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Löw-Nachfolge: Option hatte bisher keiner auf dem Schirm – Trainerin mit Vorstoß

Trainerin Nora H
Nora Häuptle vom SC Sand ist die einzige Cheftrainerin in der Frauen-Bundesliga und den ersten drei Ligen der Männer. Bild: www.imago-images.de / Mladen Lackovic
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Ist Deutschland nach dem Löw-Rücktritt mutig genug? Cheftrainerin spricht sich für weibliche Nachfolge aus: "Sehe kein Argument gegen eine Bundestrainerin" – DFB äußert sich

19.03.2021, 10:45
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Seit Bundestrainer Joachim Löw vergangene Woche seinen Rücktritt nach der Europameisterschaft im Sommer verkündete, gibt es weiterhin zahlreiche Spekulationen, wer sein potenzieller Nachfolger werden wird. Es fallen Namen wie Rangnick, Klopp, Flick, Matthäus, Nagelsmann und Kuntz. Doch eine Möglichkeit taucht in den Gerüchten gar nicht auf: eine Bundestrainerin.

Auf der Pressekonferenz zu Löws Rücktritt am vergangenen Dienstag wurde Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff gefragt, ob auch eine Frau Löw-Nachfolgerin werden kann. Selbst der 61-jährige Bundestrainer war auf die Meinung von Bierhoff gespannt. "Die Antwort möchte ich auch gerne hören", sagte Joachim Löw grinsend. Bierhoff antwortete ausweichend und sagte lediglich: "Ich würde nie etwas ausschließen. Ihr dürft weiter spekulieren". Dabei grinste auch er herausfordernd.

Eine Option, die bislang kaum jemand auf dem Schirm hat: Eine Frau als Nachfolgerin von Jogi Löw?

Für Imke Wübbenhorst, ehemalige Trainerin des Regionalligisten Sportfreunde Lotte, ist jedoch klar, dass keine Frau Joachim Löw beerben wird, wie sie gegenüber watson sagte: "Es geht bei der Suche um die fachliche Expertise und Sozialkompetenz, aber eben auch darum, dass die Entscheidungsträger, und bei einer Nationalmannschaft vor allen Dingen das Land, hinter der Entscheidung stehen. Es wird also eine Entscheidung geben, die von Sicherheit und nicht von Mut geprägt sein wird."

Imke Wübbenhorst, erste Trainerin einer Oberligamannschaft der Männer, erhält den Preis der Deutschen Akademie für Fußballkultur für den Fußballspruch des Jahres. "Ich bin Profi. Ich stelle nach  ...
Imke Wübbenhorst war die erste Trainerin einer Oberligamannschaft der Männer.Bild: dpa / Daniel Karmann

Auch Journalistin und Sportfunktionärin Gaby Papenburg stimmt ihr da zu: "Wenn es trotz höchster Fußball-Lehrer-Lizenz bis heute nicht mal eine Trainerin geschafft hat, wenigstens einen Drittligisten zu betreuen, wie soll das dann mit der Nationalmannschaft funktionieren", sagte sie zu watson. Papenburg wurde als Sportmoderatorin bekannt, sitzt als erste Frau bereits im Aufsichtsrat von Handball-Rekordmeister THW Kiel und kandidiert aktuell als Präsidentin des Berliner Fußballverbandes. Damit wäre sie die erste Frau, die an der Spitze des Landesverbandes stehen würde.

Bildnummer: 59911036 Datum: 26.06.2013 Copyright: imago/Future Image
Gaby Papenburg bei der Jahresprogrammpraesentation 2013/2014 ProSiebenSat1. im Cruise Center Altona. Hamburg, 26.06.2013 Foto:xgbr ...
Journalistin und Sportfunktionärin Gaby Papenburg.null / imago images

Papenburg sagt, sie kenne nur wenige Frauen, die die UEFA Pro Lizenz besitzen. Diese berechtigt, einen Profi-Verein in den ersten drei Ligen oder eine Nationalmannschaft zu coachen. "Die ehemalige Nationalspielerin Inka Grings gehört dazu und von ihr weiß man, dass sie gern ein Männerteam trainieren würde." Doch aufgrund mangelnder Angebote ist sie mittlerweile beim Frauen-Team des FC Zürich tätig.

Nur eine Trainerin in der Frauen-Bundesliga

Auch Imke Wübbenhorst hat die UEFA Pro Lizenz und trainierte bereits zwei Männerteams, verdeutlicht aber, dass der sportliche Erfolg das Hauptmerkmal sein muss: "Der Fußball hat eine Vorbildfunktion aufgrund seines enormen gesellschaftlichen Stellenwertes, aber es geht in erster Linie um den sportlichen Erfolg und nicht, ein Exempel zu statuieren." Ähnlich sieht das auch ihre Kollegin Nora Häuptle, die den Frauen-Bundesligisten SC Sand trainiert. "Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass der Posten des Bundestrainers mit Qualität besetzt werden sollte, unabhängig vom Geschlecht", erklärte sie gegenüber watson.

Beim DFB hält man sich bei diesem Thema unterdessen bedeckt. Auf Anfrage von watson teilte der Verband lediglich kurz mit. "Wir bitten jedoch um Verständnis, dass wir uns grundsätzlich nicht an Spekulationen beteiligen, was die Nachfolge von Joachim Löw angeht."

19.11.2019, Fussball, EM Qualifikation, 2018 2019, 10. Spieltag, Deutschland - Nordirland, Jubel Bundestrainer Joachim Loew, Joachim L�w Deutschland, Jogi L�w, li., und Toni Kroos Deutschland Moenchen ...
Bundestrainer Joachim Löw (l.) und Mittelfeldstar Toni Kroos werden im Sommer ihr letztes Turnier gemeinsam bestreiten.Bild: www.imago-images.de / TEAM2

Doch wie sportlichen Erfolg nachweisen, wenn Frauen gar nicht erst in die entsprechende Position kommen? Selbst unter den zwölf Teams der Frauen-Bundesliga ist Häuptle die einzige Cheftrainerin.

Ein Männerteam zu trainieren, wäre für die ehemalige Abwehrspielerin kein Problem. "Ich würde mir das absolut zutrauen. Letztlich geht es immer um dieselben Dinge", sagte sie dem SWR. Doch im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen, würde ihre Arbeit dann besonders kritisch beäugt werden.

"Es gibt nach wie vor eine Geringschätzung von Frauen im Fußball, Diskriminierung und sexistische Sprüche."
Sportsoziologin Petra Tzschoppe

Sportsoziologin Petra Tzschoppe von der Universität Leipzig erklärte diesen Umstand gegenüber watson so: "Es ist tatsächlich so, dass an der Stelle noch das traditionelle Rollenverständnis mit der Idee, dass der Trainerberuf ein Männerberuf ist, fest verankert ist. Und wenn Frauen sich in diese Männerdomäne vorwagen, dann werden die natürlich nicht nur beobachtet, sondern auch vehement angezweifelt. Es gibt nach wie vor eine Geringschätzung von Frauen im Fußball, Diskriminierung und sexistische Sprüche".

Bundestrainerin oder doch eher
Werbefigur für Nivea?

Bestes Beispiel dafür ist eine Aussage des Sportjournalisten Waldemar Hartmann aus dem November vergangenen Jahres bei der Deutschen Welle. Angesprochen, ob auch eine Frau als neue Nationaltrainerin denkbar wäre, fragte er: "Als Werbefigur bei Nivea?" Auf erneute Nachfrage des Moderators kam der 73-Jährige zu dem Fazit: "Da ist die Zeit noch nicht reif. Nicht nur Deutschland ist dafür noch nicht bereit, ich auch nicht."

Bundesliga-Trainerin Häuptle kommentierte gegenüber watson diese Aussage mit den Worten: "Herr Hartmann hat wohl verwechselt, dass im 21. Jahrhundert auch Männer Nivea-Werbefiguren sein können und Frauen fähig sind, ein ganzes Land zu führen. Ich sehe kein Argument, welches grundsätzlich gegen eine Bundestrainerin sprechen würde."

Co-Trainerinnen beim VfL Wolfsburg

Immerhin arbeiten in der Frauen-Bundesliga bereits einige Co-Trainerinnen. Beim VfL Wolfsburg beispielsweise unterstützen mit Ariane Hingst und Theresa Mark gleich zwei Frauen Chefcoach Stephan Lerch. Für Imke Wübbenhorst fängt das Problem der wenigen Trainerinnen dabei aber schon bei der unterschiedlichen Bezahlung im aktiven Bereich an, wie sie im Interview mit watson erklärte: "Männer können nur durch Fußball ihr Leben bestreiten. Frauen müssen sich durch Ausbildung und Studium noch ein zweites Standbein aufbauen und haben nach der Karriere ganz andere Perspektiven. Für Männer bleibt oft nur die Option, im Fußball zu bleiben."

"Und dann gehört halt auch mal der Mut eines Bundesligisten dazu, einer Frau diese Rolle zu geben."
DFB-Präsident Fritz Keller

Sportsoziologin Tzschoppe ist da gleicher Meinung. "In Sachen Prämien könnten wir nachziehen und es Ländern wie Norwegen, England oder Brasilien nachmachen. Da werden Frauen und Männern gleich hohe Prämien gezahlt." Ein Beispiel: Hätte die deutsche Frauen-Nationalmannschaft 2017 die Europameisterschaft gewonnen, hätte der DFB pro Spielerin eine Prämie von 37.500 Euro ausgeschüttet. Das Männerteam hätte für den gleichen Erfolg bei der EM 2016 in Frankreich hingegen 300.000 Euro pro Spieler erhalten.

Im Schweizer Fußball, erzählt Nora Häuptle, sei man bestrebt, mehr Frauen auf allen Stufen zu fördern und auszubilden.
"95 Prozent des Fußballs ist Breitensport und Frauen haben oft pädagogisch sehr wertvollen Einfluss auf das respektvolle Miteinander im Team und im Verein." Dass sie eine geringere Wertschätzung als ihre männlichen Kollegen erlebt, merkt sie dabei auch nicht. "Auch auf höchster Stufe erlebe ich im Alltag dieselbe Wertschätzung, die auch meinen männlichen Kollegen entgegengebracht wird."

Meppen, Deutschland 07. Maerz 2021: 1.BL - Frauen - 2020/2021 - SV Meppen vs. VfL Wolfsburg v.li. Trainer Stephan Lerch (VfL Wolfsburg) und Co-Trainerin Ariane Hingst (VfL Wolfsburg)
Wolfsburgs Frauen-Trainer Stephan Lerch und Co-Trainerin Ariane HingstBild: Fotostand / Fotostand / van der Velden

Dass Trainerinnen im Profi-Fußball dennoch so gering vertreten sind, hat laut Soziologin Tzschoppe noch einen anderen Grund. "Das ist sowohl ein kulturelles als auch ein strukturelles Problem. Wenn Vereinsvorstände neue Personen für ihre Teams einsetzen oder wenn es um Führungspositionen geht, dann rekrutiert man lieber unter Gleichen und dann werden es halt wieder Männer."

Das bestätigt auch Ex-Nationalspielerin Katja Kraus. "Der Fußball hat eine bestimmte Ausstrahlung. Es ist ein hermitesches Gebilde. Einflüsse von Außen sind in den letzten Jahren nicht sehr willkommen gewesen und das hat viel mit Machterhalt und Kontrolle zu tun", erklärte die 50-Jährige in einer ZDF-Dokumentation. Sie war von 2003 bis 2013 als erste Frau Vorstandsmitglied bei einem Bundesligisten, dem Hamburger SV.

Zudem seien Trainerinnen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht wirklich präsent. So sind sie laut Tzschoppe als Vorbilder zu wenig sichtbar. "Es gibt ja schon eine Bundestrainerin: Martina Voss-Tecklenburg. Sie wie auch ihre Vorgängerinnen Tina Theune oder Silvia Neid sind faszinierende Persönlichkeiten mit Fachwissen und Führungskompetenz und zudem erfolgreich", sagt Tzschoppe. Doch die Nationalmannschaft der Frauen erfahre in Deutschland längst nicht die mediale Aufmerksamkeit wie die National-Elf der Männer.

"Mehr weibliche Führungskräfte würden dem Fußball guttun"
Bayern Münchens Vorstandsmitglied Oliver Kahn

Im aktuellen Jahrgang zur Fußballlehrerausbildung sind mit Ex-Nationalspielerin Kim Kulig und Sabrina Eckhoff lediglich zwei der 24 Teilnehmer weiblich vertreten. Nur die abgeschlossene Ausbildung berechtigt dazu, ein Team in den ersten drei Männerligen zu coachen. Insgesamt besitzen in Deutschland 866 Männer und nur 31 Frauen die DFB-Fußballlehrer-Lizenz.

Universit�t Leipzig
Sportwissenschaftlerin Dr. Petra Tzschoppe
Petra Tzschoppe von der Universität Leipzig ist Sportsoziologin und Vize-Präsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).Bild: Universitätskommunikation / Simone Schmid

Für Tzschoppe, die auch Vize-Präsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist, könnte sich das in Zukunft jedoch ändern. "Es gibt beispielsweise ein Leadership-Programm, mit dem verstärkt Frauen in Führungspositionen gebracht werden sollen. Und Frauen-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat gerade in einer Diskussionsrunde gesagt, dass es auch ein Programm gibt, um mehr Trainerinnen zu gewinnen. Spielerinnen werden ermutigt, diesen Weg zu gehen."

Selbst Bayern Münchens Vorstandsmitglied Oliver Kahn erklärte in einem Interview mit dem "Kicker": "Mehr weibliche Führungskräfte würden dem Fußball guttun." Und gab zu, dass die Gesellschaft dem Fußball in dieser Hinsicht ein gutes Stück voraus ist.

Doch das Problem zu weniger Trainerinnen ist keines, das nur den DFB betrifft. "Der Fußball ist in Bezug auf Trainerinnen nicht besser oder schlechter als andere Sportarten", erklärt Petra Tzschoppe gegenüber watson. Und das sei nicht nur in Deutschland, sondern international so. Bei den vergangenen vier Olympischen Spielen beispielsweise lag der Frauenanteil bei den nominierten Trainern bei lediglich elf Prozent. Das veranlasste das Olympische Komitee dazu, dieses Problem offensiv anzugehen.

"Inzwischen hat beispielsweise das Internationale Olympische Komitee mit seinem Gender Equality Project genau dieses Defizit in den Blick genommen, um mehr Trainerinnen in den Verbänden zu fördern."

Zum Weltfrauen-Tag betonte DFB-Präsident Fritz Keller gegenüber der Verbandswebseite: "Der Fußball muss weiblicher werden". Und begründete: "Weil grauhaarige Funktionäre vielleicht immer dasselbe denken und manchmal viel zu schnell die Ellenbogen ausfahren."

Die Frage, wann denn ein Bundesligaklub von einer Frau trainiert werde, konnte jedoch auch er nicht beantworten. "Das müssen natürlich die Klubs selbst entscheiden. Dass sie es können, ist sicher. Und dann gehört halt auch mal der Mut eines Bundesligisten dazu, einer Frau diese Rolle zu geben."

Dass der DFB diesen Mut besitzt und mit gutem Beispiel vorangehen könnte, wäre zumindest ein eindeutiges Zeichen. Dass am Ende eine Frau die Nachfolge von Jogi Löw antritt, ist jedoch leider ziemlich unwahrscheinlich.

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