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Ex-Nationalspielerin Julia Simic spricht Klartext über Frauen im Fußball

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Julia Simic spielt in ihrem vermutlich letzten Karrierejahr beim AC Mailand. Bild: Sport Press Photo via ZUMA Press / Cristiano Mazzi
Interview

"Das ist ein bisschen heuchlerisch": Ex-Nationalspielerin Julia Simic übt scharfe Kritik am DFB im Umgang mit Frauenfußball

26.05.2021, 14:3026.05.2021, 15:49
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Eigentlich hatte Julia Simic ihre Karriere schon beendet. Nach Stationen beim VfL Wolfsburg, Turbine Potsdam, dem FC Bayern und West Ham United machten ihr mehrere Kreuzbandrisse und zahlreiche weitere Verletzungen körperlich zu sehr zu schaffen. Doch ein Angebot des AC Mailand im vergangenen Sommer holte sie aus dem bereits geplanten Ruhestand wieder heraus. Im Sommer wird die 32-Jährige dann wohl endgültig ihre Karriere beenden. Dabei hat sie bereits große Pläne für die Zeit danach.

Schon während ihrer Zeit als Spielerin machte sich die Ex-Nationalspielerin viele Gedanken über ihre Zukunft. Dass sie einmal als Coachin arbeiten möchte, war ihr schon früh klar.

"Ich sage auch jungen Spielerinnen immer, dass sie ruhig etwas verlangen dürfen. Man muss nicht nur dankbar sein, sondern auch mal sagen: 'So ist es nicht fair'."

Im Gespräch mit watson erklärt die 32-Jährige, warum Trainerinnen im Männerbereich so selten eine Chance bekommen, erzählt über ihre Trainingszustände beim FC Bayern und warum sich der deutsche Frauenfußball aktuell in die falsche Richtung entwickelt.

watson: Julia, du bist deutsche Meisterin, dreifache DFB-Pokal-Siegerin, U-19-Europameisterin, hast bei den Aushängeschildern des deutschen Frauenfußballs in München und Wolfsburg gespielt. Anschließend noch bei West Ham in England und dem AC Mailand und sagst selbst, dass sich deine Karriere bereits im Spätwinter befindet. Deine männlichen Kollegen würde man jetzt fragen, ob sie eines Tages als Trainer arbeiten wollen. Ist das auch dein Ziel?

Julia Simic: Auf jeden Fall. Ich will sehr gerne weiter auf dem Platz sein und nicht nur am Laptop sitzen. Mein Ziel ist es, als Trainerin einen Input zu geben.

Trainerinnen im professionellen Bereich haben es aber immer noch sehr schwer, überhaupt einen Job zu finden.

Wenn ich darüber nachdenke, wen ich im Profibereich mal trainieren kann, komme ich innerhalb Deutschlands auf die zwölf Frauen-Bundesliga-Vereine. Es gibt vielleicht noch ein paar Verbände, aber das wars. Man betrachtet das ganze männliche Feld gar nicht.

Warum?

Weil man sich denkt, dass es als Frau total unrealistisch ist, zeitnah Männer höher als Bayern-Liga zu coachen. Das ist eigentlich eine vollkommen falsche Herangehensweise. Aber den Anspruch und das Ziel an sich zu formulieren, finde ich absolut legitim.

Fussball International Deutsche Frauen Nationalmannschaft Testspiel in Aalen Deutschland - Holland 25.10.2016 Julia Simic (Deutschland) am Ball FOTO: Pressefoto ULMER/Markus Ulmer xxNOxMODELxRELEASExx
Aufgrund zahlreicher Verletzungen absolvierte sie nur zwei Länderspiele für das DFB-Team. In der U 21 wurde Simic Europameisterin.Bild: picture alliance / Pressefoto ULMER/Markus Ulmer

Mit Inka Grings und Imke Wübbenhorst gab es in den vergangenen Jahren zwei Trainerinnen, die es immerhin in die Regionalliga der Männer geschafft haben.

Das war auch wirklich gut. Und solange es niemand weiter probiert, wird sich auch nichts verändern. Die beiden hatten einfach den Drive, dass sie das machen wollten. Es gibt immer mehr gut ausgebildete Fußballlehrerinnen und dann ist es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit und des gesellschaftlichen Drucks, bis man Frauen die Türen zum Männerfußball öffnet.

Nora Häuptle, Trainerin vom SC Sand, ist in der Frauen-Bundesliga bisher die einzige Frau an der Seitenlinie. Sie sagte im Gespräch mit watson, dass nichts dagegen sprechen würde, wenn eine Frau die Nachfolgerin von Bundestrainer Jogi Löw werde. Nun ist es jedoch Hansi Flick geworden.

Dass eine Frau für längere Zeit ein Männerteam übernimmt, ist im Moment gefühlt ganz weit weg. Dass es aber vereinzelt möglich ist, zeigt sich in Frankreich. Dort war die heutige Frauen-Nationaltrainerin Corinne Diacre immerhin fast drei Jahre Trainerin eines Männer-Zweitligisten.

"Es ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit und des gesellschaftlichen Drucks, bis man Frauen die Türen zum Männerfußball öffnet."

Warum sind Grings, Wübbenhorst und Diacre aktuell immer noch nur Einzelfälle?

Das ist einfach ein Teufelskreis.

Kannst du das erklären?

Es beginnt schon damit, dass selbst bei Frauen-Mannschaften vornehmlich männliche Trainer das Sagen haben. Ich glaube, man muss Perspektiven zeigen, Frauen im Sport zu halten und sie dazu ermutigen, Trainerinnen, Expertinnen oder andere Aufgaben innerhalb des Sports anzugehen.

Julia Simic Football Academy als App
Die 32-Jährige interessierte sich schon früh für das Training von Kindern und Jugendlichen und veranstaltete in im Rahmen ihrer jeweiligen Karrierestationen in Süddeutschland und London regelmäßig Fußballcamps für Mädchen. Durch die Corona-Pandemie verlagerte sie die Übungen und Workshops ins Digitale und brachte ihre eigene App auf den Markt. Neben fußballspezifischen Übungen am Ball zeigt sie auch konkrete Fitnessübungen und Live-Sessions.

Wie kann dieses Problem behoben werden?

Die Formel ist relativ einfach: Wenn man es schafft, weiterhin die Frauenquote bei Trainerlehrgängen zu erhöhen und sie aktiv einzubauen, wird es auch qualitativ immer bessere Trainerinnen geben. Und je mehr gut ausgebildete Trainerinnen es bereits im Jugendbereich gibt, desto besser werden natürlich auch die Spielerinnen und Spieler ausgebildet.

"Man sagt, man will den Frauenfußball genauso fördern wie den Männerfußball, aber gibt Frauen eigentlich keinen Einlass in andere Positionen."

Willst du deswegen aktuell lieber mit Kindern arbeiten?

Im Moment liegt mein Fokus definitiv auf der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Ich möchte ihre Entwicklung beeinflussen und etwas für Verletzungsprävention im jungen Alter tun. Irgendwann will ich schon mit Erwachsenen arbeiten, aber noch nicht sofort.

Kam dir dadurch auch die Idee, eine Trainingsapp für Kinder und Jugendliche zu entwickeln?

Genau. Ich will tiefer in die Materie eintauchen und mit meinen eigenen Camps und Trainingseinheiten andere Mädchen physisch besser ausbilden, damit sie vor Verletzungen geschützt und koordinativ besser ausgebildet sind. Ich habe schon im Alter von 18 Jahren Kinder trainiert und es war immer mein Ziel, meine eigene Akademie zu haben.

Du hast also schon während deiner aktiven Karriere viel dafür getan, auch nach deiner Laufbahn im Fußball tätig zu sein.

Ich sage immer, ich kann nur Fußball spielen (lacht). Ich hatte viel Pech mit zahlreichen Verletzungen. Während dieser Pausen habe ich meine Trainerscheine gemacht, Sportwissenschaften studiert und meinen Master in Verletzungsprävention hinsichtlich Kreuzbandrissen geschrieben. Ich dachte mir, dass es für irgendwas gut sein muss, dass ich mir so oft das Kreuzband gerissen habe.

Bisher sind nur sehr wenige Frauen nach ihrer aktiven Karriere dem Fußball treu geblieben – sei es als Trainerin oder auch auf Vorstandsebene in einem Profi-Klub.

Ich habe letztens ein Zitat von Katja Kraus gelesen, die als erste Frau jahrelang beim Hamburger SV im Vorstand saß. Sie hat gesagt: 'Meine Töchter können sich vorstellen Bundeskanzlerin zu werden, aber nicht Bundestrainerin.' Und das fand ich passend.

Wird sich das irgendwann ändern?

Ja. Wenn der gesellschaftliche Druck weiter wächst und ein starker weiblicher Aufschrei durch die Gesellschaft geht, weil Frauen für ihre Rechte ihre Stimme erheben. Ich sage auch jungen Spielerinnen immer, dass sie ruhig etwas verlangen dürfen.

Was denn?

Man muss nicht nur dankbar sein, sondern auch mal sagen: "So ist es nicht fair". Wir können uns nicht im Winter abends um 19.30 Uhr mit den alten Herren einen Platz teilen und gleichzeitig wird verlangt, um die deutsche Meisterschaft mitzuspielen. Das passt einfach nicht zusammen.

Dein Ex-Verein Bayern München könnte doch als Weltmarke in dieser Hinsicht vorangehen und zum Beispiel auch eine Frau im Vorstand installieren.

Ich glaube, das ist eine Fußball-Tradition, die total schwer zu brechen ist. Gerade beim FC Bayern haben über Jahre die gleichen Personen an der Spitze gestanden. Wenn in anderen Konzernen wie Adidas oder Audi, die auch Anteilseigner des FC Bayern sind, mehr Frauen in den Vordergrund rücken, wird sich das ändern.

Julia SIMIC (WOB) mit dem Pokal, Fussball DFB Pokal Finale der Frauen 2016, SC Sand - VfL Wolfsburg (WOB) 1:2, am 21.05.2016 in Koeln / Deutschland.
Mit dem VfL Wolfsburg gewann Julia Simic zweimal den DFB-Pokal. Im Finale 2016 fehlte sie jedoch verletzt. Bild: SVEN SIMON / Anke Waelischmiller/SVEN SIMON

Warum stehen die Frauen dort noch nicht so im Vordergrund?

Ich glaube, weil Frauen sich nicht so lautstark in männlichen Runden äußern, gehen sie oft ein bisschen unter. Das heißt nicht, dass sie weniger qualifiziert sind, sondern einfach eine andere Herangehensweise haben. Es ist manchmal gar nicht verkehrt, auch mal genauer hinzuschauen.

Also hätte eine Frau im Vorstand beim Streit zwischen Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidžić und Trainer Hansi Flick vielleicht auch deeskalierend wirken können?

Manchmal tut ein bisschen weiblicher Einfluss ganz gut.

Nun ist das nicht nur in den Vereinen so, sondern auch im DFB-Präsidium. Hannelore Ratzeburg als Vizepräsidentin für Gleichberechtigung, Frauen- und Mädchenfußball ist eine Frau unter 19 Männern.

Gerade der Verband als Aushängeschild des deutschen Fußballs könnte in dieser Hinsicht ein Zeichen setzen. Wenn man es dann trotzdem nicht macht, dann ist es ein bisschen heuchlerisch. Man tut aktuell so, als würde man die beiden Geschlechter auf ein Niveau setzen.

"Die Formel ist relativ einfach: Wenn man es schafft, weiterhin die Frauenquote bei Trainerlehrgängen zu erhöhen und sie aktiv einzubauen, wird es auch qualitativ immer bessere Trainerinnen geben."

Ex-Präsident Fritz Keller galt als Förderer des Frauenfußballs und erklärte zum Weltfrauentag, dass es "beschämend sei, wie weit man hinten dran sei".

Man sagt, man will den Frauenfußball genauso fördern wie den Männerfußball, aber gibt Frauen eigentlich keinen Einlass in andere Positionen. Eine Frau kann im Fußball genauso gut im operativen oder repräsentativen Geschäft tätig sein. Es darf aber grundsätzlich nicht mehr davon abhängig sein, ob die Entscheider für oder gegen den Frauenfußball sind oder ihm emotionslos gegenüberstehen.

Julia Simic of West Ham United Women holding off Lia Walti of Arsenal Women during the Women's FA Cup match between West Ham United and Arsenal at the Rush Green Stadium, Romford, London on Sunda ...
In der Premier League lief Simic (vorn) für West Ham United auf. Bild: NurPhoto / MI News

Du kritisierst regelmäßig die Verhältnisse des Frauenfußballs und forderst Investitionen. Bist du manchmal müde, immer die gleichen Missstände anzuprangern?

Ich komme gerade erst so richtig in Fahrt (lacht). Als Spielerin hat man das jahrelang einfach mitgemacht und akzeptiert. Außerdem habe ich vor 15 Jahren noch nicht die gleichen Dinge kritisiert wie aktuell. Damals waren wir glücklich, wenn wir als Frauenteam des FC Bayern einmal vormittags auf dem Gelände der Männer an der Säbener Straße trainieren durften und ein Mittagessen bekommen haben. Da die Hälfte der Mannschaft aber Vollzeit gearbeitet hat, konnten nie alle kommen.

Wie würdest du die Entwicklung des Frauenfußballs grundsätzlich bewerten?

Er hat sich allein in meiner aktiven Zeit sehr positiv entwickelt. Mittlerweile füllt man Stadien und hat Europa- und Weltmeisterschaften vor ausverkauftem Haus. Immer mehr Medien steigen ein, aber gleichzeitig stimmt die Basis nicht überall. Es gibt ein paar Ligen, die vorangehen, aber wir in Deutschland müssen aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. Wenn man den Anspruch hat, Weltspitze zu sein, muss man bereit sein zu investieren und Dinge zu verändern. Das passiert aktuell noch nicht

Hat sich Deutschland darauf ausgeruht, dass man im Frauenfußball lange weltweit die Nummer 1 war?

Ja, ich glaube schon ein bisschen. Man war jahrelang die Nation schlechthin, hat alle möglichen Titel gewonnen und hatte 2011 die Heim-WM, die für einen weiteren Schub gesorgt hat. Man kannte die Spielerinnen und konnte sich mit ihnen identifizieren. Mittlerweile kenne ich bei Spielen der Nationalmannschaft oftmals nicht alle Spielerinnen und denke mir: 'Wer ist die denn jetzt?' Das müssen wir wieder ändern.

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