Das Transferfenster ist zu, die ersten drei Spieltage sind gespielt, die erste Länderspielpause der Saison steht bevor. Die Bundesliga hat Pause. Höchste Zeit, den Saisonstart der beiden großen Titelfavoriten Bayern München und Borussia Dortmund mal unter die Lupe zu nehmen – ist der BVB doch nicht so stark, wie alle meinten? Und ist der Rekordmeister aus München doch viel wettbewerbsfähiger, als alle vor ein paar Wochen noch dachten? Freut sich am Ende gar ein Dritter, wenn zwei sich streiten?
Im Juli und August dieses Jahres, noch bevor die 57. Bundesligasaison losging, hieß der deutsche Fußballmeister gefühlt schon Borussia Dortmund. Der BVB formulierte offen das Ziel, spätestens am 34. Spieltag die Meisterschale in die Höhe heben zu wollen. Auch viele Experten waren sich einig: Es wird das Jahr von Borussia Dortmund, während es die Bayern eher schwer haben werden.
Nicht zuletzt, weil die Westfalen für das Projekt Meisterschaft vier Neuzugänge präsentierten, die der Konkurrenz die Knie schlottern ließen: Die Transfers von Julian Brandt, Mats Hummels, Nico Schulz und Thorgan Hazard waren schon fix, als die Bayern noch händeringend nach Verstärkungen suchten und von einem Kracher der Marke Leroy Sané träumten.
Doch nach dem Dortmunder Superstart mit Supercup-Sieg, souveränem Weiterkommen im DFB-Pokal und zwei Siegen an den ersten zwei Bundesliga-Spieltagen, gab es gegen Union Berlin am Samstagabend einen ersten, herben Dämpfer für die Elf von Trainer Lucien Favre.
"Nach der letzten Woche dürfen wir keine großen Sprüche machen." BVB-Stürmer Marco Reus brachte es bei der Pressekonferenz vorm EM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande, angesprochen auf das Verhältnis der Bayern- und Dortmund-Spieler in der Nationalelf, auf den Punkt.
Aber auch die Bayern sind nicht ganz so rund in die Saison gestartet. Schauen wir uns zunächst die ersten drei Spieltage doch mal aus FCB- und BVB-Sicht an.
Bayern München - Hertha BSC 2:2 (1:2)
Borussia Dortmund - FC Augsburg 5:1 (1:1)
Während die Bayern am Freitagabend gegen Hertha BSC mit einem Schock (und einem Punkt) davonkommen, fertigt der BVB am Folgetag Augsburg locker mit 5:1 ab. Kleines Aber: Der FCA ging früh mit 1:0 in Führung.
1. FC Köln - Borussia Dortmund 1:3 (1:0)
FC Schalke 04 - Bayern München 0:3 (0:1)
Diesmal legt Dortmund am Freitagabend vor, siegt 3:1 gegen Köln. Doch auch in diesem Spiel gerät der BVB erstmal 0:1 in Rückstand. Die Bayern lösen ihr Auswärtsspiel auf Schalke souverän, werden im Spielverlauf immer stärker, gewinnen am Ende 3:0.
Bayern München - FSV Mainz 05 6:1 (2:1)
1. FC Union Berlin - Borussia Dortmund 3:1 (1:1)
Mainz führt früh im Spiel gegen Bayern. Der Rekordmeister antwortet rekordmeisterlich, walzt den FSV mit 6:1 nieder. Und Dortmund? Der BVB muss wieder einem Rückstand hinterherlaufen. Doch diesmal geht es schief. Im Samstagabendspiel verliert die Borussia mit 1:3 gegen Union Berlin, tut sich gegen den Aufsteiger schwer. Der FC Bayern lacht sich ins Fäustchen.
Die ersten drei Spieltage zeigen auch schon, wie es um die Form, die Einstellung auf dem Platz und die Kaderkompositionen von Dortmund und Bayern steht.
Auch, wenn man das Gefühl nicht los wird, dass der FCB-Motor noch etwas stottert: Das Team von Niko Kovac ist spätestens seit dem humorlosen 6:1-Heimkantersieg gegen Mainz schon wieder im gefürchteten Mia-san-mia-Modus. Die Bayernbrust scheint breit zu sein, man hat Vertrauen in die eigene Stärke, die Einstellung der Kovac-Elf passt.
Das zeigte sich phasenweise auch schon auswärts gegen Schalke – auch wenn es in Gelsenkirchen etwas (Handspiel-)Dusel gab... Es ist halt immer noch der Rekordmeister, da gehört der berühmte Bayerndusel auch ein bisschen dazu.
Drei 0:1-Rückstände in den ersten drei Spielen. Hat das spielerisch so hochbegabte BVB-Team ein Einstellungsproblem? Sebastian Kehl, Lizenzspieler-Abteilungsleiter in Dortmund, fühlte sich bereits an vergangene Saison erinnert, als der BVB durch unnötige Punktverluste gegen vermeintlich kleine Gegner die große Titelchance verspielte.
Damals wie heute führen die Dortmunder den jungen Kader als Erklärung an, doch das ist in dieser Saison nicht mehr so einleuchtend. Zum einen wurde in Mats Hummels ein Ü30-Führungsspieler verpflichtet, in Berlin-Köpenick ging aber auch er weder mit Leistung noch mit Selbstvertrauen voran. Der pomadige Auftritt gegen Union war ein Schritt zurück, und schon sind RB Leipzig und Bayern München in der Tabelle vorbeigezogen.
"Wir waren selten so breit aufgestellt", urteilte Präsident Uli Hoeneß. Beim Sieg gegen Mainz gab es sechs verschiedene Torschützen, angefangen bei den Neuzugängen Ivan Perisic und Benjamin Pavard über Freistoßschütze David Alaba, Kingsley Coman und Alphonso Davies bis zu Robert Lewandowski, der schon sein sechstes Saisontor erzielte.
Die breite Qualität des Kaders wurde erstmals ausgeschöpft. "Wir haben jetzt Breite und Tiefe", sagte Kovac zum Kader. Der entspricht in seinem zweiten Bayern-Jahr seinen Vorstellungen und sollte auch international wettbewerbsfähig sein. Die Bayern werden sich weiter steigern, wenn der spät komplettierte Kader harmoniert.
Perisic, ein Tor, eine Vorlage, funktionierte als Vertreter des unter der Woche angeschlagenen Nationalspielers Serge Gnabry auf der Außenbahn schon gut. Und der neue Spielgestalter Philippe Coutinho wird auch bald fitter und wirkungsvoller sein.
Nach den Toptransfers des Dortmunder Transfersommers waren viele der Meinung: Jetzt hat Dortmund auch eine starke Bank, so wie der FC Bayern; die neue Kadertiefe des BVB wird ein enormes Plus im Titelrennen gegen den dünner besetzten FC Bayern sein. Doch nach den Transfers von Perisic und Coutinho sind die beiden Topclubs in dieser Hinsicht schon wieder gleich auf.
Und, wenn man sich die BVB-Bank beim Spiel gegen Union anschaut, muss man die Frage stellen: Ist der Kader von Dortmund mit den millionenteuren Neuzugängen doch nicht so tief wie alle vor Ligastart behaupteten? Für die Partie an der Alten Försterei fielen Stratege Axel Witsel und Flügelflitzer Thorgan Hazard aus, und prompt lasen sich die Auswechselspieler von Lucien Favre gar nicht mehr so konkurrenzfähig: Hitz, Schmelzer, Schulz, Zagadou, Wolf, Götze, Bruun Larsen, Guerreiro, Dahoud.
Zum Vergleich die Bayernbank am vergangenen Spieltag gegen Mainz: Ulreich, Boateng, Gnabry, Goretzka, Javi Martinez, Tolisso, Cuisance, Davies, Müller. Die meisten dieser Herren dürften beim BVB in der Startelf stehen.
Ja, es sind erst drei Spieltage gespielt. Ja, es ist alles noch sehr eng oben in der Tabelle, es kann und wird noch viel passieren an den kommenden 31 Spieltagen. Und doch lassen sich schon einige Tendenzen erkennen. Bayern kam etwas langsamer in Fahrt als Dortmund, scheint aber auf lange Sicht mehr Durchschlagskraft zu haben, vor allem wenn es gegen schwache Gegner geht, gegen die man das Spiel machen muss, die sich hinten reinstellen. Der BVB könnte, wie schon in der Vorsaison, an sich selbst scheitern, das hat vor allem das Union-Spiel gezeigt. Der FC Bayern gewinnt solche Spiele in der Regel. Der Rekordmeister scheint nach drei Spieltagen trotz Stottermotor leistungsfähiger als der BVB.
Am Ende könnte der aktuelle Spitzenreiter RB Leipzig ein großes Wort um die Meisterschaft mitreden – frei nach dem Motto: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Stürmer Timo Werner ist seit seiner Vertragsverlängerung bei den Bullen in Topform, spielt befreit auf. Trainer Julian Nagelsmann sprach vor der Saison davon, dass der Club in der Lage sei, Titel zu gewinnen. Die Mannschaft von RB Leipzig wirkt gefestigt.
Für Dortmund und Bayern wird der erste Spieltag nach der Länderspielpause schon etwas richtungsweisend: Für Bayern steht der Härtetest bei den Leipzigern an. Bayerns Kapitän Manuel Neuer mahnte bereits nach dem Spiel gegen Mainz: "Wenn man sechs Tore schießt, ist es sehr deutlich. Aber es gibt andere Mannschaften, wenn man da so beginnt, hat man nicht mehr die Möglichkeit, zurückzukommen."
Der BVB indes empfängt den Tabellenvierten Bayer Leverkusen. Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke pocht auf Wiedergutmachung nach der Pleite gegen Union, nimmt das Favre-Team in die Pflicht: "Ich erwarte eine entsprechende Reaktion. Die Mannschaft weiß, dass sie etwas gutzumachen hat."
(as/mit Material von sid und dpa)