäßig in einem Medienkonzern, der eine exzellente italienisch geführte Kaffeebar besaß. Die einzige Milchalternative, die es dort gab, war eine Sojamilch der Marke Alpro, die, wie ich heute weiß, zusätzlichen Zucker enthält. Genau deshalb war es wahrscheinlich die perfekte Einsteiger-Variante. Anfangs noch etwas seltsam, gewöhnte ich mich Woche für Woche an den süßlichen Geschmack, bis ich es irgendwann richtig gut fand. 66 Tage braucht der Körper angeblich, um Gewohnheiten abzulegen und neu einzuprogrammieren. Meine Geschmacksnerven benötigten ebenfalls einige Zeit, um die Soja-Variante als normal abzuspeichern.

Irgendwann wagte ich mich weiter. Es gibt so viele Möglichkeiten und ich probierte sie alle: Mandeldrink, Haferdrink, Haselnussdrink, Reisdrink, Dinkeldrink, Cashewdrink, Kokosdrink sowie eben Sojadrinks. An den Geschmack von Mandel oder Dinkel im Kaffee werde ich mich wohl nie gewöhnen. Bei Hafer probierte ich mich dagegen durch mehrere Marken. Manche schmecken sehr herb, andere leicht süßlich. Und für Schaumliebhaber gibts inzwischen von fast jeder Marke eine Barista-Edition. Durch den Zusatz von etwas Öl schäumt der Inhalt noch besser.

Nicht nur der Geschmack zählt – Inhaltsstoffe, Großkonzerne, Ökobilanz

Hauptsache es schmeckt, war anfangs meine Devise. Inzwischen schaue ich mir die Zutatenliste sowie die Herkunft genauer an. Wird zusätzlich Zucker zugesetzt? Selbst Haferdrinks, in denen kein Zucker als Zutat aufgeführt wird, enthalten übrigens Zucker. Etwa 5 Gramm Zucker pro 100 Milliliter, da der Haferdrink bei der Herstellung fermentiert wird, wodurch sich die Stärke in Zucker aufspaltet. Der "Natumi Haferdrink Zero", "Alpro Hafer ohne Zucker" oder "Provamel Hafer No sugars" enthalten durch innovative Herstellungsverfahren tatsächlich kein Gramm Zucker.

Doch schon geht die Überlegung weiter: Die Marken Alpro sowie der Bio-Ableger Provamel wurden 2006 vom Lebensmittelriesen Danone gekauft. Sollte man diesen Konzern, der mit seinen Joghurts Großmolkereien und somit Massentierhaltung und Tierleid unterstützt, boykottieren? Oder ist es positiv, dass pflanzliche Milch-Alternativen somit an Präsenz gewinnen und mehr Menschen zugänglich gemacht werden?

Und weiter führen die moralischen Überlegungen: Werden die Sojabohnen oder der Hafer aus dem Ausland importiert und wo werden sie hergestellt? Der Hersteller Velike bezieht seinen Hafer zu 100 Prozent aus der Schwarzwald-Region, das Hofgut Storzeln betreibt eigenen Anbau von Bio-Sojabohnen am Bodensee.

Der Oatly-Skandal: Zerstörte die Hafermilch-Firma Regenwald?

Etwas überrascht hat mich die schwedische Marke Oatly, die mit amüsanten Marketingsprüchen und einer cool designten Verpackung die beliebteste Hafermilch unter Influencern sein dürfte. Zwar wird der Hafer in Schweden angebaut und dort verarbeitet, doch Teile des Konzerns gehören chinesischen Investoren. Im Jahr 2020 hat Oatly dann 10 Prozent seiner Firmenanteile an die umstrittenen US-Investmentgesellschaft Blackstone verkauft. Die wiederum halten Anteile an Firmen, die mit hohen Investitionen im Sojaanbau für die großflächige Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes verantwortlich sein sollen. Widersprüchlich, wenn Oatly mit Sprüchen wie "No milk. No soy. No badness" wirbt oder mit der Petition "Hey food industry, show us your numbers" Lebensmittelhersteller dazu aufruft, ihre CO2-Bilanzen transparent zu machen.

"Insgesamt ist die Ökobilanz eines Haferdrinks nach wie vor besser: Er produziert 70 Prozent weniger schädliche Klimagase als Kuhmilch."

Insgesamt ist die Ökobilanz eines Haferdrinks nach wie vor besser: Er produziert 70 Prozent weniger schädliche Klimagase als Kuhmilch. Und für die Herstellung eines Liters Hafermilch werden 3,4 Liter Wasser benötigt, für einen Liter Kuhmilch dagegen 250 Liter.

Neben zuckerfreien Haferdrinks ist meine persönliche Entdeckung des letzten Jahres der Pflanzendrink aus Erbsenprotein des Berliner Start-ups vly. Weniger Zucker oder in der zuckerfreien Variante, weniger Kohlenhydrate, mehr Protein und leicht vanillig im Geschmack. Dazu eine CO2-Bilanz, die laut Hersteller den Haferdrink toppt. Ob die umfangreiche Mikronährstoffmischung – darunter Calcium, Magnesium, Jod, Selen und Vitamin B12 – nötig ist, muss jeder selbst entscheiden.

Filmempfehlung: "Das System Milch"

Wem es noch immer schwerfällt, auf Kuhmilch im Kaffee zu verzichten, dem seien diese ernährungswissenschaftlichen Untersuchungen aus der Dokumentation "Das System Milch" als Impuls mitgegeben. Hier berichtet Professor Walter Willett von der Harvard School of Public Health: "Langzeitstudien ergaben, Milch ist wachstumsfördernd, das ist ihre natürliche Funktion. Sie beschleunigt das Wachstum von Säugetieren und die Zellteilung, was im Kindesalter sinnvoll ist. Aber im Erwachsenenalter ist schnelles Zellwachstum ungünstig. Denn das ist ein Faktor, der die Entstehung von Krebs fördert. Deshalb vermutet man heute, dass ein hoher Milchkonsum das Krebsrisiko steigern kann."

Die preisgekrönte Doku beleuchtet angenehm neutral weitere Aspekte der Milch, darunter die Ausbeutung der Milchbauern und den enormen Soja-Verbrauch. Um die Leistungssteigerung von Kühen anzukurbeln, besteht etwa zwei Drittel der Tierfutterenergie maßgeblich aus zugekauftem Soja, das meist aus Südamerika importiert wird. Daraus ergibt sich wiederum die großflächige Rodung des Regenwaldes. Doch nur ein Drittel der Energie, die in Soja oder Getreide steckt, kann von Kühen verwertet werden. Ökologisch besonders dramatisch: Die riesigen Mengen Stickstoff, die entstehen, müssen von unseren Flächen verdaut werden. Auf einen Liter Milch kommen drei Liter Gülle.

"Die preisgekrönte Doku beleuchtet angenehm neutral weitere Aspekte der Milch, darunter die Ausbeutung der Milchbauern und den enormen Soja-Verbrauch."

Mein persönlicher Trigger, auf Kuhmilch zu verzichten? Die Gewalteinwirkung, die es benötigt, um Kühe künstlich zu besamen. Das Leid, das Kühe und ihre Kälber ertragen müssen, wenn sie nach der Geburt getrennt und die männlichen Kälber als Abfallprodukt anschließend entsorgt werden. Sowie die körperlichen Qualen, die sogenannte zweckoptimierte Hochleistungsnutztiere mit entzündeten Eutern, lebenslanger Stallhaltung, Verunreinigungen und Nonstop-Schwangerschaften erleiden.

Eine Kuh würde auf natürliche Art und Weise bis zu 20 Jahre alt werden. Da sie jedoch möglichst viel Milch geben soll, und nur Milch produziert, wenn sie ein Kalb zur Welt gebracht hat, wird sie jedes Jahr künstlich geschwängert. Durch diese Belastung ist eine Kuh nach zwei bis fünf Jahren nicht mehr zu gebrauchen und wird ausrangiert.

Wer hat schon mal den verstörenden Anblick riesiger Flächen mit Iglus gesehen, in denen Kälber direkt nach der Geburt weggesperrt und künstliche Nahrung bekommen? Damit die Milch, die für das Kalb vorgesehen war, von uns Menschen verzehrt werden kann. Und wer erinnert sich an das tagelange klägliche Muhen einer Kuh, die nach ihrem Kalb schreit, das sie neun Monate lang ausgetragen aber nie zu Gesicht bekommen hat?

Seit ich Mutter bin, gehen mir solche Bilder, Klagerufe und Informationen noch näher. So gut mir rein rational die Milch einer Mutterkuh im Kaffee schmeckt, so sehr könnte ich beim Gedanken an ihre Vorgeschichte brechen.

Mehr als Müll: Wie man Kaffeesatz weiter verwenden kann

Ohne Kaffee geht gar nichts – der tägliche Morgenkaffee ist für viele Menschen unverzichtbar. Durchschnittlich trinkt jede:r deutsche Konsument:in vier Tassen Kaffee pro Tag.

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