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Mario Barth versucht Schreiben nach Gehör zu erklären – und fällt voll durch

Gastgeber Mario Barth
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Mario Barth: In seiner RTL-Sendung verbreitet der Comedian jede Menge Irrtümer. Sebastian Drüen/ TV Now
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Mario Barth versucht bei RTL, Schreiben nach Gehör zu erklären – und scheitert

07.11.2019, 08:2207.11.2019, 11:59
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Mario Barth hat mal wieder einen rausgehauen: Am Mittwochabend präsentierte der Comedian eine neue Folge von "Mario Barth räumt auf", in der der RTL-Komiker angebliche Missstände in der Gesellschaft anprangert.

  • Mit den Worten "Hier hat der Irrsinn ihres Alltags ein Zuhause" rauschte Barth in die Sendung. Besser hätte es geheißen: "Hier hat der Irrsinn von RTL ein Zuhause".
  • Denn auch in der aktuellen Folge seiner Aufklär-Tour warf der Berliner Comedian derart eifrig die Fakten über Bord, dass man den Fernseher am liebsten direkt ausgeschaltet hätte.

Barths neuestes Wut-Thema ist eines, mit dem man vortrefflich Eltern auf den Baum treiben kann: "Schreiben nach Gehör". Bei der umstrittenen Lehrmethode sollten ABC-Schützen anfangs nach Gehör schreiben, ohne von Lehrern oder Eltern korrigiert zu werden.

Barth vertrat bei RTL die erstaunlich flache These: "Ich glaube, dass wir Erwachsenen uns ruhig mal trauen können, den Kindern zu sagen, dass das falsch ist."

Der Comedian erklärte seinen Zuschauern, dass "die Politiker" mit der Methode, Kinder dazu erziehen würden, "nicht mehr schreiben zu können". Barths – nennen wir es mal wohlwollend – Missverständnis der "Schreiben nach Gehör"-Methode ließ sich am Mittwochabend bei RTL in verschiedensten Facetten beobachten.

Barth hat "Schreiben nach Gehör" nicht verstanden

Barth suggerierte in seiner Sendung, dass die umstrittene Lehrmethode Beschlusssache der Schulpolitik sei: "Die Schulpolitik hat nämlich immer wieder 'ne neue Idee und erklärt 'Pass auf, jetzt machen wir's ganz anders.'" Und weiter: "Es werden täglich neue lustige Schulmethoden ausprobiert, und das an unseren Kindern. Und das ist nicht in Ordnung."

In den 70iger und 80iger Jahren hätte man noch richtigen Unterricht erhalten, erklärte der Comedian, der laut eigener Aussage selbst mehrfach die Schule gewechselt habe.

Um die Probleme einer Lehrmethode, die für Siebenjährige gedacht ist, zu verstehen, probierte der 47-Jährige die Technik einfach selbst aus. Was könnte bloß schiefgehen...
Um die Probleme einer Lehrmethode, die für Siebenjährige gedacht ist, zu verstehen, probierte der 47-Jährige die Technik einfach selbst aus. Was könnte bloß schiefgehen... rtl-screenshot

Lustig, dass Barth die 80iger anspricht. Aus eben jener Zeit stammt die Lehrmethode des Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen, die vorsieht, dass Kinder in den ersten beiden Schuljahren mithilfe einer Anlauttabelle schreiben dürfen, wie sie es für richtig erachten.

Sinn und Zweck der umstrittenen Methode ist es, Kindern zunächst einmal Spaß am Schreiben zu vermitteln und sie dann schrittweise zur richtigen Schreibweise der Wörter heranzuführen.

In der RTL-Sendung erklärte Barth dem Präsidenten des deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger: "Also kann es sein, dass in der 4a richtig geschrieben wird, und in der 4b nicht."

Dass Meidinger hier selbst nicht einschreitet und erklärt, dass so etwas in irgendeiner 4b schon laut Konzept der Methode niemals vorkommen könne, könnte man dem Pädagogen ankreiden – oder es lassen, denn dieses Versäumnis reiht sich nahtlos in die anderen Versäumnisse der RTL-Sendung ein.

Barth schätzt die Verbreitung von "Schreiben nach Gehör" völlig falsch ein

Wer Barth zuhört (und glaubt), der gewinnt den Eindruck, dass diese Form des Schreibenlernens tatsächlich Gang und Gäbe in deutschen Grundschulen ist. Tatsächlich steht die Methode jedoch in diversen Bundesländern bereits auf dem Index – in Hamburg und Schleswig-Holstein etwa ist ihre Anwendung untersagt. In NRW erhielten Lehrer eine Handreichung der dortigen Bildungsministerin, die die Auswüchse der Methode wieder einfangen soll.

Und anderswo? Blüht da überall das "Schreiben nach Gehör"? Diesen Eindruck vermittelt auch Meidinger bei RTL, der warnt, dass das spätere Beibringen der korrekten Rechtschreibung den Kindern "irgendwann nichts mehr nutzt". Tatsächlich schätzen Bildungsexperten, dass die Methode "Schreiben nach Gehör" bundesweit an etwa zwei bis drei Prozent der Grundschulen in Reinform genutzt wird.

Anne Deimel vom Verband Bildung und Erziehung erklärte im Frühjahr der Deutschen Presse-Agentur, dass der richtige Methodenmix der Schlüssel zum richtigen Schreiben sei: "Nicht für jedes Kind ist jeder Ansatz gleich gut."

Barth stellt Meidinger die falschen Fragen

Mit den zwei bis drei Prozent von Grundschulen im Hinterkopf, die die Methode tatsächlich in Reinform anwenden, hören sich Meidingers Sorgen bei Mario Barth nach einer abstrusen Übertreibung an.

Der Pädagoge, der ein bekannter Kritiker der Lehrform ist, klagt über eine "ganze Generation an Kindern, die einen Schaden erlitten hat, der nicht mehr gutzumachen ist".

Hätte Barth ihn mal an seine früheren Aussagen erinnert: Im Frühjahr hatte Meidinger noch eingeräumt: "Die abfallenden Rechtschreibleistungen beobachten wir nicht nur in den Ländern, die sehr stark auf die Lesen-durch-Schreiben-Methode gesetzt haben."

(v.l.) Henning Baum, Oliver Korittke, Beatrice Egli, Gastgeber Mario Barth
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Schon lustig, das mit der Rechtschreibung.Sebastian Drüen/ TV Now

Ach, schau an: Auch in den Ost-Bundesländern, wo die Methode nie verbreitet war, sinkt das Niveau. Im Gespräch mit der dpa hatte Meidinger im Frühjahr sich noch differenziert gezeigt. Damals sagte der Pädagoge: "Es ist ein ganzes Bündel von Ursachen." So spiele das zusammenhängende Lesen nur noch eine geringere Rolle bei Kindern. "Sie lesen halt keine Bücher mehr", sagte Meidinger. Stattdessen würden täglich Hunderte Kurznachrichten gelesen. "In sozialen Netzwerken spielt die Rechtschreibung keine Rolle."

Mit diesen differenzierten Aussagen kam Meidinger am Mittwochabend bei Mario Barth nicht durch. Stattdessen "glänzte" der Comedian gegen Ende seines RTL-Beitrags mit "alternativen Erziehungsmethoden". Barth stellte die Frage, ob man Kinder bei Rechtschreibfehlern denn nicht einfach anschreien dürfe.

Schließlich erklärte sich der Comedian in der Sendung noch zum "Feind der Teilnehmerurkunde" – für Barth ist klar: Leistung müsse richtig benotet werden.

Gut, Herr Barth. Machen wir das. Für diese Sendung kann man Ihre Leistung im Fach "Rechercheleistung und Themenverständnis" klar benoten:

Sechs, setzen!

(pb)

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