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Gesundheit & Psyche

Coronavirus – Verbreitung über Tiermärkte: "Da schlummern womöglich noch mehr Viren"

Wildtiermärkte haben in China Tradition – zumindest laut der chinesischen Regierung.
Wildtiermärkte haben in China Tradition – zumindest laut der chinesischen Regierung.Bild: getty images
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Coronavirus – Verbreitung über Tiermärkte: "Da schlummern womöglich noch mehr Viren"

12.02.2020, 14:2512.02.2020, 16:47
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Noch immer ist sich die Weltgesundheitsorganisation nicht sicher, woher das neuartige Coronovirus stammt, mit dem sich nach aktuellem Stand mehr als 44.000 Menschen infiziert haben. Sie geht davon aus, dass der Wildtiermarkt in Wuhan bei dem Ausbruch eine entscheidende Rolle spielte. Deshalb hat die chinesische Regierung diesen geschlossen.

Mittlerweile entschlüsselte ein chinesisches Forschungsteam die DNA des Erregers. Dabei kam heraus, dass er möglicherweise zunächst von Fledermäusen beherbergt und über ein anderes Wildtier auf den Menschen übertragen wurde. Das wäre nichts Neues. Unter anderem ging auch der Sars-Erreger von Tieren auf Menschen über. Auch das führte zu einer Schließung einiger Wildtiermärkte – allerdings nur temporär.

Tierschützer setzen sich schon länger für die vollständige Schließung der Wildtiermärkte ein. Nicht nur, weil dort Tiere gehandelt werden, bei denen unklar ist, welche Erreger sie tragen, sondern auch, weil es sich bei diesen meist um geschützte Arten handelt.

Doch warum springen Viren überhaupt von Art zu Art? Und warum hält China überhaupt an den Märkten fest, obwohl sie so problembehaftet sind?

Über diese Fragen sprachen wir mit der Tierärztin und Leiterin der Tierschutzarbeit der Welttierschutzgesellschaft in Berlin, Daniela Schrudde.

watson: Springt ein Erreger wie etwa ein Virus von einem Tier auf einen Menschen, sprechen Mediziner auch von einer Zoonose. Warum springen Viren von Art zu Art?

Daniela Schrudde: Prinzipiell ist es so, dass Erreger einen Wirt brauchen, von dem sie profitieren, sprich dem sie Ressourcen klauen, um selbst überleben und sich vermehren zu können. Je mehr Wirte sie befallen können, desto besser kommen sie dem nach.

Könnten wir uns denn auch bei anderen Tieren wie etwa Fischen mit einem Virus anstecken?

Nicht ganz. Damit eine virale Zoonose von einer Art auf die andere überspringen kann, müssen auch die Verhältnisse wie etwa die Körpertemperatur stimmen. Die ist beim Menschen in den meisten Fällen deutlich höher als bei Fischen, weshalb es sehr unwahrscheinlich ist, dass Viren eines Fisches auf uns überspringen. Für eine Übertragung müssen außerdem auch der PH-Wert sowie bestimmte Nährstoffe passen. Generell müssen Viren in die Körperzellen eindringen, um sich zu vermehren. Hier gilt eine Art Schlüssel-Schloss-Prinzip.

Das bedeutet?

Proteine, die wir in unseren Körperzellen haben, sind so gesehen das Schloss. Auch auf den Viren befinden sich Proteine. Die müssen quasi wie ein Schlüssel passen, damit sie sich an unsere Körperzellen haften können.

"Viren können sich in einer Umgebung wie auf Wildtiermärkten verbreiten"

Es schien überraschend, als das neue Coronavirus erstmals an einem Menschen nachgewiesen wurde. Doch wo kommt so ein neues Virus derart plötzlich her?

Viren sind ständigen Mutationen ausgesetzt. Zudem können sie sich in einer Umgebung wie auf Wildtiermärkten verbreiten. Schauen wir etwa auf Wuhan, wird das klar. Die Stände stehen dicht beieinander und die Menschen drängeln sich durch die schmalen Gassen, zwischen denen Tiere geschlachtet werden. Das und die geringen Hygienestandards tragen dazu bei, dass sich Viren schnell verbreiten können.

Ärztin und Tierschützerin: Daniela Schrudde
Ärztin und Tierschützerin: Daniela SchruddeBild: welttierschutzgesellschaft

Eigentlich wäre es doch schon allein aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll, diese Märkte zu schließen.

Natürlich. Dabei ist auch wichtig zu wissen, dass Tiere, die gestresst sind, viel Adrenalin produzieren. Das drosselt wiederum ihren Immunschutz, wodurch sich Erreger verbreiten können. Wird ein Tier in einer Schlingfalle gefangen, hängt es dort einige Zeit und schüttet Adrenalin aus. Landet es dann letztlich auf einem Markt, ist es bereits wesentlich krankheitsanfälliger. Die inhumanen Jagdmethoden tragen also einen großen Teil dazu bei, dass sich Erreger und Krankheiten verbreiten.

"Ein Wildtier ist eine Blackbox. Da schlummern möglicherweise noch mehr Viren"

Sind Wildtiere denn generell eine Gefahrenquelle?

Wir wissen so gut wie gar nicht, welche Krankheiten letztlich in der Wildnis existieren. Ein Wildtier ist eine Blackbox. Da schlummern möglicherweise noch mehr Viren. Wildtiere kommen aus unterschiedlichen Gegenden – anders als Nutztiere, die an den Menschen gewöhnt sind und meist regional aufwachsen. Zudem kennen wir deren gesamte Historie.

Bei Wildtieren nicht?

Nein, schon allein, weil sie meist durch die Hände mehrere Zwischenhändler gehen, bis sie letztlich auf einem Markt wie etwa in Wuhan verkauft werden. Man weiß nie, woher die Tiere kommen oder wie sie lebten.

Geht es um die Wildtiermärkte, argumentiert die chinesische Regierung mit Tradition.

Ja, doch gerade bei Wildtiermärkten ist das unsinnig. Mag sein, dass die Märkte vor Jahrzehnten von traditionellen Heilern genutzt wurden, um an bestimmte Zutaten zu gelangen. Diese wurden allerdings im Zuge der chinesischen Kulturrevolution zu großem Teil getötet oder vertrieben. Das, was heute als traditionelles Wissen genutzt wird, hat nur noch ein Bruchteil mit dem zu tun, was es früher mal war. Es ist ein verfälschtes Bild von Tradition und eher kommerziell getrieben.

Jetzt hat die chinesische Regierung den Wildtiermarkt in Wuhan geschlossen. Das verhielt sich ähnlich beim Sars-Virus. Auch da schloss die chinesische Regierung die Wildtiermärkte – allerdings nur zeitweise.

Und dennoch: Steter Tropfen höhlt den Stein. Das Virus könnte den entscheidenden Ausschlag dafür gegeben haben, dass die Märkte weiterhin geschlossen bleiben. Aus Tierschutzperspektive wäre das eine wahnsinnig positive Entwicklung.

Gerade was den Tierschutz angeht, sind diese Märkte ja ein Problem.

Genau. Doch nicht nur, dass bedrohte Arten auf den Märkten gehandelt werden, ist problematisch, sondern auch, wie sie gefangen werden. Die Jagdmethoden sind meist sehr opportunistisch und völlig unspezifisch. Wir sammeln etwa jährlich hunderte Schlingfallen auf, in die praktisch jedes Tier tappen und qualvoll verenden könnte.

Jetzt sagten Sie ja bereits, dass es aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll wäre, Wildtiermärkte zu schließen. Wie ließen sich Pandemien noch vermeiden?

Wir müssen zwischen Notfallmaßnahmen und langfristigen Maßnahmen unterscheiden. Quarantäne ist momentan so ziemlich das einzige, was man machen kann. Wie schon die Weltgesundheitsorganisation empfohlen hat, müssen Kranke schnellstmöglich isoliert werden, damit sich das Virus nicht weiterverbreiten kann.

Und was hilft auf lange Sicht?

Langfristig werden Impfstoffe entwickelt, um beim Ausbruch einer neuen Krankheitswelle aktiv werden zu können. Chinas Regierung hat dieses Mal gut reagiert. Im Vergleich zum Sars-Virus war sie beim Corona-Virus wesentlich transparenter und wurde schneller aktiv. Ohne die Wildtiermärkte wäre das jedoch vermutlich gar nicht nötig gewesen.