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Sportpsychologen über Geisterspiele: "Für manche Spieler kann das ein Vorteil sein"

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Die Mercedes-Benz Arena: Das Zweitligatopspiel des VfB Stuttgart gegen Spitzenreiter Arminia Bielefeld fand hier am Montag noch vor Zuschauern statt...Bild: imago images/Uwe Koch/ Eibner-Pressefoto
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Geisterspiele in Bundesliga und Europa: "Für manche Spieler kann das ein Vorteil sein"

13.03.2020, 08:38
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In der fast 57-jährigen Geschichte der Bundesliga sind Geisterspiele ein Novum. Wegen der rasanten Ausbreitung des Coronavirus wird es in der ersten Liga nun die ersten Spiele ohne Zuschauer geben.

Das Derby zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln wird am Mittwoch (18.30 Uhr/Sky) als erstes Geisterspiel in die Geschichte der Bundesliga eingehen. Auch das Revierderby am Samstag (15.30 Uhr/Sky) Borussia Dortmund gegen Schalke 04 findet im Signal Iduna Park ohne Publikum statt.

Alle Geisterspiele der 1. Bundesliga in der Übersicht
-Borussia Mönchengladbach - 1. FC Köln (11. März)
-Fortuna Düsseldorf - SC Paderborn (13. März)
-Borussia Dortmund - FC Schalke (14. März)
-RB Leipzig - SC Freiburg (14. März)
-1. FC Köln - 1. FSV Mainz 05 (14. März)
-TSG Hoffenheim - Hertha BSC (14. März)
-1. FC Union Berlin - FC Bayern München (14. März)
-FC Augsburg - VfL Wolfsburg (15. März)
-Eintracht Frankfurt - Borussia Mönchengladbach (15. März)
-Werder Bremen - Bayer Leverkusen (16. März)
-SC Freiburg - Werder Bremen (21. März)
-SC Paderborn - TSG Hoffenheim (21. März)

Der BVB muss sich auch schon am Mittwoch beim Auswärtsspiel gegen Paris Saint-Germain im Achtelfinale der Champions League auf leere Tribünen einstellen.

Der Fußball lebt eigentlich von seinen Emotionen, die zum großen Teil durch die Gesänge und die Stimmung der Fans im Stadion entfacht werden. Sie heizen an und provozieren. Doch vor leeren Rängen zu spielen, bedeutet, dass es im Stadion leise sein wird.

Alle Geisterspiele der 2. und 3. Liga in der Übersicht
-SpVgg Greuther Fürth - Hamburger SV (13. März)
-Arminia Bielefeld - VfL Osnabrück (13. März)
-Jahn Regensburg - Holstein Kiel (14. März)
-VfL Bochum - 1. FC Heidenheim (14. März)
-Hannover 96 - Dynamo Dresden (15. März)
-1. FC Nürnberg - Erzgebirge Aue (22. März)
-SpVgg Greuther Fürth - VfL Osnabrück (5. April)

-Carl Zeiss Jena - Chemnitzer FC (15. März)

Wie bereitet man eine Mannschaft psychologisch auf so eine Geisterkulisse vor? Wie fühlt sich ein Spiel ohne Publikum für die Profis an, wenn der 12. Mann fehlt? Können sie ohne Fans, ohne emotionalen Einfluss überhaupt ans Maximum ihrer Leistung gehen?

Diese und weitere Fragen haben wir den Sportpsychologen Kathrin Seufert, Andreas Meyer und René Paasch gestellt.

watson: Wie bereitet man ein Team psychologisch auf so ein Geisterspiel vor?

Kathrin Seufert: "Grundsätzlich ist es dadurch, dass es so kurzfristig ist, ein schwieriges Los, das die Vereine da gezogen haben. Auch psychologisches Training braucht seine Zeit, damit es wirkt. Das ist nichts anderes als beim Krafttraining.

Der 1. FC Köln hat, wie ich gelesen habe, im leeren Stadion trainieren lassen, um die Spieler darauf vorzubereiten. Aber final kann man die Spieler, glaube ich, nicht vorbereiten. Es ist eben eine Abweichung ihrer normalen Arbeit. Bestenfalls versucht man, Positives aufzuzeigen: Die Spieler verstehen die Kommandos untereinander besser, wenn die Geräuschkulisse geringer ist.

Grundsätzlich würde ich die Mannschaft fragen, was sie vor so einem Geisterspiel beschäftigt. Vielleicht könnte man sogar vorm Anpfiff in der Kabine Fangesänge abspielen, um die Mannschaft mit Stadionatmosphäre zu pushen."

Kathrin Seufert.
Kathrin Seufert.bild: privat
Über Kathrin Seufert
Kathrin Seufert hat Psychologie in Köln und Sportpsychologie an der MLU in Halle (Saale) studiert. Sie ist ehemalige Leistungssportlerin im Schwimmen. Seufert hat als Sportpsychologin unter anderem in den Nachwuchsleistungszentren der SG Dynamo Dresden und dem FC Erzgebirge Aue gearbeitet. Sie ist Dozentin an der DIU (Dresden International University) für das Modul Sportpsychologie.

René Paasch: "Grundsätzlich ist wichtig, eine Plattform zu bieten und alle im Team zu Wort kommen zu lassen, was sie darüber denken, wie sie die Situation sehen, – aber natürlich auch, welchen Stellenwert es für jeden einzelnen hat: Jeder Fußballer sieht die Zuschauer anders. Man sollte das Thema vorm Spiel aber auch nicht zu groß aufhängen, weil es dann zu sehr in den Köpfen ist."

Andreas Meyer: "Der Sportler befindet sich in einer recht ungewohnten Situation, eine Wettkampfleistung erbringen zu müssen, ohne dass es sich nach einem Wettkampf anfühlt. Ein Vorweggreifen der Situation halte ich für sinnvoll, um eine Strategie zu entwickeln, die den Sportler dabei unterstützt, trotzdem in einen freudigen, emotional angeregten Zustand zu kommen. Denn Wettkampf bedeutet häufig auch Spannung, eine körperliche und emotionale Erregung.

Einiges dieser Spannung wird sicherlich durch das Publikum erzeugt und muss in diesem Falle selbst aufgebaut werden. Um vorbereitet in ein Geisterspiel zu gehen, können die Sportler beispielsweise versuchen, diese Situation in der Vorstellung vorwegzunehmen und somit nicht unmittelbar vor dem Spiel mit dieser ungewohnten Situation konfrontiert zu werden."

Wie fühlt sich das für die Spieler an, vor leeren Rängen zu spielen – und können sie ihr Leistungsmaximum ohne Fans abrufen?

Kathrin Seufert: "Das ist schwierig vorherzusagen. Das größte Problem ist die Abweichung von den üblichen Rahmenbedingungen. Die Fans sind sicherlich ein großer Faktor. Ich bin selbst Fan und gehe regelmäßig ins Stadion, aber ich würde ihnen jetzt keine übermäßigen Wert zukommen lassen wollen. Klar, die Zuschauer erzeugen eine extrinsische Motivation.

Ich sehe die größere Gefahr darin, dass so ein Geisterspiel Testspielatmosphäre bekommen könnte und dadurch die zwingende Notwendigkeit verloren geht, das Spiel zu gewinnen und die Spannung zu halten. Es geht hier aber um ultra-individuelle Prozesse und die Reaktionen können in einer sehr großen Bandbreite liegen, was den Umgang mit der Situation angeht."

Geisterspiel in der Serie A: Juventus gegen Inter Mailand fand vor leeren Rängen statt.
Geisterspiel in der Serie A: Juventus gegen Inter Mailand fand vor leeren Rängen statt.Bild: imago/Marco Alpozzi/LaPresse

René Paasch: "Wir wissen, dass Sportler – das ist überhaupt nicht negativ gemeint – narzisstische Züge haben. Sie sind extrem von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugt. Das wird durch Zuschauer nochmal verstärkt. Der eine braucht das ganz besonders, die Situation des Lärms, des Anfeuerns.

Dann gibt es aber auch Sportler, die sagen, dass sie die Fans im Stadion gar nicht so sehr wahrnehmen, weil sie sich so sehr auf ihr Spiel zu konzentrieren. Ab dem Moment, in dem ein Profi auf dem Platz steht, und es um Punkte, Ergebnisse, Geld geht, können viele Profis das sicher auch ausblenden, dass keine Fans da sind. Die können dann auch ohne Zuschauer großartigen Fußball spielen."

Andreas Meyer: "Das wird sehr unterschiedlich sein. Ist ein Sportler beispielsweise sehr misserfolgsängstlich, so kann es für ihn sogar ein Vorteil sein, nicht vor Publikum zu spielen und dem Druck der Zuschauer ausgeliefert zu sein. Sehr viele Sportler werden allerdings von dem 'Feuer' der Fans angesteckt und zehren davon.

Rational betrachtet haben die Fans keinen direkten Einfluss auf die Leistungserbringung der Sportler. Ich sehe die größte Herausforderung im Bereich der Aktivierung. Wir sprechen da auch von Spannung oder Erregung. Es gibt für Sportarten optimale Erregungszustände, die natürlich individuell auch nochmal deutlich voneinander abweichen könnten.

Um es deutlich zu machen: Ein Dartspieler benötigt grundlegend ein sehr niedriges Erregungsniveau, ein Karatekämpfer hingegen ein deutliches höheres. Im Fußball wird ein mittelmäßig bis hohes Erregungsniveau leistungsfördernd sein."

Dr. René Paasch.
Dr. René Paasch.bild: privat
Über René Paasch
René Paasch hat als Sportpsychologe langjährige Erfahrung im Leistungsfußball. Er war beim VfL Bochum (Jugend und Profis) und der SG Essen in der Frauen-Bundesliga tätig, außerdem im Profi-Boxen und -Golf. Er ist unter anderem als psychologischer Berater und Betreuer im Breiten- und Spitzensport tätig.

Werden heimstarke Teams bei Geisterspielen ihrer Heimstärke beraubt?

Kathrin Seufert: "Damit tue ich mich schwer. Für die Heimmannschaft bleibt es das eigene Stadion, die eigene Kabine, es bleiben die eigenen Abläufe. Die Spieler kennen dort alles, sie haben keine Anreise, können in ihrem eigenen Bett schlafen."

René Paasch: "Ich glaube, alles hängt vom Beginn eines Geisterspiels ab. Nehmen wir als Beispiel den FC Bayern München. Wenn das Team nicht erfolgreich in so ein Heimspiel ohne Zuschauer starten sollte, dann kann sich das möglicherweise im Laufe der Partie verfestigen. Aber wenn ich mir die Profis von Bayern so ansehe: Das sind hungrige Profis, die sind leistungsfähig, die werden alles für ihr Ziel Meisterschaft tun, das wird von jedem auf dem Platz gelebt."

Andreas Meyer: "Das halte ich für schwierig zu beurteilen. Generell geht es hier viel um Glaubenssätze der Spieler. Wenn sie davon ausgehen, dass dies ein Nachteil für sie ist, wird das bestimmt Einfluss auf ihre Leistung nehmen können."

Andreas Meyer.
Andreas Meyer.bild: privat
Über Andreas Meyer
Andreas Meyer ist Diplom Sportwissenschaftler und sportpsychologischer Experte. Als Schwerpunkt hat er sich den Zusammenhang von Versagensängsten und dem Selbstvertrauen von Sportlern ausgewählt.

Sind Geisterspiele umgekehrt auch ein Vorteil für heimschwache oder auswärtsschwache Teams? Fällt da vielleicht eine Last ab?

Kathrin Seufert: "Ich sehe da eher den Vorteil bei der Auswärtsmannschaft, weil sie sozusagen nicht das gegnerische Territorium, eine fremde Festung betritt."

René Paasch: "Wir reden in diesem Zusammenhang von Doppeldruck. Es gibt den Druck, der beim Spieler und im Team entsteht sowie den medialen Druck und den der Fans, der von außen kommt. Das bewertet jeder Spieler unterschiedlich.

Gut möglich, dass ein Spieler vor leeren Rängen plötzlich frei aufspielt. Meinetwegen beim Elfmeter: Im Training trifft der Spieler problemlos – in der realen Situation, in der 89. Minute, wenn es um alles geht, sagt der Spieler plötzlich, dass es eine andere Situation ist. Vieles findet auf der Kopfebene statt. Es gibt ein Forschungsergebnis von der Uni Münster, dass es nachweislich keinen Effekt gibt, was den Einfluss der Fans auf die Leistungsfähigkeit einer Mannschaft angeht."

Andreas Meyer: "Natürlich sind auch positive Effekte möglich. Durch fehlende Zuschauer sinkt ein unmittelbarer Druckfaktor vor Ort. Einige Sportler reagieren bis zu einem gewissen Maß positiv auf Druck, die Leistung anderer wiederum bricht unter Druck schneller zusammen. Man kann das also nicht pauschalisieren."

Geisterspiele im deutschen Fußball...
... sind an sich nichts Neues. Aufgrund von Fanausschreitungen, Pyrotechnik oder antisemitischen Sprechchören fanden zwischen 2004 und 2017 in der 2. und 3. Liga bereits fünf Spiele ohne Zuschauer statt. Auch im Europapokal gab es in den vergangenen Jahren bereits aus ähnlichen Gründen vier weitere Partien mit deutscher Beteiligung vor leeren Rängen.

(as)

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