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Conchita Wurst: Tom Neuwirth rechnet mit ESC-Conchita ab - "War unglücklich"

Tom Neuwirth zeigt sich mit seinem neuen Projekt "Wurst" männlicher denn je.
Tom Neuwirth zeigt sich mit seinem neuen Projekt "Wurst" männlicher denn je.Bild: Niklas van Schwarzdorn
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Conchita Wurst befreit sich von ESC-Kunstfigur: "Ich war unglücklich"

Vor fünf Jahren siegte der Österreicher Tom Neuwirth als Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest. Doch die Rolle der exzentrischen Diva mit Bart und Perücke erfüllte ihn auf Dauer nicht. Jetzt meldet er sich als neue Kunstfigur "Wurst" zurück – mit Elektro und ganz neuem, männlichem Erscheinungsbild. Mit watson sprach er über Aufbegehren, Sinnkrise, Schubladendenken und das Finden und Suchen persönlicher Freiheit.
23.10.2019, 09:2423.10.2019, 12:37
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watson: ­­­Tom, wir kennen dich als Conchita mit Walle-Perücke und bodenlangem Kleid. Wieso hast du dich ausgerechnet jetzt dafür entschieden, dem Publikum mit "Wurst" eine Seite von dir zu zeigen, die es so noch nicht kannte?
Conchita Wurst:
Ich habe die Notwendigkeit gespürt, mich weiterzuentwickeln. Ich habe mich davor für meine Verhältnisse zu lange in derselben Welt bewegt. Und damit meine ich, dass ich mich selbst in ein Regelwerk gesperrt habe, das mich auf eine Farbe meines Seins reduziert hat. Und diese Farbe nenne ich mal die "Präsidentengattin".

Präsidentengattin?
Eine Präsidentengattin hat ein gewisses Protokoll und darf viele Dinge nicht. Und durch diese jahrelange Reduktion meiner selbst wurde ich unglücklich. Ich habe verstanden, dass ich eine Herausforderung brauche, etwas Neues. Ich war ja jahrelang im Songwriting-Camp und ich danke meiner Plattenfirma, dass ich herausfinden durfte, beim Songwriting völlig talentfrei zu sein (lacht). Und dann dachte ich: Warum mache ich nicht einfach die Mucke, die ich auch privat höre.

Welche Musik hörst du privat?
Ich liebe elektronische Musik, ich liebe Robyn und Björk. Ich habe für das neue Album ein großartiges Team gefunden, das mich versteht, meine Geschichte und meine Vision. Und obwohl ich die Songs nicht selbst geschrieben oder komponiert habe, ist es so viel authentischer geworden als vieles, was ich zuvor gemacht habe. Oder näher dran an meinem Leben.

Hattest du Bedenken, einen neuen Weg einzuschlagen oder waren dir die Meinungen anderer egal?
Als plötzlich alles klar war, wie die Details aussehen müssen, wie jedes Mosaik ins andere passt, hatte ich nicht mehr das Gefühl, mir darüber Gedanken machen zu müssen. Ich war wirklich sehr egozentrisch (lacht). Ich freue mich natürlich über alle, die meine Musik toll finden. Aber ich habe verstanden, dass ich einfach mehr Dinge für mich selbst tun muss. Weil es mein Leben ist – und das ist wahnsinnig schön. Und mein Manager sagt immer: "Done is better than perfekt", also "Besser etwas zu Ende bringen, als versuchen perfektionistisch zu sein und es deshalb nicht abschließen." Also mache ich jetzt einfach und werfe einen Dartpfeil nach dem anderen. Wir werden sehen, welcher stecken bleibt.

Gibt es einen Song, in dem besonders viel Herzblut steckt?
Da kann ich mich auf keinen festlegen. Viele Songs behandeln eine spezifische Zeit in meinem Leben. Ich habe mich bewusst zurückgehalten, die Bedeutung der einzelnen bis ins Detail zu erklären. Denn die Menschen, die die Musik hören, denen möchte ich kein Bild aufzwingen. Das ist wie, wenn man ein Buch gelesen hat und dann den Film dazu sieht. Dann ist die eigene Welt plötzlich weg. Deswegen halte ich mich zurück und sage nicht, bei dem geht es darum und bei dem anderen darum. Denn sobald das Kind auf der Welt ist, gehört es nicht mehr nur mir und das akzeptiere ich. Aber sagen wir so: Jeder Song ist intense.

Conchita Wursts neue Single "Hit me"

Wie ist die Grundbotschaft deiner Songs, wie doch das sehr plakative "Hit me"? Lass dich von niemandem einschränken?
Absolut. Niemand hat das Recht, über dein Leben zu entscheiden. Und genau darum geht es. Und ja, viele Botschaften entsprechen ähnlichen, die mir auch schon vor fünf Jahren wichtig waren. Mittlerweile ist es vielleicht ein bisschen konkreter geworden und ich verbreite sie mit mehr Selbstbewusstsein.

Warst du dir stellenweise unsicher?
Jeder zweifelt. Aber ich habe aufgehört, mich zu entschuldigen, in der Öffentlichkeit und bei meinen Freunden. Mit einer Einschränkung: Ich würde mich entschuldigen, wenn ich Fehler mache, absolut. Und die mache ich auch. Aber dieses Album und dieser ganze Prozess hat mich mir selbst so viel näher gebracht.

"Ich war in einer Situation, in der ich gemerkt habe: Es geht mir nicht mehr gut, ich habe keinen Spaß an dem, was ich tue."

Und da gibt es nur einen Weg raus.

Welchen hast du gewählt?
Ich habe mich intensiv mit mir selbst auseinandergesetzt, ich habe eine Therapie begonnen, ich habe mit meiner Familie und meinen Freunden gesprochen und wir haben Dinge aufgearbeitet, die teils Jahre zurückliegen und nie richtig ausgesprochen wurden. Und da hört man natürlich nicht nur schöne Dinge.

Tom als Conchita beim ESC

7 mei 2014, Denmark, Copenhagen. Conchita Wurst from Austria, Eurovision Song Contest 2014. Foto RaymondxvanxOlphen/Hollandse Hoogte Conchita Wurst 2014. Foto RaymondxvanxOlphen/Hollandse Hoogte PUBLI ...
Bild: imago/Hollandse Hoogte

Und das dann zu nehmen, sich zu entschuldigen, versuchen, es besser zu machen, aber auch zu akzeptieren, dass man nicht alles gut kann – das war sehr befreiend.

Inwiefern?
Ich versuche immer mein Bestes – aber in mancher Hinsicht bin ich eben ein bisschen zu forsch. Und manchmal bin ich eben ein bisschen zu nett. Und das als Ganzes wahrzunehmen, das hat mir eine ganz neue Sicherheit gegeben. Weil ich plötzlich besser wusste, wo mein Bewegungsspielraum liegt – worin bin ich mir sicher und worin eben nicht. Und das zu wissen, bedeutet eine unglaubliche Freiheit und das hat mir geholfen, selbstbewusster zu sein. Nicht nur, was die Musik angeht, sondern auch mein Aussehen.

"Ich habe aufgehört, Perücken zu tragen, einige haben gesagt, das sei eh nur Marketing gewesen. Da sage ich nur: F… you all! Ich bin immer noch ich."

Und auch, wenn sich der Name ändert – am Ende des Tages ist es doch immer Wurst. Ob ich jetzt eher feminin oder eher maskulin bin, immer dieses Schubladendenken – ich habe aufgehört, mir darüber Gedanken zu machen.

Ein leichter Prozess?
Gar nicht. Denn als ich das Album fertig hatte und es an die Videos ging, habe ich ja selbst Schubladendenken betrieben. Ich war so darauf bedacht, maskulin zu wirken. Jetzt denke ich: Es gibt keine Regeln mehr.

Was hat sich seit deinem ersten Album vor fünf Jahren verändert – und was ist gleich geblieben?
Verändert hat sich natürlich der Sound und auch, dass ich jetzt wesentlich persönlichere Geschichten in meinen Songs aufgreife. Gleich geblieben ist das Feuer. Oder sagen wir so: Das Feuer ist wiedergekommen.

War die Flamme mal erloschen?
Ich wusste schon als Kind: Ich bin ein Star. Ich habe mich nicht drum geschert, ob das jemand hören will. Und dann habe ich diese Selbstverständlichkeit verloren, ich war lange unsicher. Jetzt weiß ich wieder: Ich bin ein Star. Aber das ist das Einzige, was ich kann (lacht).

Und was ist die Folge davon?
Ich konzentriere mich darauf. Und darauf, so eine klare Positionierung zu haben und zu sagen: Ich liebe mich unfassbar, ich finde mich umwerfend schön, ich bin lustig, ich bin talentiert – das sagen zu können, aber gleichzeitig auch sagen zu können – du bist unfassbar schön und es ist so inspirierend, dir zuzuhören. Für alles und alle ist Platz. Das musste ich auch erst lernen. Das hat nichts mit Arroganz zu tun, wenn man sich selbst toll findet. Ich finde mich unfassbar toll – aber ich finde auch andere unfassbar toll!

Bist du auf deiner Reise zur Selbstverwirklichung schon am Ende angekommen?
Nein, die ist noch lange nicht durch. Es gibt genug Situationen, in denen ich mich selbst manipuliere und entdecke: Da bin ich nicht ich selbst, da bin ich nicht entspannt. Sondern eifersüchtig, zornig, ungeduldig.

Wursts neues Album "Truth over Magnitude"

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Bild: Promo

Grübelst du viel?
Na, aber hallo! Ich glaube, ich habe mich darin verbessert, einfach mal nur für den Moment zu leben. Gerade nach dem Song Contest kam ja eins nach dem anderen. Und jetzt einfach mal hier zu sitzen, dir von mir zu erzählen, das kann ich genießen. Ich tue ja nichts lieber, als über mich selbst zu reden (lacht). Aber jetzt bin ich hier im Moment verankert und habe so gar keinen Stress. Das hätte ich vor ein paar Jahren nicht gekonnt.

Wie steht es eigentlich um deine Pläne, deine Autobiografie zu verfilmen?
Die stehen natürlich noch. Ich will auch unbedingt mal ein Musical scheiben. Ich meine, meine Geschichte: Der kleine Junge aus den Bergen geht mit Perücke zum Song Contest – das ist eine Story (lacht)! Aber die nähere Zukunft bringt ja auch erst einmal viele tolle Sachen. Ich freue mich zum Beispiel sehr auf meinen Auftritt am 2. November im "WUK" in Wien. Da spielen nur die coolen Kids und ich freue mich so über die Maßen, da mit meiner Band auftreten zu dürfen. Ich bin sehr gespannt, was die Leute zu "Wurst" sagen. Und ich freue mich natürlich, wieder auf Tour zu gehen, auch in Deutschland.

Und dann?
Und wenn alles gut geht, bin ich auch noch ein bisschen in Europa unterwegs, das könnte sehr aufregend werden. Und dann kommt ja auch noch eine kleine TV-Show. Ich habe also sehr viel zu tun.

Apropos: "Queen of Drag" startet am 14. November auf ProSieben. Warum wolltest du dabei sein?
Diese Art Anfragen kamen schon sehr früh in meiner Karriere. Aber die Parameter haben für mich nie gestimmt. Aber in diesem Fall konnte ich ja gar nicht ablehnen. Ich meine, der größte Privatsender Deutschlands, Prime-Time, 20.15 Uhr. Und das Format wird sowohl unterhalten, als auch berühren. Und diese Bandbreite von Entertainment, Talent, Menschlichkeit habe ich so noch nicht gesehen. Wir haben bei den Dreharbeiten miteinander gelacht und geweint. Wir hatten so eine geile Zeit. Und ich hoffe natürlich, dass das die Zuschauer auch so sehen. Und selbst wenn nicht – das war eine so schöne Erfahrung für mich, das kann mir keiner nehmen.

Welche Wünsche hast du in diesem Jahr noch für dich als Conchita, Wurst und Tom?
Ich wünsche mir, dass ich mindestens so viel Spaß habe wie im letzten Jahr. Ich wünsche mir, dass ich genug Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbringe und auch genug Zeit mit mir habe. Ich möchte gefordert sein und kreativ sein und einfach so weitermachen wie zuvor. Das wäre schon ganz toll. Gar keinen so dreisten Wünsche, oder (lacht)?

Conchita oder Tom? Wurst!

Neues Album "Truth over Magnitude"
Tom Neuwirth veröffentlichte 2015 sein Debütalbum "Conchita", welches auf Platz 1 der österreichischen Albumcharts einstieg und mit Platin ausgezeichnet wurde. Auch sein zweites Studioalbum "From Vienna With Love" errreichte in der Veröffentlichungswoche Gold-Status. Am 25. Oktober bringt der 30-Jährige mit "Truth over Magnitude" erstmals ein Elektro-Album heraus. Ab dem 14. November sucht er, diesmal wieder als Conchita Wurst, neben Heidi Klum und Bill Kaulitz auf ProSieben die "Queen of Drags".
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Video: watson
ARD-Show mit Esther Sedlaczek wird überraschend umbenannt

Esther Sedlaczek startete ihre TV-Karriere als Sport-Reporterin, wird mittlerweile aber vielseitig eingesetzt. So moderiert sie das "Quizduell" ebenso wie die Samstagabendshow "Frag doch mal die Maus". Das letztgenannte Format übernahm sie erst 2023 von Eckart von Hirschhausen und nun steht eine maßgebliche Veränderung an.

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