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Salomon Kalou: "Der Klub gibt kein gutes Bild ab", sagt ein Hertha-BSC-Experte

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Salomon Kalou im April beim Hertha-Training. Seit Montag ist der Ivorer suspendiert. Ein Facebook-Live-Video aus dem Kabinentrakt wurde ihm zum Verhängnis.Bild: imago images/Metodi Popow
Interview

Fan kritisiert Hertha BSC: "Kalou wird den Wölfen zum Fraß vorgeworfen"

06.05.2020, 17:4907.05.2020, 14:57
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Die Aufregung war groß am Montag. Bundesliga-Profi Salomon Kalou hatte unter anderem gefilmt, wie er in der Kabine seines Klubs Hertha BSC mehrere Mitspieler abklatscht und die Abstandsregeln nicht einhielt. Der 34-jährige Ivorer führte damit das DFL-Hygienekonzept, das eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs ermöglichen soll, innerhalb weniger Minuten ad absurdum. Und, als wäre das noch nicht genug, streamte er das Video auch noch live bei Facebook. Hertha suspendierte Kalou noch am selben Tag.

Besonders clever war das nicht, findet auch Marc Schwitzky. Der 24-Jährige ist Hertha-Fan, seit er denken kann. Er verfolgte den Livestream von Kalou am Montag von Beginn an: "Ich habe eingeschaltet. Die ersten 15 Minuten waren ziemlich langweilig, da sitzt er ja bloß im Auto auf dem Weg zum Training, aber was man als Zuschauer dann miterleben durfte, war schon krass."

Salomon Kalou: Video bei Facebook war nicht der erste PR-Gau für Hertha BSC in diesem Jahr

Marc schreibt und spricht viel und gerne über seinen Lieblingsklub: 2014 hat er den Blog "Hertha Base" gegründet, ein Jahr später folgte der gleichnamige Podcast, dem mittlerweile Tausende Herthaner lauschen. Er kennt sich aus mit dem Hauptstadtklub.

Mit watson hat Marc darüber gesprochen, wie das Video von Kalou auf ihn und andere Fans wirkte, nachdem es ja bereits im Februar schon einen ähnlichen PR-Gau bei Hertha BSC gab, als Jürgen Klinsmann den Klub in einem Facebook-Live-Video wissen ließ, dass er sein Amt als Trainer niederlegen wird.

Marc kann nicht verstehen, dass ein so erfahrener und respektierter Profi wie Kalou derart leichtfertig gehandelt hat, und er ist auch ein bisschen traurig, dass die Hertha-Zeit von Kalou, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, nun so unrühmlich zu Ende geht. Doch er nimmt Kalou in einem Punkt auch in Schutz...

Sein Herz schlägt für Hertha: Marc Schwitzky ist nicht nur Fan, er bloggt und podcastet auch über seinen Lieblingsklub.
Sein Herz schlägt für Hertha: Marc Schwitzky ist nicht nur Fan, er bloggt und podcastet auch über seinen Lieblingsklub.bild: privat/zvg

watson: Hi Marc, was hast Du gedacht, als du das Facebook-Live-Video von Salomon Kalou am Montagnachmittag gesehen hast?

Marc Schwitzky: Die Bilder waren schon krass. Aus mehreren Gründen. Zum einen, dass vonseiten der gezeigten Spieler und Mitarbeiter keinerlei Hygienevorschriften eingehalten werden. Zum anderen diese Selbstverständlichkeit dahinter. Es wirkte, als nähme wirklich niemand die Lage ernst. Kalou läuft über den Gang, schreit laut "Coronavirus!" und lacht dann. Das hat irgendwie ein Geschmäckle und wirkt arrogant.

Hinzu kommt die Sache mit den Gehaltsschecks, über die Kalou vor laufender Kamera mit Vedad Ibisevic geredet hat. Es schien, als hätten sich die beiden über Kürzungen ihrer Bezüge beschwert, was vielen sauer aufstieß.

Ja, aber da muss ich die beiden in Schutz nehmen. Den Spielern wird jetzt in vielen Erzählungen in den Mund gelegt, dass sie grundsätzlich nicht verstehen würden, dass sie auf Gehalt verzichten müssen. Aber das haben sie nicht so gesagt. Hertha hat ja bereits klargestellt, dass es einen Fehler bei der Abrechnung gab: Den Spielern wurden versehentlich verschiedene Prozentsätze vom Gehalt abgezogen, obwohl vorher ein bestimmter Prozentsatz für alle festgelegt wurde. Wir alle wären doch verwundert, wenn unser Arbeitgeber einen festen Kürzungssatz festgelegt hat, wir aber dann feststellen müssten, dass einem anderen Kollegen weniger Gehalt abgezogen wurde. Man kann gerne darüber reden, ob die Prozentsätze für die Gehaltskürzungen der reichen Fußballprofis höher ausfallen könnten. Aber dass jetzt von geldgeilen und unsolidarischen Hertha-Spielern geredet wird, das stimmt einfach nicht.

"Hertha stellt Kalou jetzt als einzigen Übeltäter dar und wirft ihn den Wölfen zum Fraß vor."

Findest du es denn richtig, dass Kalou suspendiert worden ist? Oder ist es auch ein bisschen inkonsequent, dass nur er öffentlich gerügt wird, weil die anderen ja nicht gezwungen waren, die Handshakes zu erwidern?

Ich glaube, an der Suspendierung führte kein Weg vorbei. Da musste ein Exempel statuiert werden, damit so etwas nicht nochmal passiert. Anders ging es nicht. Hertha hatte den öffentlichen Druck und auch den Druck von der DFL. Aber Kalou wurde nicht nur beurlaubt, weil er die Hygienevorschriften nicht beachtet hat, sondern auch, weil er es ohne Erlaubnis und ohne dass die anderen Spieler es wussten, live gestreamt hat. Er hat auch weitergefilmt, nachdem ihn ein Mitarbeiter darum bat, aufzuhören und das Video zu löschen. Andererseits fand ich es etwas dünn, dass Hertha Kalou in der Stellungnahme als einzigen Übeltäter darstellt. Man konnte es ja im Video sehen: In der Kabine haben auch andere Spieler und Mitarbeiter die Regeln missachtet. Der Physiotherapeut, der den Abstrich von Jordan Torunarigha genommen hat, trug etwa keine entsprechende Schutzkleidung. Da wird Kalou den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Dabei sind ja auch Mitarbeiter aus dem Staff ganz offensichtlich sehr lax mit den Regeln umgegangen, das fand ich schon bemerkenswert.

"Ich glaube, dass Kalou den Kern des Problems nicht verstanden hat."

Konntest du auch schon mit anderen Hertha-Fans darüber diskutieren? Wie ist die Stimmung, wie nimmt die Anhängerschaft das Ganze wahr?

Als Fan versucht man natürlich immer wohlwollend zu sein. Aber in der Hinsicht gibt es einfach so viele Kritikpunkte, sowohl am Spieler als auch am Verein selbst. Die Spieler sind offenbar nicht genug geschult gewesen, das ist ja dann auch ein Stück weit eine Verfehlung des Klubs. Kalou hat sich entschuldigt und versucht, Einsicht zu zeigen. Aber ich glaube, dass er den Kern des Problems nicht ganz verstanden hat, nämlich das Nicht-Einhalten der Hygienevorschriften. Ich kaufe ihm seine Entschuldigung ab, dass er es bereut, dieses Video live im Internet gestreamt zu haben. Aber es war halt komplett dämlich.

Salomon Kalou ist sozial engagiert, ein erfahrener Profi, 34 Jahre alt, die große Frage lautet bei vielen: Warum hat er so leichtsinnig gehandelt und dieses Video live gestreamt? Kannst du dir das erklären?

Eigentlich nicht. Er hat ja auch seit Jahren eine Stiftung, investiert in seinem Heimatland Elfenbeinküste viel in medizinische Versorgung, um der Corona-Krise Herr zu werden. Er scheint das Virus eigentlich ernst zu nehmen. Nur in der kleinen Blase innerhalb seiner Mannschaft hat er das Risiko wohl nicht so hoch eingeschätzt. In seiner Erklärung heißt es ja, dass der letzte Corona-Test bei allen Spielern und Verantwortlichen bei Hertha negativ ausgefallen sei. Sein Punkt ist: Warum sollten wir uns dann nicht die Hand geben dürfen, wenn wir bald auch wieder Zweikämpfe führen müssen? Er hat den Sinn dahinter nicht gesehen. Das kann ich grundsätzlich sogar verstehen.

"Das ist ein extrem unrühmliches Ende für Kalou. Einfach bitter."

Nach fünf Jahren im Verein läuft im Sommer Kalous Vertrag aus. Jetzt ist er suspendiert, wird wahrscheinlich nie wieder für Hertha BSC auflaufen. Ein ganz schön unrühmliches Ende für einen Spieler, der fast 150 Spiele für den Klub absolviert hat, oder?

Ja, das ist ein extrem unrühmliches Ende. Ich würde sogar behaupten, dass er dennoch als Vereinslegende geht, er ist immerhin einer der besten Torschützen der Hertha-Historie. Als er nach Berlin kam, hatte er schon alles gewonnen, unter anderem die Champions League, die englische Meisterschaft, den Afrika-Cup. Dennoch hatte man nie das Gefühl, dass er das arrogant nach außen trägt. Er hat immer hart gearbeitet, war Vorbild und Leuchtturm für junge Spieler, ein Anker für die Mannschaft. Niemand war so cool wie er auf dem Feld. Den hat aufgrund seiner Erfahrung nichts aus der Ruhe gebracht. Das Video war eine Sorglosigkeit von ihm. Die Auswirkungen seines Handelns waren ihm in dem Moment nicht bewusst. Kalou ist eigentlich von allen Seiten ein respektierter Typ. Einfach bitter, dass es so zu Ende geht.

"Hertha gibt kein gutes Bild ab, das steht fest. Wie sich die Ereignisse gerade häufen, ist auffällig."

Nicht zuletzt ist das Video von Kalou auch das zweite Mal innerhalb von drei Monaten, dass Hertha via Facebook-Live auf der Nase herumgetanzt wird. Das kann doch kein Zufall sein: Wieder sind Interna nach außen gedrungen, wieder gibt es eine PR-Katastrophe, wieder ist der Image-Schaden groß. Für Herthas Außendarstellung war das ziemlich fatal. Ist Hertha neuerdings ein Pannenverein?

Ja, man muss schon sagen, dass es die vergangenen Monate drunter und drüber läuft. Man kann die Causa Kalou kaum von dem Investoreneinstieg, der Verpflichtung von Jürgen Klinsmann und der damit einhergehenden vergrößerten Aufmerksamkeit rund um den Verein trennen. Andere Klubs haben ja mindestens genau so viel Aufmerksamkeit wie Hertha, aber präsentieren sich einfach besser und souveräner. Hertha gibt kein gutes Bild ab, das steht fest. Wie sich die Ereignisse gerade häufen, ist auffällig. Es ist wahrscheinlich, dass im Verein irgendetwas nicht läuft und er nicht richtig aufgestellt ist. Man kann sich gerade kaum dagegen wehren zu sagen, dass Hertha ein Chaosverein ist.

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In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.

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