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Bayern: Hoeneß-Biograf – "Bei ihm unterschätzt man die Bedeutung der Wurstfabrik"

Uli Hoeneß verabschiedete sich am Freitagabend als Präsident des FC Bayern.
Uli Hoeneß verabschiedete sich am Freitagabend als Präsident des FC Bayern.bild: imago images
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Hoeneß-Biograf: "Bei ihm unterschätzt man die Bedeutung der Wurstfabrik"

20.11.2019, 09:22
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Fast ein halbes Jahrhundert arbeitet Uli Hoeneß schon für den FC Bayern München. Hoeneß entwickelte nach seiner aktiven Laufbahn aus einem verschuldeten Verein mit zwölf Millionen D-Mark Umsatz einen Weltklub, der im vergangenen Jahr über 750 Millionen Euro umsetzte. Nun endet seine Ära.

Am Freitagabend trat der Präsident ab und übergab den Klub an eine neue Führung. Sein Amt übernimmt der langjährige Adidas-Vorstandsvorsitzende Herbert Hainer. Daneben sollen auch die Ex-Profis Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic in die Fußstapfen des langjährigen Managers Hoeneß treten. Der 67-Jährige will es in Zukunft ruhiger angehen lassen und bleibt lediglich als einfaches Mitglied im Aufsichtsrat.

"Seine Aura ist speziell", sagt Juan Moreno. Der Autor verfolgt das Schaffen des langjährigen Bayern-Chefs schon lange. "Wenn Uli Hoeneß durch die Bayern-Arena läuft, spaltet sich das Wasser." Moreno schrieb vor fünf Jahren eine Biografie über den scheidenden Bayern-Boss und drehte zum Abgang des Präsidenten einen Film. Hoeneß kommt darin erstmals seit seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in einem ausführlichen Interview zu Wort.

Im Interview mit watson spricht Moreno über ein Treffen mit Hoeneß in dessen Villa, eine einleuchtende Anekdote über den ehemaligen Star-Stürmer Luca Toni und den Grund, warum Hoeneß sich wohl nie ganz zurückziehen wird.

Vor einigen Tagen lief in der ARD ein Film von Ihnen über Uli Hoeneß. Sie waren der erste Journalist, der ihn seit fünf Jahren für ein großes Interview bekommen hat. Wie hat das geklappt?

Juan Moreno: Ich habe ihm einen Brief geschrieben.

Einen Brief?

Ja. Uli Hoeneß erreicht man als Journalist am besten mit einem Brief. Er liest keine Mails. Ich weiß nicht mal, ob er welche empfängt.

Und dann?

Ein Mitarbeiter rief mich an und erklärte, dass Hoeneß mich vor dem Interview kennenlernen will und wissen möchte, was ich vorhabe. Es war kein schmeichelnder Brief, eher eine klare Ansage, was geplant ist. Eine Dokumentation, die sein Lebenswerk würdigt, seine Siege, seine Niederlagen. Ich habe ebenfalls geschrieben, dass es natürlich auch um die Steuersache gehen werde. Alles eher nüchtern.

Juan Moreno schrieb die Biografie "Uli Hoeneß: Alles auf Rot".
Juan Moreno schrieb die Biografie "Uli Hoeneß: Alles auf Rot".Bild: imago images / ActionPictures

Mehr Überzeugungsarbeit brauchte es nicht?

Ich glaube, er stammt aus einer Zeit, in der eine große Dokumentation im Ersten um 20.15 Uhr wirklich viel bedeutet. Einen jungen Profi hätte das womöglich nicht so beeindruckt. Für ihn war das ein großes Ding nach fünf Jahren. Er erklärte mir, dass er mit seiner Frau darüber debattiert habe, ob er es machen soll. Ich glaube, sie war eher dagegen.

War ihm etwas besonders wichtig?

Ja, dass wir ein realistisches und faires Bild von ihm zeigen. Sonst gab es keine Bedingungen. Und dann hat er mich zu sich nach Hause eingeladen.

Zu sich nach Hause? Wie wohnt ein Uli Hoeneß?

In einem schönen Haus mit einem tollen Blick über den Tegernsee. Aber es ist nicht das Haus, von dem du erwartest, dass da ein Mann wohnt, der mal eben mehr als 30 Millionen Steuern nachzahlt. Es gibt Zahnärzte, die genau so ein Haus haben. Ich saß in seinem sehr bayerischen und rustikalen Wohnzimmer. Es war nicht pompös, sondern hatte eine Einrichtung, wie du sie überall in Bayern finden kannst.

"Er ist jemand, der Menschen schnell für sich einnehmen kann, ein Menschenfänger"

Wie haben Sie ihn erlebt?

Mir wurde immer wieder erzählt, dass er gern das Eis mit Gesprächspartnern bricht, in dem er Anekdoten erzählt. Er sagt Sachen wie 'Wollen Sie wissen, wie wir Ribéry bekommen haben'. Das findet jeder interessant, das weiß er. Er ist jemand, der Menschen schnell für sich einnehmen kann, ein Menschenfänger. Bei mir hat er das nicht gemacht.

Sondern?

Er wusste vermutlich durch meine Biografie über ihn, dass er keinen Fan im Haus hat – eher im Gegenteil. Ich machte ihm klar, dass hier ein Journalist, der nicht auf weiteren Zugang zum FC Bayern angewiesen ist, Uli Hoeneß' Geschichte erzählen will. Er sagte zu mir nur, dass er keine Bedingungen stelle, nur auf eine faire Behandlung hoffe. Ansonsten war er durchaus gesprächig, er ist ein interessierter Mensch.

Was wollte er wissen?

Er hat mich in einem Gasthaus zum Gans-Essen eingeladen und sich sehr für meine Geschichte mit Claas Relotius interessiert. Er war im Stoff. Er ist sehr an Politik interessiert, weswegen ich glaube, dass wir ihn in diesem Zusammenhang womöglich in Zukunft wieder öfter sehen werden.

Sie sprachen über Politik?

Nur am Rande. Ich glaube, er ist kein Freund der AfD.

Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an einem Uli Hoeneß?

Seine Aura ist speziell. Wenn Uli Hoeneß durch die Bayern-Arena läuft, spaltet sich das Wasser. Dann drehen sich die Leute um und tuscheln. Das ist schon beeindruckend. Kahn sagt im Film sinngemäß: 'Wenn er reinkommt, dann ist der Raum besetzt.' Das hörte ich öfter, und es ist wirklich so. Das kann man kaum beschreiben. Dabei geht es auch nicht um seinen Promi-Status, das ist seine Aura, so etwas kann man sich nicht aneignen. Das hat man oder nicht. Die Welt steht kurz still. Ansonsten fällt mir die Wurstfabrik ein.

Bayern-Präsidenten unter sich: Hoeneß (r.) und sein Nachfolger Herbert Hainer.
Bayern-Präsidenten unter sich: Hoeneß (r.) und sein Nachfolger Herbert Hainer.Bild: imago images / Sven Simon

Die Wurstfabrik?

Bei Hoeneß unterschätzt man komplett die Bedeutung seiner Wurstfabrik. Der hat früher bis zu 30 Mal am Tag dort angerufen und sich die stundenaktuellen Verkaufszahlen durchgeben lassen. Als Präsident des FC Bayern München mit Hunderten Millionen Euro Umsatz siehst du ihn trotzdem regelmäßig auf irgendwelchen Bildern mit dem Kopf bei Aldi in der Wursttheke. Das sagt viel über ihn aus.

Inwiefern?

Voller Stolz zeigte er mir die Loge der von ihm gegründeten Wurstfirma in Nürnberg. Er ist ganz im Innern noch immer der Metzgersohn. Er hat dem Team sofort erklärt, dass in der Bayern-Arena nicht seine Würstchen verkauft werden und die auch nicht so gut wie seine sind. Das ist dieser spannende Widerspruch bei Hoeneß: Er ist ein Typ, der mit dem Privatjet fliegt, aber mit dem Kopf in der Wursttheke bei Aldi steckt. Topmanager eines Konzerns und Metzger, der die verkauften Nürnberger zählt.

Es ist in Ihrer Biografie und auch im Film immer wieder die Rede von Hoeneß, dem Wohltäter, und Hoeneß, dem Besessenen.

Er hat vielen Menschen geholfen. Direkt vor Champions-League-Finalen seiner Bayern klebte er am Telefon, um Freunden von Freunden, die er kaum kannte, einen Krebsexperten zu organisieren. Langjährige, loyale Mitarbeiter, beschäftigte er weiter, obwohl sie den Anforderungen des Multimillionen-Konzerns FC Bayern nicht gewachsen waren. Andererseits ist er der Typ, der dich fertig machen kann, wenn er dich als Feind sieht.

Ein klassischer Patriarch…

… mit allen Vor- und allen Nachteilen. Wenn man gemein sein will, kann man sagen: Er ist ein Pate. Wer loyal ist, der gehört dazu. Wenn man seine Rolle akzeptiert, dann ist er auch loyal und tut alles, um dich zu schützen. Wenn man anzweifelt, dass er der Chef ist, hat man ein Problem. Natürlich ist er viele Jahre verbissen ehrgeizig gewesen, manche würden sagen, er ist ein Narzisst.

Ist das so klar?

Zu glauben, dass jemand, sich über Jahrzehnte an der Spitze des deutschen Fußballs hält, ohne grenzenlosen Ehrgeiz und mit gewissen narzisstischeren Zügen, halte ich für naiv. Das wäre so, als würde man dem Tennisspieler Djokovic vorwerfen, dass er besessen ist. Natürlich ist er besessen, sonst wäre er nicht dort, wo er ist. Hoeneß versteht man am besten im Widerspruch, bester Freund, schlimmster Feind, Wurstverkäufer, Spitzenmanager. Er ist jemand, den immer unendliche Ambitionen, große Ziele und enormer Wille angetrieben haben.

"Uli Hoeneß braucht kein Amt, um Uli Hoeneß zu sein. Er ist meines Erachtens der Typ, der sich nicht zurückhalten kann"

Wird es für so einen Menschen nicht schwer, sich nun zurückzuziehen?

Derzeit hat man ja eher den gegenteiligen Eindruck: In dem Moment, in dem er sagt, dass er nicht mehr da ist, ist er so präsent wie lange nicht mehr. Er ist gerade überall und gibt viele Statements ab. Uli Hoeneß braucht kein Amt, um Uli Hoeneß zu sein. Uli Hoeneß ist meines Erachtens der Typ, der sich nicht zurückhalten kann. Er ruft dann halt im 'Doppelpass' an, um Hasan Salihamidzic in Schutz zu nehmen.

Das heißt, Sie glauben nicht, dass er sich zur Ruhe setzt.

Dass er sich freut, "am Samstag die 'Lebensmittelzeitung' auf der Terrasse zu lesen", nehme ich ihm nicht ab. Ich kann mich täuschen, aber so ein Mensch war er nie. Rentner, die so eine Karriere hinter sich haben, ziehen sich in den seltensten Fällen zurück. Hoeneß hätte sich schon siebenmal zurückziehen können, aber er hat es nie gemacht.

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Hoeneß und seine Ehefrau Susanne beim Abschied auf der Jahreshauptversammlung am Freitagabend.Bild: imago images / kolbert-press

Es liegt einfach in seiner Natur, da zu sein?

Typen wie Hoeneß, gerade Hoeneß in seiner Managerzeit, gehen jeden Morgen raus, um zum Wettkampf zu gehen. Sie fühlen sich umzingelt von Gegnern. Motiviert bis in die Haarspitzen. Es gibt einen großen Kuchen namens Bundesliga – und was man selbst bekommt, kriegen die anderen nicht. Das ganze System ist auf gnadenlosem Wettbewerb ausgelegt. Ob der altersmilde Hoeneß das, was ihn lange geprägt hat, nämlich der Wunsch, immer das Sagen zu haben, einfach abstellen kann – schwer zu sagen. Ich stelle mir das schwierig vor.

Wenn Sie Uli Hoeneß noch eine Frage stellen könnten, die er ganz ehrlich beantworten müsste: Welche wäre das?

Ich würde gerne wissen, wie er es geschafft haben will, von jetzt auf gleich dieses Zocken zu beenden. Jeder kannte das von Hoeneß: Er hat halbstündige Radiointerviews gegeben und in den Musikunterbrechungen hat er sich nicht mit dem Moderator unterhalten, sondern Devisen gekauft und verkauft. Das hat ein gewisses Suchtpotenzial. Ich würde gerne wissen, ob er sowas wie einen kalten Entzug hatte. Er wird mir sagen, dass es vorbei ist. Das glaube ich, aber ich würde gerne wissen, wie er es gemacht hat. Eine andere Frage wurde schon tausendmal gestellt.

"Egal, wie gut der Klub aufgestellt ist, ich glaube, der FC Bayern unterschätzt den Abgang von Hoeneß noch"

Welche?

Ob er wirklich glaubt, dass die besondere Art des FC Bayern bestehen bleibt, wenn er weg ist. Der FC Bayern ist ein Unternehmen mit mehr als Tausend Mitarbeitern, aber es gibt noch etwas Familiäres. Ich glaube aber, dass diese Besonderheit des FC Bayern nach Uli Hoeneß verblassen wird. Ähnlich wie bei Manchester United…

… mit Alex Ferguson …

Durch den Abgang von Sir Alex zeigte sich, was passieren kann, wenn ein wirklich Großer geht. Bis heute leidet United darunter. Egal, wie gut der Klub aufgestellt ist, ich glaube, der FC Bayern unterschätzt den Abgang von Hoeneß noch. Da fällt mir eine Anekdote zu ein.

Nämlich?

Uli Hoeneß erzählte mir von einem Problem im modernen Fußball: Mittlerweile seien alle Daten verfügbar und es gebe zig Analysen. Mit geballter Analytik könnte die Wahrscheinlichkeit von Fehlern minimiert werden. Hoeneß sagte dann zu mir: 'Im FIFA-Manager am Computer kann es richtig sein, dass Sie Luca Toni in der 60. Minute auswechseln, weil alle Daten sagen, dass das vernünftig ist. Wenn Sie aber Luca Toni im echten Leben in der 60. auswechseln, kommt der am Montag und Dienstag nicht zum Training.' Was Hoeneß damit sagen wollte: Dieser Glaube, dass man dieses Spiel nur noch mit Wissenschaft entschlüsseln kann, hält er für schwierig.

"Für mich müsste das Bayern-Gen eigentlich Hoeneß-Gen heißen"

Es gibt einen Bereich, den Daten nicht erfassen können.

Um diese Wichtigkeit des Menschlichen wissen die Klubs natürlich, aber dieses ganz Besondere durch die Überfigur Uli Hoeneß könnte verloren gehen. Für mich müsste das Bayern-Gen eigentlich Hoeneß-Gen heißen. Eine Kultur in einem Unternehmen definiert sich immer über die Spitze. Die Spitze muss all das sein, was die Organisation werden soll.

Können die Nachfolger Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic und der neue Präsident Herbert Hainer die Lücke schließen?

Ich bin gespannt, ob die Kombination aus diesen Köpfen den Abgang von Hoeneß auffangen kann. Herbert Hainer, der als langjähriger Manager von Adidas große Erfolge erzielt und Nike vor sich hergetrieben hat, ist ein brillanter Stratege und wird von CEOs auf der ganzen Welt bewundert. Er wird Präsident. Oliver Kahn soll in gut zwei Jahren Vorstandsvorsitzender der Bayern werden. Kahn ist ehemaliger Profi, klug und sehr ehrgeizig, hat aber bisher als Manager – bei allem Respekt – eigentlich nur den Verkauf einiger Torwarthandschuhe vorzuweisen.

Wirtschaftliche Brillanz und Ehrgeiz: Der komplexe Typ Hoeneß wird also auf verschiedene Schultern verteilt?

Es bleibt die Frage, ob es da Reibungen gibt und das alles so hinhaut.

Haben Sie von Hoeneß nach Ihrem Film noch mal etwas gehört?

Ja, er hat bei mir angerufen und sich bedankt, dass wir ihn fair dargestellt haben. Seine Frau Susi mochte laut Hoeneß den Film wohl auch. Sie sei die schärfste Kritikerin von allen.

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