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FC Bayern: Warum Niko Kovac Thomas Müller links liegen lässt

Bayern-Trainer Niko Kovac setzt lieber auf Neuzugang Philippe Coutinho statt auf Urgestein Thomas Müller.
Bayern-Trainer Niko Kovac setzt lieber auf Neuzugang Philippe Coutinho statt auf Urgestein Thomas Müller. Bild: imago images / Sven Simon
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Kovac degradierte Müller: Wieso der Bayern-Trainer den Spieler nicht richtig einsetzt

19.10.2019, 15:01
constantin eckner
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Viele Jahre lang war Thomas Müller eine der Stützen des FC Bayern München und zugleich ein Gesicht des deutschen Rekordmeisters. Als Zehnjähriger kam er zum Verein, durchlief alle Jugendmannschaften und wird in Kürze sein 500. Pflichtspiel für die Münchner absolvieren. Der gebürtige Oberbayer verkörpert mit seiner Lausbubenart und mit seinen Toren jene Mischung, die den Bayern-Fans Freude bereitet. Doch die Zeiten haben sich verändert.

Müller ist mittlerweile nur noch Reservespieler bei "seinem" FC Bayern. In dieser Saison kommt er bis jetzt lediglich auf 294 von 810 möglichen Spielminuten in Bundesliga und Champions League. Die meiste Zeit verfolgt er die Partien von der Bank. Bayern-Trainer Niko Kovac bevorzugt Neuzugang Philippe Coutinho auf der kreativen Zehner-Position und die dribbelstarken Kingsley Coman und Serge Gnabry auf den Flügeln. Da bleibt kein Platz mehr für Müller, der sich angeblich bereits Gedanken über einen Wechsel macht.

Kovac selbst scheint von den Diensten Müllers nicht mehr viel zu halten. Kürzlich sagte er, dass Müller schon mal zum Einsatz kommt, "wenn Not am Mann sein sollte". Kovac ruderte am Donnerstag zurück und sagte, dass seine Aussage ein Fehler gewesen sei. Trotzdem ist aus dem Unverzichtbaren, über den Louis van Gaal einmal sagte, dass er "immer spielt", ist ein Notnagel geworden. Das wirft natürlich Fragen auf.

Müller ist der geborene "Raumdeuter"

Müller war nie ein ganz gewöhnlicher Angreifer. An sich war sogar nie wirklich klar, welche Position der heute 30-Jährige überhaupt begleiten sollte. Seine Karriere begann er vornehmlich auf der rechten Außenbahn, dann ging es ins Sturmzentrum, dann auf die Positionen dahinter und von dort aus wandert Müller seit jeher von einer zur anderen. Aber er hatte immer seine Rolle bei den Bayern. So auch in der ersten Saison unter Kovac.

Zuletzt sah man den sonst immer lachenden Thomas Müller eher grübelnd auf der Ersatzbank.
Zuletzt sah man den sonst immer lachenden Thomas Müller eher grübelnd auf der Ersatzbank. Bild: imago images / Sven Simon

Gerade im Frühjahr setzte der 48-jährige Cheftrainer Müller immer wieder als hängende zweite Spitze hinter Robert Lewandowski ein. Das ist eigentlich auch die Paradeposition von Müller, denn gerade im Schatten eines physischen und taktisch cleveren Angreifers wie Lewandowski kann sich Müller mit viel Freiheiten in die Räume bewegen und für Offensivgefahr sorgen.

Müller machte sich in seiner Karriere einen Namen als "Raumdeuter". Dieser Begriff beschreibt seine Spielweise, mit der er Lücken in der gegnerischen Verteidigung erkannte und sich heimlich eben in diesen Lücken bewegte. Fernab des Blickfeldes wartete Müller auf den Pass – und plötzlich tauchte er allein vor dem Tor auf. Der Gegner war konsterniert und Müller beim Jubeln schon auf dem Weg Richtung Fankurve.

Coutinho ist für Kovac wichtiger

Doch Kovac scheint eben diese Spielweise nicht so sehr zu schätzen, wie einige seiner Vorgänger beim Rekordmeister. Was Müller braucht, sind die erwähnten Freiheiten. Kovac jedoch ist auf der verzweifelten Suche nach einem taktischen Gerüst, welches das eigene Ballbesitzspiel trägt. Müller ist allerdings keiner, der das Passspiel einer Mannschaft dirigiert, sondern vom guten Passspiel vor allem profitiert.

Deshalb setzt Kovac nun lieber auf Coutinho, der aus dem Zentrum heraus die wichtigen Pässe auf die Außenbahnen oder in die Spitze spielt. Der Brasilianer ist ein integraler Bestandteil des bayerischen Ballbesitzspiels. Anders als Müller bewegt er sich seltener zur Abseitsgrenze oder in den Strafraum, sondern kurbelt das Spiel aus tieferen Spielfeldzonen an. Genau das kann Müller aber nur bedingt. Im Gegenzug ist Coutinho keiner, der sich ständig hinter die Abwehr schleicht und den Torabschluss im gegnerischen Strafraum sucht. Beide sind recht unterschiedlich und Müller um einiges unorthodoxer als Coutinho.

So unterscheidet sich die typische Positionierung von Müller und Coutinho im Angriffsspiel. Müller fühlt sich wohler, wenn er sich hinter die Abwehr bewegen kann, während Coutinho lieber aus dem Rückr ...
So unterscheidet sich die typische Positionierung von Müller und Coutinho im Angriffsspiel. Müller fühlt sich wohler, wenn er sich hinter die Abwehr bewegen kann, während Coutinho lieber aus dem Rückraum die Angriffe gestaltet.bild: watson

Das stellt sich Frage: Kann Kovac mit dem Spielertypen Müller taktisch einfach nichts anfangen? Ein Kreativspieler wie Coutinho ist bei dem Bayern-Trainer im Moment jedenfalls mehr gefragt als ein Raumdeuter wie Müller.

Müller und Coutinho zusammen passt nicht

Um auf Müller zu setzen, bräuchte es aus dem Mittelfeld heraus mehr Unterstützung. Momentan verweilen die zentralen Spieler vor der Abwehr und schalten sich nicht so aggressiv mit nach vorn ein. Das hat auch damit zu tun, dass Kovacs Mannschaft möglichst sicher stehen soll, kommt es einmal zum Ballverlust. In der Vergangenheit marschierten Mittelfeldspieler wie Thiago mit mehr Mut nach vorn und besetzten die Räume hinter den Angreifern. Damit war es für Müller auch möglich, sich in die Spitze zu bewegen. Im aktuellen System müsste er hingegen tiefer stehen.

Es ist aufgrund dieses Sicherheitsdenkens zudem unwahrscheinlich, dass Müller und Coutinho zusammen im offensiven Mittelfeld in einem 4-1-4-1 spielen werden. Und käme es doch zu diesem Fall, müsste Müller wohl viel Defensivarbeit verrichten und weite Wege nach hinten gehen, was seinem Spiel sehr abträglich wäre.

Zwei Ausnahmefußballer: Philippe Coutinho und Thomas Müller (links).
Zwei Ausnahmefußballer: Philippe Coutinho und Thomas Müller (links). Bild: imago images/Sven Simon

Heynckes und Guardiola setzten bewusst auf Müller

Müller funktionierte immer, wenn ihn Trainer ganz bewusst in ihre taktischen Systeme einbanden. Das war unter van Gaal, Jupp Heynckes und Pep Guardiola der Fall. Stets kristallisierte sich Müller trotz seiner fußballerischen Beschränkungen als Schlüsselspieler heraus. Gibt es aber eben diese Einbindung nicht, kommen seine Schwächen stärker zum Vorschein. Ein Trainer muss gewillt sein, ein Stück weit vom traditionellen Spielsystem – etwa einem 4-2-3-1 mit einem Zehner hinter der Sturmspitze – abzurücken und es auf Müller zuzuschneiden.

Es ist nicht auszuschließen, dass Kovac noch bereuen wird, auf Müller verzichtet zu haben. Gerade wenn die Bayern einmal an tief verteidigenden Gegnern verzweifeln und wie gegen eine Mauer anrennen, könnte Müller mit seinen Läufen die Abwehr überrumpeln. Kovac hat mittlerweile seine "Not am Mann"-Aussage zu Müller relativiert. Eventuell wird dem 48-Jährigen bewusst, dass er einen recht außergewöhnlichen Spieler zu Verfügung hat und in dieser Saison die Gelegenheit nicht nutzt, diesen auch gewinnbringend für die Bayern einzusetzen.

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