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FC Augsburg: Florian Niederlechner ist der Anti-Haaland – und einer für Jogi Löw?

Erster Spieltag, erste Minute, erstes Tor: Florian Niederlechner bejubelt im Spiel gegen Borussia Dortmund seinen Premierentreffer der Saison 2019/20. Es folgten einige weitere Tore.
Erster Spieltag, erste Minute, erstes Tor: Florian Niederlechner bejubelt im Spiel gegen Borussia Dortmund seinen Premierentreffer der Saison 2019/20. Es folgten einige weitere Tore.Bild: imago images / Kirchner-Media / david inderlied
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Der Anti-Haaland: Ist Niederlechner einer für Löw? "Sollte er anrufen, wär's Wahnsinn"

15.02.2020, 08:1415.02.2020, 13:11
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Mit zwölf Jahren galt er als zu langsam, zu klein – und wurde bei 1860 München aussortiert. Mit 19 Jahren spielte er noch in der fünftklassigen Bayernliga. An eine Profikarriere hat so recht niemand geglaubt, nicht einmal Florian Niederlechner selbst.

Aktuell ist der Stürmer vom FC Augsburg einer der besten Mittelstürmer der Bundesliga. Sein Name steht in der Torjägerliste neben denen von Superstars wie Lewandowski, Werner oder dem 19-jährigen Wunderstürmer Erling Haaland. Doch im Gegensatz zu den Lewandowskis, Werners und Haalands hat der 29-jährige Niederlechner vergleichsweise spät sein Bundesliga-Debüt gefeiert. Gerade einmal fünf Jahre ist das her.

Wer ist der Stürmer, der bis zum seinem 20. Lebensjahr noch Amateurfußballer war?

Augsburg, ein Mittwoch im Januar, kurz nach Mittag. Bis zum Interview mit Florian Niederlechner sind es noch knapp anderthalb Stunden. Im Erdgeschoss eines rosa verputzten Hauses in der Bahnhofstraße befindet sich ein Fanshop des FC Augsburg. "FCA 1907" steht in rot-grün-weißen Buchstaben über der gläsernen Eingangstür.

Dass Florian Niederlechner einen Lauf hat, das merken sie auch hier: "Das Trikot mit der Nummer sieben ist zurzeit einer der Verkaufsschlager", sagt der freundliche Mitarbeiter im roten FCA-Poloshirt, während er irgendwas in einen Laptop eintippt. "Sehr beliebt" sei Niederlechner, nicht nur, weil er Tore schießt: "Es ist auch seine Art, er ist nicht irgendwie abgehoben oder so". Auch Taxifahrer Vedat ist im Niederlechner-Fieber: "Der geht voll ab gerade, ne? Der ist immer korrekt, beschwert sich nie aufm Platz."

Die WWK-Arena: Der Blick aus der VIP-Loge 22 auf das Spielfeld. Im Hintergrund rauscht die Bundesstraße 17.
Die WWK-Arena: Der Blick aus der VIP-Loge 22 auf das Spielfeld. Im Hintergrund rauscht die Bundesstraße 17.bild: a. siegmund/watson

Sieben Kilometer vom FCA-Shop entfernt, in einem Gewerbegebiet im Süden der Stadt, steht die WWK-Arena. Ein modernes, kompaktes Fußballstadion, 2009 fertiggestellt. Der Business-Bereich im Innenraum des Stadions ist frisch renoviert, es riecht nach neuen Möbeln. In der VIP-Loge 22 soll gleich das Interview stattfinden. Jenseits der großen Glasfenster liegt der Rasen zu Füßen. Helles Laminat, rechts ein großer Holztisch, links ein rotes Sofa und Beete mit Kunstgras. Zwei Flatscreens. Pappbecher mit Senf- und Ketchupbriefchen brechen den Luxus – der Kitt, der Stehplatz- und Logenfans zusammenhält.

Kick. Eat. Sleep. Repeat.

Florian Niederlechner ist sofort präsent, als der die Loge betritt. Knapp 1,90 Meter groß, der Händedruck ordentlich, grüne Augen, Paartagebart. Wenn er lacht, lacht sein ganzes Gesicht.

Auf seinem schwarzen Sweatshirt steht in weißen Buchstaben der Spruch "Kick. Eat. Sleep. Repeat." Fußballspielen. Essen. Schlafen. Und von vorn. Der abstrahierte Lifestyle eines Fußballprofis.

Florian Niederlechner posiert vorm FCA-Wappen in der VIP-Loge.
Florian Niederlechner posiert vorm FCA-Wappen in der VIP-Loge. bild: a. siegmund

Vor zehn Jahren war für Niederlechner daran nicht zu denken. Damals spielt er noch Bayernliga beim FC Ismaning. Vor dem "Kick" steht noch ein großes "Work": "Ich war sicher, dass ich kein Profi werde, dann bin ich Industriekaufmann geworden, hatte eine gute Stelle als Kundenbetreuer und coole Kollegen. Eine schöne Zeit", sagt er. Fußball ist damals ein Hobby. Die Möglichkeit, sich etwas dazuzuverdienen. Nicht mehr. "Selbst in der Bayernliga, als ich viele Tore gemacht habe, habe ich nicht an eine Profikarriere geglaubt", sagt er.

Erstaunlicher Karriereweg: Früher Döner, Pizza, Latte – heute etablierter Bundesligaprofi

"Eat" bedeutet damals für ihn, "am Tag fünf Latte macchiatos" zu trinken und "nachmittags Döner oder Pizza" zu essen. "So hat mein Körper damals auch ausg'schaut", sagt der gebürtige Bayer mit Dialekt und grinst.

Der Karriereweg von Florian Niederlechner ist erstaunlich. Wer, so wie er, mit zwölf Jahren aus der Jugendabteilung eines Profiklubs aussortiert wird, hat oft schon keine Chance mehr auf die große Profi-Karriere. "Das war nicht leicht für mich, aber es war halt so", erinnert er sich und fügt hinzu: "Zum Glück, ist es so passiert."

Zum Glück? "Ich wäre sonst kein Profifußballer geworden. Zu 99,9 Prozent nicht. Wenn ich weiter bei 1860 München geblieben wäre, ich wäre irgendwann in diesem Haifischbecken aufgefressen worden." In der 1860-Akademie tummeln sich damals viele große Talente. Die Spieler haben dort feste Zeiten, Regeln, wann sie zuhause sein müssen. "Für mich war es ganz gut, dass ich diese Regeln nicht hatte". Niederlechner kann sein Leben als Teenager auskosten, hat "ein bisserl gefeiert", wie er sagt.

Bildnummer: 08290181 Datum: 31.07.2011 Copyright: imago/Lackovic
Trainer Heiko Herrlich und Co-Trainer Manuel Baum (SpVgg Unterhaching) / Fussball / Herren / DFB-Pokal / 31.07.2011 / SpVgg Unterhachi ...
Manuel Baum (l.) und Heiko Herrlich lockten Florian Niederlechner nach Unterhaching. Baum machte sich später, während seiner Zeit als Augsburg-Trainer, auch dafür stark, dass Niederlechner zum FCA wechselt. bild: imago images/lackovic

Ein Anruf aus Unterhaching verändert dann alles. Niederlechner, der als kleiner Junge immer mit seiner Mutter dafür gebetet habe, dass er mal Fußballprofi werde, wechselt 2011 aus der fünften in die dritte Liga. Der Hauptsponsor des Drittligisten Spielvereinigung Unterhaching war abgesprungen, der Klub darauf angewiesen, auf günstige Talente aus der Region zu setzen. "Das war meine Chance, zum Glück konnte ich sie nutzen."

Ordentlicher Start in die erste Profisaison – 134 Spiele später ist er Bundesligaspieler

Niederlechner startet ordentlich in seine erste Profisaison. Das ehemalige Unterhachinger Trainerteam, Heiko Herrlich und Manuel Baum, setzt auf den gebürtigen Ebersberger: "Sie haben mir Selbstvertrauen gegeben. Ich musste natürlich viel trainieren, Willen haben – den hatte ich."

Frank Schmidt (l.) hat Niederlechner in Heidenheim "hart angepackt".
Frank Schmidt (l.) hat Niederlechner in Heidenheim "hart angepackt".Bild: imago images/Pressefoto Baumann

Von Unterhaching zieht er weiter zum FC Heidenheim, mit dem er 2014 in die 2. Bundesliga aufsteigt. Es ist Trainer Frank Schmidt, der ihm entscheidend hilft. "Bei ihm habe ich den ersten großen Schritt gemacht. Er hat oft mit mir geredet, mich auch mal härter angepackt, es war nicht immer die einfachste Zeit dort, aber im Nachhinein sehr wichtig."

101 Drittliga- und 33 Zweitligapartien später findet er sich in der höchsten deutschen Spielklasse wieder: Der Bundesligist 1. FSV Mainz 05 legt 2015 zwei Millionen Euro für den damaligen Heidenheimer hin.

MARTIN SCHMIDT, DANNY LATZA, LEON BALOGUN, FABIAN FREI, MAXIMILIAN BEISTER, YOSHINORI MUTO, FLORIAN NIEDERLECHNER NEUZUGAENGE PORTRAETTERMIN 2015/16 MAINZ 05 1. BUNDESLIGA MAINZ PUBLICATIONxNOTxINxUSA ...
Erstes Bundesligajahr: Florian Niederlechner (ganz rechts) im Jahr 2015 bei der Vorstellung der Mainzer Neuzugänge. Ironie der Geschichte: Martin Schmidt (l.) ist jetzt wieder sein Trainer beim FCA.bild: imago images/Martin Hoffmann

Doch der Schritt in die erste Liga ist für Niederlechner zu groß: Er trifft jetzt auf die Top-Verteidiger der Bundesliga, die er aus dem Fernsehen kennt: auf Mats Hummels, Niklas Süle oder Sokratis. Gegen die hat Niederlechner damals noch das Nachsehen. "Sokratis war einer der ekligsten, der hat im Zweikampf immer ganz schön reingehauen." Es läuft nicht, in der Hinrunde steht er nur 176 Minuten auf dem Rasen. Null Tore, null Vorlagen.

Der wichtige Schritt zurück nach Freiburg

Es folgt der Schritt zurück. Niederlechner, der in seiner Jugend Benny Lauth und Mario Gomez zu seinen Idolen zählte, lässt sich in der Winterpause an den damaligen Zweitligisten SC Freiburg ausleihen. Er schießt acht Tore in 14 Spielen, kehrt mit Freiburg in die Bundesliga zurück. Für Niederlechner der endgültige Durchbruch.

Der Flo-Flüsterer: Freiburg-Trainer Christian Streich (r.) hat Niederlechner besser gemacht.
Der Flo-Flüsterer: Freiburg-Trainer Christian Streich (r.) hat Niederlechner besser gemacht. Bild: imago images/Pressefoto Baumann

Dabei hilft ihm vor allem einer: Trainer Christian Streich. "Er hat mich zu dem Bundesligaspieler gemacht, der ich heute bin." Ein mannschaftsdienlicher Spieler, einer, der fürs Team kämpft, die Abwehrspieler früh unter Druck setzt.

Seit Sommer 2019 macht er das für den FC Augsburg.

Ist die Nationalelf auch ein Thema?

Und bald auch für Jogi Löw? Immerhin steht im Sommer eine Europameisterschaft an, und Ex-Nationalmannschaftstorjäger Miroslav Klose bemängelte erst vor kurzem, dass ein deutscher Lewandowski fehle, ein großgewachsener Strafraumstürmer. Ein Knipser.

June 29, 2014 - Porto Alegre, Brazil - PORTO ALEGRE, 29.06.2014: BRAZIL: Miroslav Klose and Joachim Low, during the training of the german team, in the Beira Rio stadium in Porto Alegre. Photo: Edu An ...
WM-Rekordtorschütze Miroslav Klose (l.) und Joachim Löw im Jahr 2014.Bild: imago/ZUMA Press/edu andrade

"Wenns passiert, dann passiert's. Sollte Joachim Löw mich anrufen, wär's Wahnsinn, gerade bei meiner Geschichte. Ich mache mir da aber keinen Kopf drüber. Diskutieren bringt nix." Niederlechner bleibt Realist. "Löw weiß, was er tut. Er wird auch im Sommer vieles richtig machen, und dann werden wir ein geiles Turnier spielen." Mit "wir" meint er natürlich uns alle, Deutschland einig Fußballland.

Wenn er so weiter macht, hat Niederlechner am Ende 19 Saisontore

Sein allergrößter Traum war immer die Premier League. Doch derzeit ist das überhaupt kein Thema für ihn. "Ich bin hier in Augsburg und richtig glücklich." Außerdem spielt der "eklige" Sokratis mittlerweile in der Premier League beim FC Arsenal. Allein das sei schon ein Ausschlusskriterium. Niederlechner schmunzelt.

Für ihn zählt jetzt die Gegenwart, die Saison. Kick. Eat. Sleep. Repeat. Florian Niederlechner formuliert in astreinem Fußballprofisprech: "Für uns geht es nur um den direkten Klassenerhalt, den wollen wir so schnell wie möglich schaffen." Er will mit seinen Toren dazu beitragen, hätte nichts dagegen, wenn er "nochmal mindestens so viele wie in der Hinrunde" schießt. Dann stünde er bei 19 Toren. Mindestens.

Niederlechner ist der Anti-Haaland – und "fast so wertvoll wie einst Podolski"

Seine Torausbeute ist an diesem Mittwoch im Januar auch Thema in einem Sportmagazin. Er blättert im Heft, ganz hinten, auf Seite 57 steht ein Text über ihn: "Niederlechner fast so wertvoll wie einst Podolski". An 64,5 Prozent aller Augsburger Treffer sei er beteiligt, wenn man Tore und Vorlagen zusammenzählt. Bundesliga-Bestwert. Niederlechner schaut etwas ungläubig.

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Fliegt gerade ohne Umwege in den Fußballhimmel: Erling Haaland feiert eins seiner drei Debüttore in Augsburg.Bild: imago images/ActionPictures/peter schatz

Auf dem Cover des Magazins ist ein anderer: Erling Haaland, der neue BVB-Star. Der Norweger hat in seinem ersten Spiel für Dortmund gleich drei Tore erzielt: In der WWK Arena in Augsburg, in Niederlechners Wohnzimmer, unten auf dem Rasen, den man aus der VIP-Loge 22 so wunderbar im Blick hat. Dort erlebt Niederlechner den Haaland-Hattrick am eigenen Leib. "Ein Spieler, der Dortmund gefehlt hat. Robust, groß, pfeilschnell, geht geile Wege hinter die Kette. Ich glaube, der wird definitiv zweistellig treffen dieses Jahr."

Mit 19 erobert Haaland gerade die Fußballwelt, per Direktflug scheint er in den Fußballolymp aufzusteigen. Mit 19 klingelte bei Niederlechner um 5 Uhr der Wecker, um 6 saß er im Büro am Schreibtisch, abends um zehn, nach dem Fußballtraining, war er zuhause. Statt auf einem Cover, war Niederlechner auf den Dorfplätzen der Bayernliga.

In einer Liga spielen beide heute trotzdem.

Die Fünferpacker der Bundesliga
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Luka Jovic feiert mit Filip Kostic.
quelle: imago sportfotodienst / ulrich hufnagel
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