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HSV sollte sich an SV Sandhausen und FC Heidenheim ein Beispiel nehmen

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Sandhausens Kapitän Dennis Diekmeier (l.) traf in der Nachspielzeit zum 5:1 gegen seinen Ex-Klub Hamburger SV. Bild: KBS-Picture / imago images
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HSV sollte sich Sandhausen und Heidenheim zum Vorbild nehmen

01.07.2020, 09:1601.07.2020, 11:45
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Gegen den SV Sandhausen und den 1. FC Heidenheim gleichzeitig verlieren, das muss man erstmal schaffen. Doch es war sinnbildlich für den HSV: Durch die 1:5-Blamage im eigenen Stadion gegen den kleinen SV Sandhausen verpasste der große Hamburger SV die Bundesliga-Relegation gegen Werder Bremen. Den dritten Platz sicherte sich dafür der ebenfalls kleine 1. FC Heidenheim – und das trotz einer 0:3-Pleite gegen Meister Arminia Bielefeld.

Der 34. Spieltag der Saison 2019/20 geht als vielleicht noch schwärzerer Tag in die einst so ruhmreiche HSV-Vereinsgeschichte ein als der Abstieg 2018. Tristesse in Hamburg, schon wieder.

Hamburger SV verpasst Aufstieg: Die Chance war zum Greifen nah

Besonders bitter: Es war ab der 62. Minute eigentlich alles angerichtet für den HSV. Die Chance war da. Der Fußballgott servierte den Hamburgern auf dem Silbertablett die große Gelegenheit, die Saison noch zu retten. 1:2 lagen die Hamburger nach einem von Kapitän Aaron Hunt verwandelten Foulelfmeter nur noch zurück. Sie waren wieder im Spiel. Sie wussten, dass auch Heidenheim 0:3 in Bielefeld hinten liegt. Ein Punkt hätte dem Ex-Bundesliga-Dino in dieser Konstellation gereicht, um am Ende doch noch den Relegationsrang zu sichern. Trainer Dieter Hecking sprach nach dem Abpfiff von "Druck", "Nervosität", "Anspannung".

All das konnte man im Spiel des HSV beobachten: Ein Tor zum 2:2 hätten sie erzielen müssen. Doch daraus wurde nichts. Anstatt den Aufwind des Anschlusstreffers zu nutzen und sich ins Spiel zurückzukämpfen, wirkte der HSV kopflos, ratlos, verunsichert und kassierte stattdessen noch drei (!) Gegentreffer. Für den HSV wurde der Kampf gegen die Uhr zunehmend zu einem Krampf – mit maximal herbem Ausgang.

Eins zu fünf. Gegen Sandhausen. Der weltbekannte Hamburger SV, sechsmaliger Deutscher Meister, wird düpiert von der Fußballprovinz. Und der 1. FC Heidenheim, 200 Kilometer südöstlich von Sandhausen gelegen, erreicht dadurch die Relegation zur Bundesliga. Mehr zweite Liga geht nicht.

Der SV Sandhausen und der 1. FC Heidenheim gelten als unbedeutend – dabei machen sie seit Jahren gute Arbeit in der 2. Liga

Sandhausen und Heidenheim gelten als Chiffren der Bedeutungslosigkeit in der 2. Bundesliga. Wer als Mannschaft mit Bundesliga-Ansprüchen im Unterhaus spielt oder in die Zweitklassigkeit absteigt, muss sich immer sarkastische Sprüche gefallen lassen: "Viel Spaß bei der Auswärtsfahrt nach Sandhausen". Oder: "Da könnt ihr euch auf attraktive Gegner wie den 1. FC Heidenheim freuen". Zwischen den ganzen Ex-Erstligisten von Hamburg bis Hannover, von Bielefeld bis Bochum tanzen die beiden in der 2. Liga, was Prestige und Infrastruktur angeht, aus der Reihe.

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Am 33. Spieltag verlor der Hamburger SV bereits in Heidenheim mit 1:2. Bis zur 80. Minute führte der HSV mit 1:0.Bild: imago images/Jan Huebner/Blatterspiel

Dabei sind Heidenheim und Sandhausen nur vermeintlich unbedeutend. Klar, es sind jeweils keine Klubs von Weltrang wie der HSV. Aber an den beiden kleinen Fußballstandorten machen die Verantwortlichen schon jahrelang respektable, kontinuierliche Arbeit: Der SV Sandhausen spielt seit 2012 ununterbrochen in der Spielklasse und ist mit allen Zweitligawassern gewaschen, hält sich seit Jahren mit einem kleinen Etat solide im Tabellenmittelfeld. Der FC Heidenheim ist seit 2014 Zweitligist und hat in vier von sechs Saisons eine Platzierung in der oberen Tabellenhälfte erreicht.

Beim HSV ist seit 2014 die einzige Konstante, dass man immer wieder an seinen eigenen Ansprüchen scheitert. In der Bundesliga war der Klub aus der Hansestadt dem Abstieg vier Mal knapp von der Klinge gesprungen, bevor es 2018 endgültig hinunter in die 2. Bundesliga ging.

Damals regelmäßig Abstiegskampf – jetzt regelmäßig Aufstiegskrampf

Dort ging und geht die negative HSV-Kontinuität weiter: Zwei Jahre zweite Liga, zweimal Platz vier. So wie man in den vergangenen Jahren noch regelmäßig am Abstieg vorbeigeschrammt ist, schrammt der Klub nun in ähnlicher Regelmäßigkeit am Aufstieg vorbei. Und wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Böse Zungen behaupten sogar, dass der HSV gute Chance habe, als erster Bundesliga-Klub im Dschungelcamp zu landen.

Der Spott hört nicht auf: Die Kirsche aufs Sahnehäubchen der HSV-Nichtaufstiegstorte setzte Sandhausens Dennis Diekmeier mit seinem Treffer zum 5:1 in der dritten Minute der Nachspielzeit. "Diekmeier sichert dem HSV den Klassenerhalt" oder "DIEKMEIER. Die nehmen jede Demütigung mit" lauteten beispielhaft die Kommentare zur Blamage des "harmlosen Sportvereins HSV".

Ausgerechnet Diekmeier. Denn der 30-Jährige Ex-Hamburger steht sinnbildlich für die vergangenen Krisenjahre des Gründungsmitglieds der Bundesliga.

Er trug acht Jahre lang das Trikot mit der schwarz-weiß-blauen Raute, 2018, nach dem Abstieg aus der Bundesliga, trennten sich die Wege des Verteidigers und des HSV. Nach einem halben Jahr Vereinslosigkeit schloss er sich überraschend den Sandhäusern an, ist dort nun Kapitän und lässt seine Karriere in der Kurpfalz ausklingen.

Dennis Diekmeier: Vom HSV-Profi, der nie das Tor traf zum Totengräber

Einst war er belächelter Null-Tore-Profi beim Hamburger SV. Jetzt schoss er gegen seinen Ex-Verein das erst zweite Tor (!) seiner gesamten (!!) Profikarriere. "Ich bin ein souveräner Killer und habe mir den Winkel ausgesucht", sagte er mit einer großen Portion Selbstironie nach dem Abpfiff am Sky-Mikrofon.

Diekmeier fühle sich fit wie nie und beschäftige sich auch nicht groß damit, was nun auf die HSV-Profis zukomme, sagte er weiter. Er spiele jetzt beim SV Sandhausen und wolle etwas erreichen. Die Betonung setzte er dabei auf "erreichen". Ob bewusst oder unbewusst, das ist Interpretationssache, möglicherweise war es aber ein Seitenhieb auf seinen ehemaligen Klub, der in den vergangenen Jahren eher wenig erreichen konnte.

Das liegt auch an einer weiteren negativen Kontinuität im Verein: 18 Mal hat der HSV seit 2010 den Trainer gewechselt. Der erfahrene Dieter Hecking sollte ab Juli 2019 Ruhe in den Klub und Konstanz in die Mannschaft bringen, schaffte das bis zu einem gewissen Punkt auch. Doch am Ende scheiterte der Klub wieder und wieder an den eigenen Ansprüchen.

Wie geht es weiter mit dem HSV? Der Vertrag von Trainer Hecking läuft aus

Am Montag versammelte Hecking seine völlig niedergeschlagene Mannschaft noch einmal im Volkspark-Stadion. Er richtete einige Worte an seine Spieler, sprach über die verkorkste Saison, die tags zuvor höchst peinlich zu Ende gegangen war.

Dann entließ er die Mannschaft in den Urlaub. Ob Hecking noch Trainer ist, wenn dieser vorbei ist, scheint fraglich. Am Dienstag läuft der Vertrag des 55-Jährigen aus. Doch die Personalie des Trainers ist nur ein kleines Teil im Scherbenhaufen, den die Hanseaten nun zusammenkehren müssen.

Vielleicht sollte man aber im Sinne der Kontinuität vielleicht doch mit Hecking weitermachen. Das rät auch Diekmeier seinem Ex-Klub. Im Gespräch mit "Sport 1" brachte er es auf den Punkt: "Das größte Problem beim HSV ist seit Jahren die Trainerposition. Ich hatte in acht Jahren 16 Trainer, das ist ja unfassbar."

Auch finanziell wird es wohl deutlich enger. Es sei "fehl am Platze, jetzt in Populismus zu verfallen", sagte Klub-Präsident Marcell Jansen bei Sky kurz nach dem Verpassen der Relegation zur Trainerfrage. Er kündigte an, die Ereignisse vom Sonntag erst einmal sacken zu lassen. Zumindest für ein, zwei Tage. Doch dann muss eine Entscheidung her.

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Die Gesichter sprechen Bände. Dieter Hecking (vorn) beim Anblick des Spiels seiner Mannschaft.Bild: KBS-Picture / imago images

Eine Phase ohne klare Führungsstruktur auf sportlicher Ebene kann sich der Klub schlicht nicht leisten, er muss die Planungen schnell vorantreiben. Der HSV wird den Gürtel dabei enger schnallen müssen und finanziell wohl künftig keine so herausgehobene Position im Bundesliga-Unterhaus mehr einnehmen. Sportchef Jonas Boldt hatte schon angekündigt, dass der Verkauf von Leistungsträgern kein Tabu mehr ist, sollte der HSV den Aufstieg nicht schaffen. Tim Leibold, der nach dem Abpfiff bittere Tränen verdrückte, steht beispielsweise beim VfB Stuttgart auf dem Zettel.

Ein erneuter, größerer Umbruch kündigt sich an.

Dabei wird der HSV wohl erst einmal nicht auf die Unterstützung von Milliardär und Anteilseigner Klaus-Michael Kühne setzen können. Es dringt durch, dass der 83-Jährige wenig Lust auf weitere Investments verspürt. Kühne hielt auch die Namensrechte am Volksparkstadion für vier Millionen Euro pro Jahr. Bisher hat man sich nicht auf eine Verlängerung einigen können.

Der Hamburger SV sollte sich ein Beispiel an Sandhausen und Heidenheim nehmen

Der Auftritt gegen Sandhausen dürfte Kühnes Spaß am HSV nicht vergrößert haben, zudem könnte laut "Hamburger Abendblatt" auch Hauptsponsor Emirates von einer Austiegsklausel Gebrauch machen.

Wie die "Bild" am Montagnachmittag berichtet, sei es bereits sicher, dass sowohl Hauptsponsor Emirates als auch Kühne aussteigen werden. Demnach muss auch der Etat von 30 auf 23 Millionen heruntergefahren werden.

Der zweifache Europapokal- und dreimalige DFB-Pokal-Sieger kommt einfach nicht mehr aus dem Negativstrudel heraus.

Vielleicht hat der Hamburger SV die 2. Bundesliga unterschätzt und offensichtlich war er erneut zu verkrampft und nervös, um am Ende aufzusteigen. In der kommenden Saison darf das nicht nochmal passieren. Sonst ergeht es dem HSV bald wie dem 1. FC Kaiserslautern oder 1860 München, die nach dem Bundesliga-Abstieg bis in die Drittklassigkeit abgerutscht und bisher nicht wieder aufgestiegen sind.

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Auch das noch: Rick van Drongelen, der 2017 für drei Millionen Euro nach Hamburg wechselte, erlitt früh im Spiel eine Knieverletzung. Diagnose: Kreuzbandriss.Bild: Ibrahim Ot/action press/imago images

Vielleicht ist es auch eine Chance, wenn der reiche Onkel Kühne die Schatulle nicht mehr großzügig aufmacht für teure Spieler. Der Hamburger SV sollte sich ein Beispiel an den Underdogs der Liga nehmen, an den vermeintlich Bedeutungslosen wie Heidenheim oder Sandhausen. Sowohl was Transfers angeht als auch die Spielweise. Die verstärken sich Jahr für Jahr mit erfahrenen Zweitliga-Recken und zaubern immer wieder ambitionierte, aber relativ günstige Spieler aus dem Hut. Außerdem wissen sie, wie man in der 2. Liga spielen muss: Beide gelten als eklige, schwer zu bespielende Mannschaften, gegen die man nicht gerne antritt.

Im Gegensatz zum gegenwärtigen HSV.

Die Hamburger täten gut daran, in der kommenden Saison nicht zu verkrampft den Blick nach oben zu richten. Sie sollten stattdessen eher auf Sandhausen und Heidenheim schauen. Wobei man nach Heidenheim vielleicht auch bald Richtung oben schauen muss.

Relegation zwischen 1. und 2. Bundesliga:
Der 1. FC Heidenheim muss als Drittplatzierter der 2. Bundesliga gegen den SV Werder Bremen, 16. der Bundesliga, antreten. Es gibt ein Hin- und ein Rückspiel.

Die Partien finden am Donnerstag, den 2. Juli, sowie am Montag, den 6. Juli, statt. Anpfiff ist jeweils um 20.30 Uhr. DAZN und Amazon Prime haben die Übertragungsrechte.

Wer als Sieger der beiden Relegationsspiele hervorgeht, darf in der kommenden Saison in der Bundesliga antreten. Der Verlierer spielt in der Spielzeit 2020/21 in der 2. Bundesliga.


(as/mit Material von sid)

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